Die westdeutsche Position verbessernde politische, ökonomische und soziale Aktivitäten in der ersten Hälfte der 1960er-Jahre

Staatliche Stellen der Bundesrepublik erhöhten ihr Rourkela-Engagement

Mehr Offensivität bei der Kommunikation westdeutscher Positionen zu tatsächlichen oder vermeintlichen Fehlern beim Indien-Engagement der Wirtschaft wurde auch möglich, weil eine von der Bundesregierung nach Rourkela entsandte Expertengruppe „unter Leitung des Ministerialdirigenten Walter Solveen“ im März 1962 einen „katastrophalen Zustand“ vorfand und die Mängel sowie Verantwortlichen klar benannt hatte (Spiegel 1966).

Für die Mängel, darunter auch die seit zwei Jahren (von den Westdeutschen – T.L.) versprochene Entsendung eines Betriebsteams, wurde auch auf direkten Wunsch von Bundeswirtschaftsminister Erhard die für Verwaltung und Betriebsführung zuständige staatliche indische Stahlgesellschaft Hindustan Steel Limited verantwortlich gemacht.

(Franke 2017, S. 148)

Der „Bericht ging als amtliche deutsche Stellungnahme an die indische Regierung, und diese hat ihn jetzt zur Grundlage einer drastischen Reorganisation ihrer staatlichen Stahlwirtschaftsverwaltung gemacht“ (Berg 1962).

Der Expertenbericht der sechs „Hüttenfachleute“ (Spiegel 1966) wurde nicht zufällig „unter Führung des Bundeswirtschaftsministeriums“ sowie im Juli 1962 und damit „fünf Monate vor dem Besuch von Bundespräsident Heinrich Lübke“ in Indien veröffentlicht. Man wollte – gemeinsam mit den Indern – die Probleme endlich abräumen, künftige Pannen vermeiden und nicht den Staatsbesuch damit trüben. „(D)iplomatische(n) Pannen, die zu einem Kreditangebot durch die Sowjetunion führten, waren bereits beim Besuch von Finanzminister Desai in der BRD 1960 überdeutlich geworden.“ (Franke 2017, S. 148)

Ökonomische und politische Entwicklungen spielten letztlich der Bundesrepublik in die Hände

Abb.: Unterzeichnung eines Vertrags über eine weitere Stundung aus dem Rourkela-Geschäft. Unterzeichnet wurde durch den Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, Dr. Hilger van Scherpenberg, und den indischen Botschafter in der Bundesrepublik Deutschland, P. A. Menon. Quelle: Bundesarchiv, B 145 Bild-F009589-0008 / Steiner, Egon / CC-BY-SA 3.0 / Wikimedia Commons, Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Germany (https://creativecommons.org/licenses/bysa/3.0/de/deed.en) license.

Dass sich die westdeutsche Position weiter und wesentlich verbesserte, obwohl sie zwischenzeitlich sogar wieder gefährdet war, hängt mit ökonomischen Veränderungen – einschließlich Auseinandersetzungen darum zwischen westlichen Geberländern – vor allem zwischen Mitte 1961 und Mitte 1962 zusammen. Diese wurde auch über die Medien ausgetragen. Zunächst zur Vorgeschichte:

(…) Ende der 1950er Jahre (war) deutlich (geworden), dass Indien seinen finanziellen Verpflichtungen gegenüber seinen internationalen Gläubigern nicht nachkommen konnte. Die Umsetzung des dritten Fünf-Jahres-Plans schien ohne internationale Unterstützung nicht möglich.

(Franke 2017, S. 152)

Ein 1958 gegründetes „Aid-India-Konsortium“ westlicher Exportnationen unter Führung der USA zur Vergabe zinsgünstiger Kredite wollte damit „auf eine mögliche Gefährdung des profitablen indischen Absatzmarktes und damit mutmaßlich günstigen Einflussmöglichkeiten der Sowjetunion“ reagieren.

Da die Bundesrepublik zunächst nicht teilnehmen wollte, wurde in Indien das „Bild des geizigen Deutschen“ bemüht, „das durch die Pressekampagne der USA auch in die indische Öffentlichkeit getragen worden war. Bundeskanzler Adenauer und Wirtschaftsminister Erhard waren so auch Teil einer in Indien geführten Debatte geworden.“ (Franke 2017, S. 152)

Erst nachdem die Bundesregierung den Wünschen der US-Regierung zur Beteiligung am Aid-India-Fonds entsprochen hatte, konnte Bonn auch öffentlich gegen die rufzerstörende Pressekampagne in Zeiten der sich zuspitzenden deutsch-deutschen Konkurrenz vorgehen.

(Franke 2017, S. 152)

Der Bundesrepublik kam zudem ein politisches „Eigentor“ der Inder zupass:

Die Entscheidung der indischen Regierung unter Nehru, die portugiesische Exklave Goa militärisch anzugreifen, führte auf politischer und wirtschaftlicher Ebene dazu, dass Indien bei den westlichen Nationen Ende 1961 plötzlich isoliert war und auch weitere Zahlungen aus dem Aid India-Fonds in Frage gestellt wurden. Die BRD war nun zu einem wichtigen Zünglein an der Waage geworden.

(Franke 2017, S. 153)

Rourkela-Folgeauftrag ging an die bundesrepublikanische Wirtschaft

1960 hatte der Spiegel noch gewarnt, „(i)n Rourkela stehen die Russen bereits auf dem Dach“, (Spiegel 1960, S. 34) und mit dieser Aussagen sogar seine Titelstory überschrieben. Zwei Jahre später sah das ganz anders aus:

„Es ist ein Beweis für das wachsende Vertrauen auf beiden Seiten, dass auch der Ausbau von Rourkela wiederum deutschen Firmen angeboten worden ist (…)“ (Berg 1962. Zitiert nach Franke 2017, S. 149) – „trotz des russischen Gegenangebotes“ (Franke 2017, S. 154). „Bundespräsident Lübke konnte sogar bei seinem Besuch des Stahlwerks Ende 1962 (…) die Bedingungen für die weitere Zusammenarbeit, deren (sic!) Kredite als Hilfe gesehen wurden, diktieren.“ (Franke 2017, S. 154)1

Mehr Kümmern um soziale Belange und Folgen

Nachdem der Folgeauftrag gesichert, also die ökonomisch-technische Flanke befestigt war, kam nun auch die soziale Flanke des Projekts zu größerer Beachtung.

Um Rourkelas soziale und politische Missstände zu beheben, gab der Interministerielle Ausschuss für Bildungs- und Sozialhilfe des Bundestages 1963 ein Gutachten über ‚Begleiterscheinungen der Industrialisierung im sozialen Bereich im Raume Rourkela (Indien)‘ in Auftrag.

(Unger 2008, S. 381)

Abb.: Rourkela heute (Stand 2011). Adding another beautiful landmark to the steel city, Mr.S.N.Singh, MD, Rourkela Steel Plant (RSP) inaugurated ‘Suraksha Path’ a splendid steel-made foot over bridge the first of its kind in the state in front of the Indira Gandhi Park on 17th May. Foto: Akilola. Quelle: Wikimedia Commons, Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported (https://creativecommons.org/licenses/b y-sa/3.0/deed.en), 2.5 Generic (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.5/deed.en), 2.0 Generic (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/deed.en) and 1.0 Generic (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/1.0/deed.en) license.

Ausgehend von einer kritischen Analyse entwickelten die Gutachter ein „Drei-Stufen-Programm sozialer Maßnahmen“.2

Vielleicht wichtiger als die recht schematischen Reformmaßnahmen war die mit dem Gutachten verbundene Einsicht in die entwicklungspolitischen Herausforderungen, die ein Industrialisierungsprojekt wie Rourkela mit sich brachte.

(Unger 2008, S. 382f.)

„Dass es in der zweiten Hälfte der Sechzigerjahre gelang, das Stahlwerk zur beinahe vollständigen Auslastung zu führen, die technische Leitung Ende 1965 in indische Hände zu übergeben und die Zahl des westdeutschen Fachpersonals auf 40 zu reduzieren, weist darauf hin, dass sich die Investitionen in die Verbesserung der sozialen Verhältnisse auszahlten.“ (Unger 2008, S. 383)

 

 

Autor(en): T.L.

Anmerkungen

1 „Vor dem deutschen Klub deutete der Bundespräsident an, dass die Kapazität des Werkes mit deutscher Hilfe von 1,2 auf 1,8 Millionen Tonnen jährlich erhöht werden soll. Für den Ausbau stünden 450 Millionen DM zur Verfügung, wenn Indien drei deutsche Bedingungen erfülle: 1. Bessere Versorgung mit Transportmitteln, 2. Beschaffung ausreichender Ersatzteile, 3. Änderung in der Leitung des Unternehmens.“ (Natorp, Klaus: Lübke verspricht Hilfe für Rourkela. In: Deutsche Zeitung. 8.12.1962. Zitiert nach: Franke 2017, S. 154)

2 „Es sah vor, Sozialarbeiter, Fachkräfte zur Arbeiterbildung und Lehrkräfte, einen Arzt sowie Ausstattungs- und Notfallhilfen nach Rourkela zu entsenden und die westdeutsch-indischen Beziehungen zu verbessern. Dazu sollte u. a. ein Entwicklungsprojekt im alten Teil der Stadt Rourkela durchgeführt werden, um die dortigen Lebensbedingungen zu erleichtern.“ (Unger 2008, S. 382)