Rourkela der 1960er-Jahre: Gemeinschaftliche PR der deutschen Wirtschaft (II: insbesondere Phase ab Mitte der 1960er)

Weitere Vervollkommnung der AKI-PR-Arbeit ab Mitte der 1960er-Jahre

Rourkela wurde schließlich von den Medien sogar als Erfolgsgeschichte wahrgenommen. Daran wiederum dürfte die professionelle PR des Arbeitskreises Indien (AKI) seit 1960 ihren Anteil haben.

Mit einem Etat von rund 130.000 Mark im Jahr (ohne Personalkosten, einschließlich Journalistenreisen) hat das Pressebüro der deutschen Industrie „jedem Monat durchschnittlich 300 Abdrucke in Zeitungen und Zeitschriften erzielt

(Haubold 2020a, S. 9).

Abb.: Autorenbeitrag von Pressebüroleiter Haubold in der Siemens-Hauszeitschrift vom November 1967. Aus der Pressemappe des Press Bureau of German Industry, zur Verfügung gestellt von Erhard Haubold.

Die PR wurde Mitte der 1960er-Jahre nochmals perfektioniert. Ab 1966 veränderten sich „auch zusehends Inhalt und Vorgehensweise der PR-Arbeit vor Ort, was teilweise in Verbindung mit einem personellen Wechsel von J. W. Strobl zu Erhard Haubold als Leiter des deutschen Pressebüros in Neu Delhi zusammenhing. (Tetzlaff 2018, S. 208) Mindestens einmal im Monat war Haubold auch in Rourkela (Haubold 2020b, 00:36:10).

Haubold – geb. 1936 in Ansbach – hatte 1955-59 in Nürnberg-Erlangen studiert (Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, insbes. BWL und auch Zeitungswissenschaft, Abschluss als Dipl.-Kaufmann) und war auch Stipendiat in den USA. Weil er ursprünglich promovieren wollte, nahm er zunächst eine Tätigkeit bei der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) auf, und ging dann aber doch in die publizistische Praxis. Seit 1961/62 wirkte er im Handelsblatt-Verlag als stellvertretender Chefredakteur der Zeitschrift Die Absatzwirtschaft, ehe er die Funktion in Neu Delhi antrat. (u.a. Haubold 2020a, S. 1f.; Haubold 2020b, 00:03:45ff.)1

Abb.: Autorenbeitrag (zweite Seite) von Pressebüroleiter Haubold in der Siemens-Hauszeitschrift vom November 1967. Aus der Pressemappe des Press Bureau of German Industry, zur Verfügung gestellt von Erhard Haubold.

Was aus heutiger Sicht eindeutig als PR-Arbeit bezeichnet werden kann, firmierte seinerzeit als „Pressearbeit“ bzw. als Arbeit eines „Pressebüros“. Und auch Erhard Haubold fühlte sich eher als „Journalist“ denn als PR-Mann. Wichtigste Stellenanforderungen seien Kontaktfähigkeiten, schreiben können und englisch sprechen gewesen. Nicht unwichtige Bedingung war das Verheiratetsein, weil die laufenden gesellschaftlichen Verpflichtungen in Indien (Kontaktpflege, Termine, Partys etc.) nicht ohne tatkräftige Unterstützung einer Ehepartnerin leistbar schienen. (Haubold 2020b, 00:09:30ff., 00:13:00ff., 00:22:00ff.)

„Von den ursprünglichen Feuerwehraktionen für das lange mit einem negativen Image behaftete Rourkela-Stahlwerk ging das Pressebüro dann zu langfristig geplanten und präventiven PR-Maßnahmen über.“ (Tetzlaff 2018, S. 208) Dazu gehörten weiterhin auch Journalistenreisen, wie 1967 für indische Medienleute nach Deutschland.2 Insbesondere Krupps PR-Chef von Zedtwitz-Arnim sei ein Verfechter der Vorzüge von Pressereisen gewesen. Alles in allem habe es aus den Firmenzentralen in Deutschland aber „wenig Input“ für eine strategische Ausrichtung der AKI-Arbeit vor Ort gegeben. (Haubold 2020b, 00:30:20ff.)

Positive Medienresonanz und weiterer Rourkela-Ausbau

Abb.: Foto des Stahlwerkes aus The Economic Times vom 28.4.1966. Aus der Pressemappe des Press Bureau of German Industry, zur Verfügung gestellt von Erhard Haubold.

„Mitte der 1960er Jahre konnte die Spiegel-Redaktion alle Zweifel an der deutschen Leistungsfähigkeit im Wettstreit mit dem Systemgegner ausräumen. Zwischenmenschliche Probleme wurden von deutscher Hand gelöst, für den Rest waren die russenfreundlichen Inder selbst verantwortlich. (…)“ (Franke 2017, S. 155, unter Bezugnahme auf: o.V.: Sieg der Deutschen. In: Der Spiegel 10.1.1966)

Und auch Immanuel Birnbaum (von der Süddeutschen Zeitung – T.L.) machte bei seinem Aufenthalt in Indien Anfang 1967 einen Abstecher nach Rourkela, um für mögliche weitere Ausbaupläne westdeutsche Investoren zu begeistern. ‚Rourkela hat ein paar Krisen durchgemacht, hat sie aber erfolgreich überwunden.‘ So fasste Birnbaum die schwierige Zeit ab Ende der 1950er Jahre knapp zusammen. Den Problemen, die aus einem eher planwirtschaftlichen Konzept entstanden, stellte er die Qualität der Erzeugnisse auf internationalem Niveau und eine gewissenhafte Verwendung für die Modernisierung der Landwirtschaft gegenüber. (…) Das moderne Bewusstsein war (…) – sichtbar an den indischen qualifizierten Fachkräften – in Indien angekommen. Das gute Verhältnis zwischen der Arbeitgeberseite und den Gewerkschaften vor Ort und eine positive Sicht auf die Deutschen rundeten die PR-Maßnahme ab.

(Franke 2017, S. 155f., unter Bezugnahme auf: Birnbaum: Rourkela stärkt deutsches Prestige. In: Süddeutsche Zeitung. 13.1.1967)

1969, im Herbst, wurde das Werk Rourkela II eingeweiht. Die Zeitungen – so resümiert Haubold 2020a, S. 11 – „schrieben nicht mehr vom kranken Kind, sondern von der ‚Perle Orissas‘. Für die ‚Far Eastern Economic Review‘ in Hongkong war Rourkela ein ‚erwachender Gigant‘ und der Londoner ‚Observer‘ meinte, die Deutschen hätten in einem ‚notorischen Durcheinander‘ begonnen und seien nun ‚bei weitem die Gewinner‘.“

Und weiter:

Die Produktionszahlen für Eisen und Stahl stiegen, sogar Exporterfolge waren zu vermelden. Es wurde immer deutlicher, dass Rourkela das wertvollste der drei Stahlwerke war, das Warten sich also gelohnt hatte. Im Gegensatz zum russischen Bhilai (Eisenbahnschienen) und dem britischen Durgapur (Stab- und Baustähle) liefert Rourkela Flachprodukte (Grob- und Feinbleche, verzinkte Bleche), die von der einheimischen Autoindustrie dringend gebraucht wurden und zu wesentlichen Einsparungen an Devisen verhalfen.

(Haubold 2020a, S. 11)

Die am Ende insgesamt positive Wahrnehmung des einstigen „Problemkindes“ Rourkela bedeutete aber erstens nicht, dass es keine Probleme mehr in der westdeutsch-indischen Zusammenarbeit mehr gegeben hätte. Dies zeigte zum Beispiel „eine Reise deutscher Manager zur Prüfung des Investitionsklimas in Indien 1965.3 Allerdings kamen Verhandlungsansätze für eine tiefgreifende Veränderung beim Aufbau von Gemeinschaftsunternehmen aufgrund der militärischen Auseinandersetzungen zwischen Indien und Pakistan ins Stocken.“ (Tetzlaff 2018, S. 198)

Und es bedeutete zweitens nicht, dass das Framing westdeutsch-indischer Gemeinschaftsprojekte durch die deutsche-deutsche und internationale Ost-West-Auseinandersetzung aufhörte.

1967 reiste der damalige Bundeskanzler Kiesinger zusammen mit etlichen Journalisten nach Südasien.4 Die Teilung Deutschlands und die Konkurrenz mit dem Systemfeind beschäftigten Politiker wie Journalisten. Deshalb galt es, die Anerkennung der DDR nach der geänderten westdeutschen Ost-Politik zu verhindern. Die Bedeutung der Deutschen Frage spielte eine wichtige Rolle im politischen Verhältnis zu den Ländern Südasiens.

(Franke 2017a, S. 393)

Bei solchen Staatsbesuchen (neben dem Bundeskanzler auch von Außen- oder Wirtschaftsministern) oder Wirtschaftsreisen (Industriedelegation unter Hermann Josef Abs etc.) aus Deutschland assistierte das AKI-Pressebüro vor Ort in Indien. So steuerte es das „redaktionelle Material“ für „Sonderbeilagen (…) führende(r) Zeitungen wie dem Financial Express und der Economic Times“ bei. (Haubold 2020a, S. 8f.)

Zehn Jahre nach der Gründung des ‚Press Bureau of German Industry‘ in Delhi gab es keinen leitenden indischen Journalisten, dem das Büro nicht bekannt gewesen wäre. Seine Pressedienste wurden im indischen Unterhaus als ‚vorbildlich‘ gerühmt.

(Haubold 2020a, S. 12)

Schwerpunktverschiebungen in der westdeutsch-indischen Zusammenarbeit

Erhard Haubold – ab Mitte der 1960er-Jahre für die Gemeinschafts-PR der deutschen Industrie in Indien verantwortlich –  weist auf eine Ausweitung der Aufgaben in einem Interview mit Günter Bentele 2020 hin (Haubold 2020c):

Rourkela blieb allerdings immer wichtiger Kommunikationsgegenstand.

„1975 hatte Indiens jährliche Stahlproduktion 6,26 Mio. Tonnen erreicht; Rourkelas Anteil daran betrug etwa ein Sechstel und machte das Werk zu einem der erfolgreichsten in Indien.“ (Unger 2008, S. 383) Wenn auch Rourkela auf die Erfolgsspur gelangt war, viele bundesdeutsche Hoffnungen in die Zusammenarbeit mit Indien erfüllten sich nicht.5

In der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre gerieten zudem andere Projekte in der westdeutsch-indischen Zusammenarbeit in den medial-öffentlichen Fokus. In der AKI-PR „standen einige der neuen großen deutsch-indischen Gemeinschaftsunternehmen (wie Utkal; Siemens India, Bombay; BASF, Bombay) und westdeutsche Entwicklungsvorhaben im Vordergrund.“ (Tetzlaff 2018, S. 208)6 Dies war auch durch einen „Paradigmenwechsel“ in Indien selbst bedingt. Die prekäre Ernährungsmittelsituation verschob die Schwerpunkte von der Industrialisierung zur „Grünen Revolution“, zur Modernisierung der Landwirtschaft (Unger 2008, S. 384ff.)

Abb.: Beilage von The Financial Express. 12.1.1970. Aus der Pressemappe des Press Bureau of German Industry, zur Verfügung gestellt von Erhard Haubold.

Dies änderte aber nichts daran, dass die indisch-westdeutsche Zusammenarbeit auch an der Wende der 1960er- zu den 1970er-Jahren generell gefeiert wurde. Eine Zuarbeit des „Press Bureau of German Industry“ für indische Zeitungen – hier The Financial Express – zieren Statements der ‚politischen Hoffnungsträger‘ Indira Gandhi (Indien) und Willy Brandt (BRD).

Veränderung der Interessen innerhalb des Arbeitskreises der deutschen Industrie

Auch innerhalb des Arbeitskreises der deutschen Industrie differenzierten und veränderten sich die Interessenslagen. Einige PR-Manager aus den Unternehmen wollten den „AKI als Dachorganisation“ ausbauen und „Informationsbüros in den großen Wirtschaftsräumen Asien, Lateinamerika und Mittlerer Osten“ schaffen. 1968 gründete der AKI als „Arbeitskreis Information der Deutschen Industrie“ ein Büro in Teheran, das bis 1975 bestand. Und er setzte einen Repräsentanten in Brasilien ein, der dort bis 1978 arbeitete. BASF, Daimler-Benz und Bayer waren zwischenzeitlich als Mitglieder hinzugekommen (Haubold 2020a, S. 13. Vgl. auch Tetzlaff 2018, S. 209).

Andere PR-Manager meinten, der AKI habe seine Zeit gehabt und sich durch seine gute Arbeit selbst überflüssig gemacht. Die GHH (unter PR-Chef Jürgen Burant) und Siemens (unter PR-Chef Alexander Grossmann) stiegen aus. (Haubold 2020a, S. 13)

Trotz der meist erfolgreichen Arbeit im Umfeld neuer Anforderungen der deutschen Industrie in Indien wurde der AKI zusehends weniger wichtig und seine Aktivitäten Ende 1971 schließlich komplett eingestellt.

(Tetzlaff 2018, S. 209)

„Stattdessen sollte die indische Presse zukünftig in sehr viel geringerem Umfang über einen Kontaktmann der Deutsch-Indischen Handelskammer mit deutschen Wirtschaftsnachrichten versorgt werden.7 Dieses jähe Ende des AKI hatte bereits seine langen Schatten vorausgeworfen. Es stand unmittelbar mit der Einschätzung westdeutscher Wirtschaftsakteure in Verbindung, dass die Chancen der deutschen Industrie in Indien gering waren und das Interesse am indischen Markt damit weiter zurückging.“ (Tetzlaff 2018, S. 209)

 

 

 

 

Autor(en): T.L.

Anmerkungen

1 Nach dem Ende seiner Tätigkeit für das Pressebüro der deutschen Industrie 1971 wechselte er als Pazifik-Korrespondent zur Neuen Zürcher Zeitung nach Sydney (1972-1980). Von 1980 bis 2002 war er Asien-Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in Sydney, Singapur und Delhi. Er ist Mitinitiator des „Deutsch-Indischen Forums Berlin“, einer bilateralen Initiative zwischen Deutschland und Indien. Vgl. Haubold 2020a, S. 1f. In seinerzeitigen Medienartikeln unterzeichnete er als E.F.K. Haubold. 2 „Beträchtliches Echo in der indischen Hauptstadt erzeugte eine Journalistenreise nach Deutschland im Jahr 1967, zu der wir ein Dutzend der Wirtschaftsredakteure der führenden Tageszeitungen und Fachzeitschriften eingeladen hatten. Die Reise begann mit einem Besuch der Hannover-Messe und führte, mit durchaus luxuriösen Etappen wie einer Schiffsfahrt auf dem Rhein, in die Hauptquartiere aller AKI-Firmen und dauerte zwölf Tage.“ (Haubold 2020a, S. 10f.) 3 Ausgewertet von der Arbeitsgemeinschaft Entwicklungsländer und der Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Exporteurvereine. Vgl. Tetzlaff 2018, S. 198. 4 „Die Regierung unter Kiesinger wollte (…) auch ihren Teil dazu beitragen, dass westdeutsche Bauunternehmen nach dem Bau des Mangla-Staudamms an der lukrativen Vergabe von Aufträgen beim geplanten Bau des Tarbela-Staudamms in Pakistan beteiligt würden. Diese über Kredite finanzierten Bauvorhaben entsprachen der Modernisierungspolitik in beiden großen südasiatischen Ländern und sollten zudem den indisch-pakistanischen Streit um die Wasserrechte schlichten helfen (…), von deren Sicherung die Landwirtschaft beider Staaten mit der einsetzenden Grünen Revolution und dem damit verbundenen immensen Wasserverbrauch zunehmend angewiesen war.“ (Franke S. 393f.) 5 „Schließlich blieb Anfang der 1970er Jahre nach dem dritten Krieg zwischen Indien und Pakistan im Dezember 1971 und der lange befürchteten Anerkennung der DDR durch Indien 1972 auch bei den Indien und Pakistan gegenüber offenen Journalisten nur mehr Enttäuschung übrig“ (z.B. Natorp und Bode). „Sie drückte sich teilweise bitter in den Artikeln und wenigen Karikaturen aus (…). Indien wurde nicht der erhoffte Bündnispartner, sondern öffnete nun dem innerdeutschen Konkurrenten seine Türen. Die Illusion von Indien als Gesellschaft mit einer alternativen Konfliktlösungsstrategie, die auch die eigene katastrophale gesellschaftliche Vergangenheit ein wenig vergessen ließ, zerstob endgültig.“ (Franke 2017a, S. 396) 6 Vgl. auch Haubold 2020a. Teilweise konträr dazu schreibt Haubold, der das Industrie-Pressebüro von 1966 bis 1971 leitete, aber: „Kern der PR-Arbeit war immer Rourkela. Keine Ausgabe des Newsletters, die nicht über das Stahlwerk berichtet hätte.“ (S. 9) 7 Der Informationsdienst „‚Press, Press, Press‘ wurde noch mehrere Jahre lang von der Deutsch-Indischen Handelskammer in Bombay herausgegeben“ (Haubold 2020a, S. 13).