Begrifflicher Kontext des Buches „Moderne Meinungspflege“
Kontexte des Buches Moderne Meinungspflege
Begrifflicher Kontext: Meinungspflege statt Public Relations
Herbert Gross referierte in seinem Buch (1952, S. 36f.) vergleichsweise ausführlich zeitgenössische Definitionen von „Public Relations“ in den USA. Seine eigenen Darlegungen im Buch sind allerdings nicht frei von Widersprüchen.
Es gehe nicht um eine „neue Technik der Werbung“ …
Er selber vermied interessanterweise den Begriff „Public Relations“ – er bedauerte sogar, das „amerikanische Schlagwort“ in Deutschland mit eingeführt zu haben. Denn dieses diene heute, so Gross (1952, S. 7f.), nur noch als „Firnis“, um überholte Methoden der Werbung als neu und modern erscheinen zu lassen. Ihm gehe es aber gerade nicht um „eine neue Technik der Werbung“. Dass Gross nur wenige Jahre nach der NS-Diktatur und kurz nach Entstehen der westdeutschen Bundesrepublik, also noch vor dem „Wirtschaftswunder“1 und dem Siegeszug der sozialen Marktwirtschaft, den PR-Begriff bereits für verschlissen erklärte, mag aus heutiger Sicht verwundern. Zum einen ist dies nur vor dem Hintergrund eines seinerzeit ziemlich regen Gebrauches erklärbar.
… sondern um das „Bewusstsein einer allgemeinen Interessenidentität mit der Marktwirtschaft“.
Der andere Grund dürfte darin liegen, dass das, was andere allgemein und neutral mit Public Relations bezeichnen, von Gross explizit politisch in einer bestimmten Weise aufgeladen wurde und werden wollte. „Die Meinungspflege in der Marktwirtschaft lässt sich also umschreiben als die Summe derjenigen Maßnahmen und Verhaltensweisen der Unternehmer, welche in der Öffentlichkeit das Bewusstsein einer allgemeinen Interessenidentität mit der Marktwirtschaft erzeugen.“ (Gross 1952, S. 22) Meinungspflege in (West-) Deutschland müsse auf einer früheren Stufe als in den USA beginnen: „mit der Schaffung positiver und vertrauensvoll von allen bejahter Werte, die in den USA beispielsweise ‚Freiheit, Privateigentum, Unternehmertum‘ usw. heißen“ (S. 32).
Begrifflicher Kontext (II): Meinungspflege der Tat statt nur PR-Kommunikation
Es gehe nicht um eine „neue Technik der Werbung“ (II), also nicht nur um Kommunikation …
Aufgrund seiner spezifischen Interpretation von Public Relations fiel seine Distanzierung von denjenigen, die den PR-Begriff nutzen, wohl stärker als gerechtfertigt aus. Und deshalb war seine Kritik, dass unter PR lediglich eine modernisierte Form von Werbung verstanden würde, sicherlich überzogen oder falsch, insoweit er (!) den PR-Begriff einseitig auslegte. In den USA seien „Public Relations“ deswegen „überwiegend nur eine Technik, weil das Gefühl der Zugehörigkeit zu einer positiven Ordnung bei allen bereits besteht“ (S. 23). Aber die USA hätten, allerdings früher, eine ähnliche Entwicklung durchmachen müssen:
Nach den Griswolds2 sind auch in USA die Public Relations zunächst manchen Irrweg gegangen, von reiner Pressepropaganda und Politik der Beweihräucherung und Lüge bis zur systematischen Schaffung eines neuen Berufes, besonders seit Beginn der vierziger Jahre. Die moderne Konzeption der Meinungspflege entstand auch drüben erst Zug um Zug mit dem Vordringen einer neuen unternehmerischen Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit. Daraus entwickelte sich die heute unbestrittene Tatsache, dass man in der Meinungspflege eine unabdingbare unbestrittene Unternehmerfunktion sieht. die gleichberechtigt und personell unabtrennbar neben Produktion, Verteilung und Finanzierung tritt. Mit Anerkennung der Public Relations als eines besonderen Berufszweiges, der seine eigenen berufsethischen Grundsätze hat, die beispielsweise in der Public Relations Society of America zum Ausdruck kommen. wuchs auch die Anerkennung dieses Gebietes als einer besonderen akademischen Disziplin (…).
(Gross 1952, S. 38)
… sondern um unternehmerisches Verhalten, um einen „guten Charakter“.
Gross sah allerdings noch einen anderen wesentlichen Unterschied von „Meinungspflege“ zu „Public Relations“, wie sie seiner Meinung nach von vielen in Westdeutschland verstanden würden. Bei Meinungspflege gehe es gar nicht in erster Linie um Kommunikation. Meinungspflege werde mehr praktisch gelebt als publizistisch betont. Sie sei eine Sache der inneren Einstellung, des „guten Charakters“.
So klassifizierte denn Gross die professionelle Kommunikationsarbeit eines Interessenverbandes nicht (!) als Meinungspflege: Ein Verband mache Werbung bzw. Propaganda (S. 27). An anderer Stelle (S. 67-73) trennte Gross nicht so scharf, differenzierte aber dennoch zwischen unternehmerischer Meinungspflege und Arbeit der „überbetrieblichen Organisationen“, die er gelegentlich auch verbandliche Meinungspflege nannte.
Anmerkungen
http://www.hdg.de/lemo/html/DasGeteilteDeutschland/DieZuspitzungDesKaltenKrieges/Wirtschaftswunder/
2 Gemeint waren Glenn und Denny(s) Griswold mit ihrem Handbuch „Your Public Relations“ von 1948. Darin legten sie auch eine eigene PR-Definition vor, zitiert nach Gross (1952, S. 36f.): „Public Relations sind diejenigen Managementaufgaben, die Einstellungen der Öffentlichkeit auswerten, die Anschauungen und Maßnahmen einer Einzelperson oder Organisation mit den öffentlichen Interessen identifizieren und ein Aktionsprogramm zur Gewinnung des Verständnisses und der Anerkennung durch die Öffentlichkeit durchführen.“