PR-Maßnahmen im unmittelbaren Fertigstellungsprozess der Werksanlagen 1958-1961

Die von der indischen Werksleitung gesetzte Ereigniskette

Die Inbetriebnahme des Hüttenwerkes in Rourkela war bis zum 1. Januar 1959 geplant. Mannigfaltige Schwierigkeiten und eingetretene Zeitverluste ließen beide Seiten im April 1958 den Fertigstellungstermin verschieben.

Der „Anlauf des Werkes“ vollzog sich schließlich „in vier Etappen“ (Stümpel 1966, S. 76). Daraus ergeben sich mehrere „Teileröffnungen“, die von indischen Akteuren vor Ort aus innerindischen PR-Gründen gesetzt wurden, von den Deutschen aber so nicht gewollt waren. Stümpel (1966, S. 121) weist darauf hin, dass „die indische Werksleitung nicht daran gehindert werden (konnte), in Hinblick auf die politische Optik und die Konkurrenzlage zu den anderen staatlichen Hüttenwerken jede Anlageneinheit in Rourkela sofort nach Fertigstellung in Betrieb zu nehmen. Hierbei wurde keine Rücksicht darauf genommen, ob dies betriebswirtschaftlich oder technisch sinnvoll war oder ob die Weiterverarbeitung in den nachfolgenden Produktionsstufen schon möglich war.“

  1. „Die Kokerei und Kohlenwertstoffanlage gingen bereits im September und Dezember 1958 in Betrieb. Die Verträge hierzu waren vor dem Gros der übrigen Vereinbarungen abgeschlossen worden.“ (Stümpel 1966, S. 76. Hervorheb. – T.L.)
  2. „Der erste der drei zu errichtenden Hochöfen erzeugte im Januar 1959 das erste Roheisen und wurde am 3.2.1959 in Anwesenheit des Staatspräsidenten Dr. Rajendra Prasad feierlich in Betrieb genommen. Im Stahlwerk nahm der erste Siemens-Martin-Ofen Ende April und der erste LD-Konverter im September 1959 die Rohstahlproduktion auf.“ (S. 77. Hervorheb. – T.L.)
  3. „Als erste Produktionsstufe des Walzwerkes nahm die Block- und Brammenstraße im Dezember 1959 den Walzbetrieb auf, während die offizielle Inbetriebnahme Mitte Januar 1960 stattfand.1 Als nächste Produktionsstufe ging die Grobblechstraße Mitte September 1960 in Betrieb und ermöglichte damit die Herstellung der ersten Fertigerzeugnisse, nämlich Grob- und Mittelbleche.“ (S. 77. Hervorheb. – T.L.)
  4. „Die Gesamteinweihung des Werkes fand nach Fertigstellung der Breitbandstraße, dem Herzstück der gesamten Walzwerksanlage, am 28. März 1961 in Anwesenheit des indischen Ministerpräsidenten Nehru statt.“ (Stümpel 1966, S. 77. Hervorheb. – T.L. Vgl. auch von Friedeburg 1987, S. 115f.)2

Begleitende PR der deutschen Demag

Von 1958 bis 1961 wurde der Fertigstellungsprozess kommunikativ von deutscher Seite mindestens durch das beteiligte Unternehmen Demag begleitet. Der damalige PR-Chef von Friedeburg (1987, S. 116-118) bewertete in einem späteren Erinnerungsbericht die geleistete Kommunikation als überaus strategisch geplant („Langfristkampagne“) und wirksam. Kunczik (1999, S. 559ff.) in einem Überblicksbeitrag zur Geschichte der bundesdeutschen Öffentlichkeitsarbeit zitiert bzw. referiert von Friedeburg und klassifiziert die „Aktion Rourkela“ unkritisch als „eine beispielhafte Kampagne internationaler PR“.

Auch wenn dies sehr wahrscheinlich übertrieben war, zeigten sich die Kommunikationsmaßnahmen als sehr vielfältig. Besonderes Augenmerk widmete die Demag-PR dem „Endspurt“: dem letzten Quartal vor dem Gesamt-Einweihungstermin Ende März 1961.3 Die Planungen dafür begannen ein halbes Jahr vor der Einweihung. Erledigt wurde der „Endspurt“ von „2 Redakteuren mit Sekretariat“, er kostete DM 160.000,-.

Abb.: Titel einer Rourkela-Broschüre. Aus: von Friedeburg 1987, S. 119. In: Bürger, Joachim H.; Joliet, Hans (1987) (Hg.): Die besten Kampagnen: Öffentlichkeitsarbeit. Bd. 1. Landsberg am Lech: Verlag Moderne Industrie. S. 115-119.

Als PR-Instrumente dienten:

  • „eine leichtverständliche Informationsbroschüre in einer Auflage von 50.000 Exemplaren über die Planung und Errichtung des Hüttenwerkes, die Arbeitsweise aller Anlagen und ihre werksinternen Zusammenhänge“4;
  • „20.000 Schautafeln“ für „Schulen und Universitäten“, „die den Produktionsablauf im Werk und die Weiterverarbeitung von Flachstahl zu Gebrauchsgütern darstellten“;
  • „15-Minuten-Sendungen über Radio Ceylon nach Indien, Burma und Pakistan“5;
  • „Zwei Monate lang erschienen 1/4-Seite-Anzeigen in 6 überregionalen indischen Tageszeitungen, denen am Einweihungstag 1/1-Anzeigenseiten folgten. In gleichem Zusammenhang wurden im Indian Engineer und Indian Iron and Steel Review 1/1- Seiten geschaltet.“6
  • „Eine Sonderausgabe des ‚Demag-Courier‘ in 5.000 Exemplaren fasste das gesamte Aussagespektrum der letzten 2 Jahre zusammen. Sie ging an indische Meinungsbildner, Techniker und Kongressabgeordnete.“
  • „Im Februar /März 1961 (…) besuchte der Pressesprecher der DEMAG die Redakteure aller wichtigen Tages- und Wirtschaftszeitungen in Bombay, New Delhi und Kalkutta zu Vorgesprächen und Interviews.“
  • „46 indische Redakteure wurden zur Einweihung nach Rourkela eingeflogen. Sie nahmen neben Korrespondenten, die auf eigene Kosten kamen, an der Pressekonferenz mit Rundgang am Vortage und an der Einweihung durch Ministerpräsident Nehru teil.“
  • „Parallelversorgung (…) der deutschen Presse (…) Durch die langjährige enge Zusammenarbeit mit der Auslandspresse in Bonn erschienen Berichte in den meisten führenden Zeitungen in aller Welt.“ (von Friedeburg 1987, S. 117f.)

Von Friedeburg (1987, S. 117f.) sah den „Endspurt“ als Erfolg an7, nicht ohne allerdings auf Ressourcenunterschiede zu den sowjetischen „Konkurrenten“, deren „Propagandakampagne“ und die massive staatliche Unterstützung der Sowjetunion für ihre „Propagandisten“ hinzuweisen:

Dazu wurden 250 Staatspropagandisten der UdSSR-Botschaft beigeordnet und die linke und rote Presse in Indien systematisch ferngesteuert. Das Generalmotto war: Die Deutschen sind Kapitalisten und beuten aus. Deutsche Leistungen taugen nichts. Der Westen kolonisiert.

(von Friedeburg 1987a)

Die Abfolge mehrerer Teilfertigstellungen hatte, so von Friedeburg (1987a), den „Sowjets“ in die Hände gespielt: „Die Inbetriebnahme einzelner Baustadien in Rourkela wurde durchweg nur lokal gewürdigt. In Bhilai erschienen Minister und der Botschafter der UdSSR zu gleichen Anlässen und stilisierten sie zu Staatsempfängen mit entsprechend öffentlichem Echo hoch.“

Rourkela als Wettlauf zwischen Bundesrepublik und Sowjetunion

Durch die gleichzeitige Existenz des westdeutschen und des sowjetischen Projektes ergaben sich für die Öffentlichkeit zwangsläufig Vergleichsmöglichkeiten. Journalistische Aufbereitungsroutinen und die internationale Ost-West-Auseinandersetzung begünstigten die Konstruktion eines medialen „Wettlaufes“ zwischen beiden Seiten, der von diesen selbst auch genährt wurde. Trotz aller Probleme und Pannen „gelang es den westdeutschen Ingenieuren (…) angetrieben von persönlichem Ehrgeiz, Rourkela so rasch fertig zu stellen, dass es genau einen Tag vor Bhilai eingeweiht werden konnte.“ (Unger 2008, S. 375)

Dennoch konnten solcherlei Augenblicks-„Erfolge“ nicht die gewünschte Wirkung erzielen, weil daraus auch kontraproduktive Folgen entstanden und sowohl die sowjetische Projektkommunikation (strategisch bewusst) als auch die Arbeitsweise des Journalismus (funktional-systemimmanent) auf Vulgarisierung eigentlich komplexer ökonomischer und technischer Zusammenhänge setzte. Nun konnten die – technisch fortschrittlicheren – Westdeutschen „zwar Roheisen produzieren, aber das nachgeschaltete Stahlwerk war noch nicht fertig“. Das technisch weniger anspruchsvollere sowjetische Projekt hingegen lieferte „täglich steigende Mengen von Stahlblöcken an die indischen Eisenbahnen“ und die „Russen (…) gaben die Zahlen an die Zeitungen durch. Wie in der Sowjetunion zählten auch im Nehru-Sozialismus nur die Produktionsziffern.“ (Haubold 2020a, S. 5)

Die Inder „beobachteten nicht ohne Amüsement den Propagandawettkampf vor dem Hintergrund des Kalten Kriegs“, meinte Haubold 2020a (S. 4). Und weiter: „Nicht wenige Inder sahen darin einen Beweis für die Überlegenheit des kommunistischen Wirtschaftssystems und für Chruschtschow war es, so schrieb der ‚Spiegel‘, die ‚Fortsetzung der bolschewistischen Welteroberung mit friedlichen Mitteln.‘“ (Haubold 2020a, S. 5f.) Offiziell bemühte sich die indische Regierung und Kommunikationspolitik aber durchaus um Fairness bei den Behandlung der verschiedenen ausländischen Investitionen, schätzte Stümpel ein.

In der Absicht, weder beim deutschen noch beim russischen Hüttenwerk einen Vorsprung hinsichtlich der Fertigstellung besonders hervorzuheben, setzte die indische Regierung die offizielle Inbetriebnahme des jeweiligen ersten Hochofens durch den damaligen Staatspräsidenten Dr. Rajendra Prasad in Rourkela für den 3. Februar 1959 und in Bhilai für den darauffolgenden Tag an.

(Stümpel 1966, S. 162)

Das konnte aber nicht verhindern, dass betroffene ausländische Mächte – hier die UdSSR – für sich daraus kommunikatives Kapital schlagen wollten.

Der russischen Propaganda gelang es (…), in allen entscheidenden Tageszeitungen einen groß aufgemachten Bhilai-Artikel einige Tage vor der vorgesehenen offiziellen Einweihung herauszubringen – zwar nicht über den ersten Hochofen, wohl aber über das russische Gesamtwerk im allgemeinen und die – wie in Rourkela – schon seit Monaten in Betrieb befindliche Kokerei im Besonderen. Da dem Laien, in diesem Falle vor allem dem indischen, die Produktionseinheiten eines Hüttenwerkes fremd sind, entstand daher bei der nachfolgenden Rourkela-Einweihung der Eindruck, dass Bhilai hinsichtlich der Fertigstellung mit Abstand vor Rourkela liege. Das Ziel der vorzeitigen russischen Veröffentlichung war damit erreicht.

(Stümpel 1966, S. 162)

Auch habe sich die „sowjetische Botschaft in New Delhi nichts daraus (gemacht), die Erfolge der Deutschen und Engländer herabzusetzen. Dass diese Stelle an den Schmäh- und Schmutzartikeln einer gewissen indischen Presse nicht unbeteiligt war, ist in Rourkela nie bezweifelt worden“. In Rourkela hingegen habe man es „bewusst vermied(en), in den Pressematerialien auf die ‚Konkurrenz‘-Werke der Russen und Engländer anzuspielen“ (Sperling 1965, S. 214)8

Deutschlandpolitisches Framing der Berichterstattung in der Heimat

Die oben aufgeführten (Teil-) Fertigstellungstermine in Indien lagen zwischen 1958 und 1961. Damit fanden sie in einer Zeit statt, die „zuhause“, in Deutschland, zwischen Berlin-Blockade und Mauerbau als sehr spannungsreich erlebt wurde und – wie weiter vorn dargestellt – vor allem in diesem deutschland- und zugleich weltpolitischen Kontext auch zu einer Verschlechterung der westdeutsch-indischen Beziehungen führen sollte.

Zum einen führte das dazu, dass die mediale Wahrnehmung Indiens und der Person Nehrus sowie einschließlich des Rourkela-Themas beispielsweise „durch die Spiegel-Redaktion in der sich von 1959 bis 1961 hinziehenden Berlin-Krise fast ausschließlich konzentriert auf die westdeutsche Gesellschaft erfolgte“ (Franke 2017, S. 104).9 Zum anderen dürfte dies manche mediale Scharmützel und auch verstärkte sowjetische Kommunikationsaktivitäten vor Ort in Indien erklären.

Mindestens ebenso schwierige kommunikativen Herausforderungen traten auch nach der (bzw. den) Fertigstellung(en) auf.

 

 

 

Autor(en): T.L.

Anmerkungen

1 Über die Einweihung im Beisein von Alfried Krupp berichtete zum Beispiel die Neue Deutsche Wochenschau 521/1960 vom 22.1.1960. Im Internet unter: https://www.filmothek.bundesarchiv.de/video/586417?q=&xf%5B0%5D=CustomPlace&xo%5B0%5D=EQUALS&xv%5B0%5D=Rourkela (Abruf am 15.10.2020).

2 Damit hatten die „Unternehmer die vertraglichen Auflagen erfüllt“ und war ihnen „nach erfolgreicher Inbetriebnahme die Übernahme durch den Käufer bestätigt worden“ (Stümpel 1966, S. 77).

3 Von Friedeburg schreibt vom 23. März 1961. Es war aber wohl der 28. März. Vgl. Stümpel 1966, S. 77.

4 „Die Broschüre war mit reichhaltigem Bildmaterial und Schemazeichnungen ausgestattet. (…) Empfänger der Broschüre waren die indische Presse, alle Kongressabgeordneten,·Ingenieur- und technische Fakultäten der 73 indischen Universitäten, Technischen oder Ingenieur-Hochschulen, das Orissa Technische Institut Rourkela, das Trainingszentrum der Hindustan Steel Ltd. in Rourkela, 7800 Meinungsbildende wie Lehrer und Kommunalpolitiker und die Einsender des Anforderungsbons in den Anzeigen.“ (von Friedeburg 1987, S. 117)

5 „5 Wochen lang in der besten Sendezeit“: „Sie waren eine lebendige Mischung von Kommentaren, Nachrichten, Interviews und Diskussionen mit indischen Trainees. Indische Musik untermalte die Aussagen von nur indischen Sprechern.“ (von Friedeburg 1987, S. 117)

6 „Die Thematik aller Anzeigen war der Nutzen des Werkes Rourkela für die indische Volkswirtschaft.“ (von Friedeburg 1987, S. 117)

7 „Die Mühen hatten sich gelohnt. Die Pressevorberichterstattung und die Anzeigen erreichten in 2 1/2 Monaten 3,5 Mio. Leser. Über die Einweihung berichtete die gesamte indische Presse und All India Radio.“ (von Friedeburg 1987, S. 117f.)

8 Dazu auch von Friedeburg (1987a): Die „Sowjetpropagandisten“ hätten sich nicht davon abhalten lassen, „mit einem Trommelfeuer an Telexmeldungen und Pressediensten in der indischen Tagespresse die eigenen Leistungen zu rühmen und permanente Schwierigkeiten beim Bau des Werkes Rourkela zu erfinden. Das schloss sogar die Verunglimpfung einzelner deutscher Monteure wegen ‚amoralischer Allüren‘ ein.“

9 „Auch weitere kulturelle und wirtschaftliche Bezugspunkte zu Indien, die sich in transnationalen Begegnungen wie dem Bau des Stahlwerks in Rourkela und einer sich anschließenden Debatte um Erwartungen und Fehlverhalten manifestierten, wurden von der SPIEGEL-Redaktion und dem Publikum nur mit Bezug auf die eigene Gesellschaft thematisiert. (Dazu Fußnote: ) Zu Rourkela wurden eine Spiegel-Story sowie im Anschluss daran etliche Leserbriefe veröffentlicht – der Fokus lag auf der Wahrnehmung der Deutschen sowie auf ihrem Verhalten im Vergleich zu den Russen. N.N., Leserbriefe Duell im Busch. In: Der Spiegel, 13.4.1960; N.N., Russen auf dem Dach, In: Der Spiegel, 30.3.1960.“ (Franke 2017, S. 104)