Rourkela der 1960er-Jahre: Gemeinschaftliche PR der deutschen Wirtschaft (I: insbesondere Phase bis Mitte der 1960er)

Um 1960 Diagnose fundamentaler Kommunikationsprobleme

Um 1960 wurden öffentlich-medial erstmals deutlich auch Aspekte (fehlender) professioneller PR-Kommunikation unter den Rourkela-Problemen benannt. So arbeitete Der Spiegel 1960 eine „verhängnisvolle verweigerte Kommunikation der am Bau beteiligten Firmen und der Deutschen Botschaft in Indien, die der russischen Propaganda in die Arme spielte“, heraus (in den Worten von Franke 2017, S. 146). Anlässlich der Einweihung des Stahlwerks 1961 wies ein Autor in Die Zeit „auf die Notwendigkeit von PR-Maßnahmen als Reaktion auf begründete sowjetische Propaganda und ihre Wirkung in der indischen Öffentlichkeit“ hin (Franke 2017, S. 149f.).1

Dass nun teilweise drastisch auf Kommunikationsmängel hingewiesen wurde, hängt auch damit zusammen, dass das Projekt nach den Teilfertigstellungen von 1958 bis 1961 in eine neue Phase überlief. Das Werk musste dauerhaft erfolgreich betrieben und weiterentwickelt werden, dafür versprachen sich deutsche Firmen neue Aufträge. In dieser Situation war ein schlechtes Image Gift für die interessierten Unternehmen und die Bundesrepublik insgesamt.

Erst 1960 wurde „eine eigene Pressestelle der deutschen Industrie in New Delhi zur Wahrnehmung der Rourkela-Interessen geschaffen sowie seitens der Bundesregierung ein spezieller Pressereferent zum deutschen Generalkonsulat nach Calcutta entsandt“ (Sperling 1965, S. 213. Vgl. auch Stümpel 1966, S. 163, und Haubold 2020a, der allerdings sogar erst 1961 als Einrichtungsjahr der Pressestelle nennt). 1961 dürfte das realistischere Jahr darstellen, da Der Spiegel 1960 schrieb:

Bis heute haben sich die deutschen Firmen in Rourkela nicht auf einen Journalisten für ihre Pressestelle einigen können. In Bhilal sind sechs indische Journalisten für die Russen tätig.

(Spiegel 1960, S. 33)

Gründung des Arbeitskreises Indien (AKI) 1960

Abb.: Berthold Beitz auf einem Foto von 1986 der DDR-Nachrichtenagentur ADN (Auszug). Beitz, Berthold: Präsident der Krupp-Stiftung, Aufsichtsratsvorsitzender Krupp GmbH, auf einem Empfang des Leiters der Ständigen Vertretung der DDR in der BRD. Quelle: Bundesarchiv Bild 183-1986-0226-333, Bonn, Besuch Volkskammer-Delegation, Sindermann.jpg: Bearbeitet von Sir James / Wikimedia Commons, Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland“ (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.de)

Die Industrie-Pressestelle in der indischen Hauptstadt („Press Bureau of German Industry“) war Teil des von an Rourkela beteiligten Unternehmen gebildeten Arbeitskreises Indien (AKI) e. V. Gegründet worden war der AKI am 10. Mai 1960 von den „Firmen Krupp, Demag, GHH, Mannesmann, Siemens und AEG in Essen“.2 Die Idee dazu schreibt Haubold 2020a (S. 6) der Firma Krupp zu: „‘What to do?‘“, habe „Berthold Beitz, Generalbevollmächtigter des Krupp-Konzerns seinen PR-Chef Georg-Volkmar Graf Zedtwitz-Arnim“ in Kenntnis der schwierigen Kommunikationssituation um Rourkela gefragt. „Das war die Initiative“ für den AKI. Beitz habe die Qualifizierung der projektbezogenen PR angeschoben, weil er sich – im Unterschied zu sonstigen Firmenlenkern – als „politischer CEO“ verstanden habe, was sich beispielsweise auch in seinem Osteuropa-Engagement zeigte (Haubold 2020b, 00:25:30).

„(G)eführt wurde der AKI jeweils für ein Jahr von einem der PR-Chefs, neben Zedtwitz-Arnim (Autor des Erfolgsbuchs ‚Tu Gutes und rede darüber‘), Reinhard von Eichborn (Mannesmann), Jürgen Burandt (GHH), Horst Hosman (Siemens), Friedrich von Friedeburg (Demag) und Matthias Schmidt (AEG).“ Der anfängliche Jahresbeitrag pro Firma betrug 10.000 Deutsche Mark (DM). (Haubold 2020a, S. 7)

Ziel des AKI bestand darin, „eine wirkungsvolle Meinungspflege über die Tätigkeit der deutschen Industrie in Indien auszuüben, insbesondere hinsichtlich der mit dem Hüttenwerk Rourkela zusammenhängenden Probleme.“ (Haubold 2020a, S. 6) Der AKI unterhielt außerdem eine Dependance der Pressestelle in Rourkela3 und eine Vereinsgeschäftsstelle in Deutschland, „die fortan miteinander kommunizierten und über die deutsche Wirtschaft informierten“. „Dabei sollte die Public Relations-Arbeit nicht von den Unternehmen direkt ausgehen, sondern von einer Organisation, die nicht unmittelbar mit Rourkela in Verbindung gebracht werden konnte.“ (Tetzlaff 2018, S. 207)

Mit dieser neuen Organisationsform „wollten die Unternehmen versuchen, den Beitrag der deutschen Industrie zur indischen Wirtschaft künftig besser zu präsentieren und somit den deutschen Geschäftserfolg in Indien sicherzustellen“. Der unmittelbare Auftrag des AKI „bestand darin, über verschiedene Wege der Pressearbeit und Veranstaltungsorganisation das PR-Problem Rourkelas zu entkräften. Ausgemachte Ziel war es, die öffentliche Wahrnehmung von deutschen Unternehmen und deutscher Industrie positiv zu beeinflussen und wieder in ein investitionsförderndes Licht zu stellen.“ (Tetzlaff 2018, S. 207)

Erhard Haubold – der die Pressestelle des AKI in Indien nicht von Anfang an, aber ab 1966 leitete – beschreibt die Aufgaben des „Press Bureau of German Industry“ in Neu Delhi in einem Interview, das Günter Bentele – der Herausgeber des PR-Museums – mit ihm am 4. Juni 2020 führte (Haubold 2020c).

AKI-Pressestelle und -arbeit von 1961 bis Mitte der 1960er-Jahre

Abb.: Auszug aus dem Informationsdienst „Press, Press, Press“ (PB-304 vom 1. März 1966) mit dem Verweis auf Strobls Redaktionstätigkeit von 1961 bis 1966. Aus der Pressemappe des Press Bureau of German Industry, zur Verfügung gestellt von Erhard Haubold.

Anfangs – laut Haubold 2020a (S. 7) ab 1961 – wurde die Pressestelle von Josef (oder Joseph) W. Strobl geleitet. Sein Nachfolger hat ihn als „erfahrenen Publizisten“ charakterisiert, dennoch ist von heute aus wenig über ihn in Erfahrung zu bringen.4 Strobl wollte indische Meinungsbildner nach Deutschland bringen und „plante (…) die erste Reise indischer Journalisten in das Ruhrgebiet und nach Berlin“. In seinem ersten Bericht an den AKI problematisierte er aber auch die strategischen Vorteile, die die Engländer – und damit das englische Stahlwerk-Projekt Durgapur – in ihrer ehemaligen Kolonie haben. Pannen in Durgapur „würden mit keinem Wort in der Öffentlichkeit erwähnt“ (Haubold 2020a, S. 7).

Strobl schätzte selbst ein, dass sich die AKI-PR zunächst in einer „defensiven Ausgangsposition“ befand. Aber sie konnte „1963 in die Offensive übergehen. Als das Rourkela-Bild positiv zu erstrahlen begann, konnte die Betonung auf die zukünftige Erweiterung gelegt werden“ (Strobl 1966. Zitiert nach Tetzlaff 2018, S. 208). Allerdings bedeutete dies keinen Erfolg auf der ganzen Linie: „Wenn der AKI in seiner Anfangsphase auch einen Teil der negativen Stimmung in der Öffentlichkeit entkräften konnte, so bestanden in den 1960ern und 1970ern weiterhin Vorbehalte gegen die deutsche Industrie und gegen eine höhere Beteiligung Deutschlands am Ausbau Rourkelas.“ (Tetzlaff 2018, S. 208)

Mit der Tätigkeit des AKI hörten also die Probleme nicht plötzlich auf. Denn auch technische Pannen und Kritik in der indischen Presse an dem deutsch-indischen Großprojekt verschwanden nicht.

Aber ab 1960 war mehr positive publizistische bzw. politisch-behördliche Aktivität zu bemerken, die allerdings nicht immer sicher auf die neuen PR-Strukturen zurückgeführt werden kann. „Die ‚schlechte‘ Presse, die Rourkela, vor allem in den Jahren 1959 und 1960 in Deutschland hatte, veranlasste (…) hohe indische Beamte und auch deutsche Journalisten dazu, sachliche Richtigstellungen vorzunehmen.“ (Sperling 1965, S. 215) Eine wichtige Rolle spielten dabei Publizisten, die relevanten Akteuren nahestanden oder aus eigener Überzeugung bestimmte Botschaften vermitteln wollten.

Instrumente der AKI-PR in den 1960er-Jahren

1960 fanden mindestens zwei Pressereisen statt. „Noch im Februar 1960 hatte eine Gruppe westdeutscher Journalisten das Werk besucht und überlegt, was unternommen werden könne, ‚um künftige propagandistische Nachteile – insbesondere im Hinblick auf den Wettstreit mit dem sowjetischen Unternehmen in Bhilai – zu vermeiden.‘ Mehrere von ihnen veröffentlichten nach ihrer Reise Berichte, in denen sie ein positives Bild von Rourkela zeichneten. Mitglieder der Gruppe waren u. a. Klaus Mehnert5 und Giselher Wirsing6.“ (Unger 2008, S. 380)

Der Arbeitskreis Indien (AKI) der deutschen Industrie, in Person von „Zedtwitz-Arnim und Kollegen“, lud Ende 1960 „fünf führende Journalisten (unter ihnen Eick von der FAZ, Hunck vom Handelsblatt und Slotosch von der SZ) zu einer Reise von mehreren Wochen durch Indien ein(…)“ (Haubold 2020a, S. 6).7

Auch in den nächsten Jahren organisierte das AKI-Büro „Journalistenreisen nach Deutschland und innerhalb Indiens“ sowie „Pressekonferenzen und Empfänge für Indien-Reisende aus den Vorstandsetagen der Mitgliedsfirmen“ (Haubold 2020a, S. 10).8

Abb.: Auszug aus dem Informationsdienst „Press, Press, Press“, hier aus dem Jahre 1966. Er erschien seit 1961. Aus der Pressemappe des Press Bureau of German Industry, zur Verfügung gestellt von Erhard Haubold.

Wichtigstes formelles Instrument der Pressearbeit des AKI ab 19619 war der wöchentliche Informationsdienst „press, press, press“ des „Pressebüros der Deutschen Industrie“ in Neu-Delhi. Er kam „mit drei bis vier Schreibmaschinenseiten heraus“ und ging „in 1.200 Exemplaren an alle indischen Tageszeitungen und Fachzeitschriften, an Rundfunk und Fernsehen, indische Abgeordnete, Universitätsbibliotheken und diplomatische Vertretungen (…) Die erste Seite (…) enthielt Informationen zum sofortigen Abdruck in der Tagespresse. Die anderen Seiten brachten Hintergrund vor allem für die Fachpresse (Stahl-, Elektro- und Chemische Industrie). Weitere Dienste erschienen in den Vernakularsprachen10 Hindi, Gujarati und Maharathi.“ (Haubold 2020a, S. 8)

Abb.: Auszug II aus dem Informationsdienst „Press, Press, Press“, hier aus dem Jahre 1966. Aus der Pressemappe des Press Bureau of German Industry, zur Verfügung gestellt von Erhard Haubold.

Außerdem verfasste das Pressebüro mindestens einmal im Monat einen Bericht für Deutschland – insbesondere die AKI-Geschäftsführung – „über die politisch-wirtschaftliche Lage im Gastland, der auch an den BDI, die KfW und die Journalisten Hunck (Handelsblatt), Wirsing (Christ und Welt), Penzlin (Die Welt) sowie Natorp (FAZ) gesandt wurde. Auch nach Asien ausreisenden deutschen Diplomaten wurden diese Hintergrund-Informationen zur Verfügung gestellt.“ (Haubold 2020a, S. 10)

Am wirksamsten aber – so Haubold 2020a (S. 10) – waren „‘barefoot PR‘, enge persönliche Beziehungen zu den führenden opinion makers. Es gab kaum einen Tag ohne ein Treffen mit einem indischen Kollegen, kaum einen Samstag ohne einen längeren Besuch im Press Club of India“.

Erhard Haubold hat sich zu den in den 1960er-Jahren eingesetzten PR-Instrumenten und ihrer Wirksamkeit auch in einem Interview mit Günter Bentele 2020 geäußert (Haubold 2020c).

 

 

 

 

Autor(en): T.L.

Anmerkungen

1 „Der Autor verwies dabei auf Verdrängungsabsichten innerhalb der 1959 neugegründeten Gesellschaft für Entwicklungsländer (…). (Fußnote: ) Diese Gesellschaft wurde 1973 in Deutsche Stiftung für Entwicklung (DSE) umbenannt. 2002 fusionierte dieser Teil der deutschen entwicklungspolitischen Institution mit der Carl-Duisburg-Gesellschaft als Internationale Weiterbildungs- und Entwicklungs GmbH (In-Went). 2011 wurde daraus die Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ).“ (Franke 2017, S. 149)

2 So auch Tetzlaff: „Zu den beteiligten Unternehmen zählten Krupp, Demag, Gutehoffnungshütte, Siemens-Schuckertwerke AG, AEG, Mannesmann und das German Social Centre e.V., Essen, ein Zusammenschluss von 36 weiteren deutschen Rourkela-Firmen.“ (Tetzlaff 2018, S. 207, nach Archivalien des RWWA) Über das GSC siehe auch an anderer Stelle in unserer Abhandlung.

3 „Ohne Internet und mit miserablen Telefonverbindungen mussten die Fakten vor Ort erhoben werden, in Gesprächen mit deutschen Bauleitern und führenden Ingenieuren beider Seiten. Man flog (von Neu-Delhi) nach Kalkutta (drei Stunden) und nahm dort den Nachtzug ‚Howrah Express‘ (zehn Stunden), mit dem man am frühen Morgen im einstigen Dschungeldorf (Rourkela) ankam.“ (Haubold 2020a, S. 9)

4 Als Autor eines Aufsatzes über „Weltbank und Weltbevölkerung“ hat er – in einer Publikation der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen Bonn –  als (Dr.) J. W. Strobl gezeichnet. Wenn keine Namensverwechslung vorliegt, war er in den 1970ern Mitarbeiter der International Finance Corporation (IFC) mit Sitz in Washington, einer internationalen Entwicklungsbank als Teil der Weltbankgruppe. In einer Liste ehemaliger deutschsprachiger Weltbank-Mitarbeiter von 2012 taucht ein Joseph W. Strobl mit Betriebszugehörigkeit 1968-82 und Wohnsitz im österreichischen Tirol sowie Todesjahr 2012 auf. Siehe: https://www.yumpu.com/de/document/read/6578889/50-schrift-new-york-18-l (Abruf am 15.10.2020). Dass Strobl Österreicher und in verschiedenen Angelegenheiten für die Weltbank tätig war, bestätigt auch Haubold 2020b (00:54:30ff.).

5 Mehnert (1906-1984) war Journalist und Hochschullehrer, Russland- und Osteuropa-Kenner sowie Weltreisender und Kanzlerberater. „Seit 1949 gehörte er der Redaktion der Wochenzeitschrift Christ und Welt an, seit 1950 war er außenpolitischer Kommentator des Süddeutschen Rundfunks, 1951 übernahm er die redaktionelle Leitung der wiedergegründeten Zeitschrift Osteuropa, und seit 1963 berichtete er im deutschen Fernsehen regelmäßig über die politische Lage.“ (Wikipedia 2020: https://de.wikipedia.org/wiki/Klaus_Mehnert ) Vgl. auch Franke 2017, S. 65.

6 „Giselher Wirsing (1907–1975) gilt in der zeitgenössischen und wissenschaftlichen Wahrnehmung als einer der einflussreichsten Indien-Experten in den 1950er und 1960er Jahren.“ (Franke 2017, S. 63) Wirsing war bereits in der NS-Zeit erfolgreicher Journalist, Osteuropa- und USA-Kenner. „Noch 1948 war Wirsing Mitbegründer der evangelisch-konservativen Wochenzeitung Christ und Welt, einem ab 1949 offiziellen Blatt der Evangelischen Kirche, deren Chefredakteur er 1954 wurde (…) und bis 1970 blieb. Es gelang ihm, sie zur auflagenstärksten Wochenzeitung der Bundesrepublik (bis 1963) zu entwickeln.“ (Wikipedia 2020: https://de.wikipedia.org/wiki/Giselher_Wirsing )

7 Neben Pressereisen veranstaltete der AKI auch „Rourkela-Seminare“, so 1965 im Schlosshotel Hugenpoet. Vgl. Haubold 2020a, S. 6.

8 Dabei wurde mitunter auch dem politisch-ideologischen und ökonomischen Konkurrenten DDR ein „Schnippchen“ geschlagen: „(W)ir waren nicht selten in der Lage, von der DDR eingeladene Journalisten zu einem anschließenden Besuch der Bundesrepublik und vor allem Westberlins zu gewinnen, was Geld sparen half und der Bonner Diplomatie nicht möglich gewesen wäre.“ (Haubold 2020a, S. 10)

9 Das Erscheinen ab 1961 lässt sich aus einer kleinen Notiz im Informationsdienst PB-304 vom 1. März 1966 schließen: “Dr. J. W. Strobl, Press Officer of German Industry in India and, for the past five years, editor of this news service, will be leaving India by the end of the month.”

10 Bezeichnung für nicht standardisierte Sprachvarietäten innerhalb eines Sprachgebiets.