Das Rourkela-Image in den Medien verbesserte sich in der ersten Hälfte der 1960er-Jahre (vor allem ab 1963)
Positive Anzeichen Anfang der 1960er-Jahre in westdeutschen Medien: Akteursnahe Publizisten bzw. solche in eigener Mission
Mehnert und Wirsing – beide waren im Februar 1960 auf Pressereise in Rourkela gewesen – schrieben 1960 in „Christ und Welt“ über „vier ganze Seiten von Rourkela“ (Sperling 1965, S. 215):
Viel Kritisches ist über Rourkela in der Presse geschrieben worden. Wir möchten diesen Bericht nicht schließen, ohne ausdrücklich zu sagen, dass die Deutschen in Rourkela unter schwersten klimatischen und organisatorischen Bedingungen ihren Mann gestanden haben und dass ihnen Dank und Anerkennung für eine große Leistung gebührt. Wer das Werk gesehen und die gewaltigen Möglichkeiten, die es für Indien bietet, kennengelernt hat, müsste ein kleinlicher und engherziger Mensch sein, wenn er nur über einige Pannen mäkeln würde (…).
(Mehnert, Klaus; Wirsing, Gieselher: Der große deutsche Problemfall Rourkela. Eine kritische Untersuchung über Leistungen und Mängel beim größten deutschen Industrie-Auftrag im Ausland. In: Christ und Welt. 25. Februar 1960. Zitiert nach: Sperling 1965, S. 215)
Beide Autoren verfolgten offensichtlich eine „Mission“1, was ein Jahr später noch sichtbarer wurde. „Giselher Wirsing konzentrierte sich in der Juli-Ausgabe 1961 von Indo Asia“ – Vierteljahreshefte für Politik Kultur und Wirtschaft der Deutsch-Indischen Gesellschaft – „schwerpunktmäßig auf Rourkela. (…)“
(…) Bereits im Vorwort machte er deutlich, worum es ihm ging. ‚Dieses Heft erscheint zu einem Zeitpunkt, zu dem Entschlüsse über die Erweiterung des Hüttenwerks Rourkela gefasst werden müssen.‘ Wirsing setzte bei seiner Rechtfertigungs- und PR-Aktion auf die maßgebliche finanzielle deutsche Beteiligung an der Vergabe neuer Kredite durch das Aid India-Konsortium und auf die Kompetenz von an indischen Stellen bekannten Fachleuten über ihre eigenen Aufsätze in Indo Asia. Alle Artikel inklusive des Vorwortes erschienen zudem in englischer Übersetzung.
(Franke 2017, S. 150)
Einer der Journalisten, die sich um eine Korrektur am negativen „Drall“ der Berichterstattung um Rourkela bemühten, hieß Thilo Bode.2 Bode war allerdings zunächst seit 1952 im Auswärtigen Dienst und durch seine Tätigkeit als Presseattaché an der deutschen Botschaft in Delhi thematisch „vorbelastet“, ehe er zurück in den Journalismus ging und als „Asienkorrespondent mit Standort in Delhi und später Singapur, zunächst für Die Welt und ab 1959 für die Süddeutsche Zeitung“, arbeitete (Wikipedia 2020: https://de.wikipedia.org/wiki/Thilo_Bode_(Journalist) ).3
Offensivere Thematisierung indischer Verantwortlichkeiten durch westdeutsche Medien
Bode gelang es auch, gewichtige indische Stimmen als „Kronzeugen“ zu gewinnen.
Bedauert hat der Staatssekretär im indischen Stahlministerium, Boothalingam, in einem Gespräch mit dem Leiter der Wirtschaftsabteilung der deutschen Botschaft in New Delhi, dass es neuerdings in Deutschland ‚in Mode‘ gekommen ist, das von einer deutschen Firmengemeinschaft errichtete Stahlwerk Rourkela scharf zu kritisieren. In manchen Berichten würden Dinge ‚unnütz aufgebauscht‘, die längst überholt seien. Die an Rourkela geübte Kritik entspreche nicht der Auffassung der indischen Regierung, die mit dem Stahlwerk Rourkela ‚vollauf zufrieden sei‘. Technische Pannen seien beim Aufbau eines so großen und komplizierten Werkes unvermeidlich, sie beschränkten sich aber keineswegs auf Rourkela und kamen beim Bau des Stahlwerks Bhilai, das die Russen errichteten, wie bei dem von den Engländern begonnenen Durgapur vor.
(Bode, Thilo: New Delhi: Kritik an Rourkela unberechtigt. In: Die Welt. 6. April 1960. Zitiert nach: Sperling 1965, S. 215f.)
In der journalistischen Berichterstattung – vermutlich auch als Ergebnis intensivierter PR-Arbeit durch den AKI, vor allem aber stärkeren staatlich-politischen Engagements – wurden nun auch deutlich tatsächliche oder vermeintliche indische Verantwortlichkeiten für Probleme thematisiert.
In Die Zeit (1962) brachte Berg (…)
(…) das Problem auf den Punkt. ‚Die wirklich groben Fehler, die auf deutscher Seite begangen wurden, waren mehr psychologischer als technischer Art.‘ Aber überraschenderweise konnte Berg diese Probleme, die sich zwischen Deutschen und Indern auftaten, in seinem Artikel, der 1962 erschien, ignorieren. Er konzentrierte sich auf die Fehler von indischer Seite, die für ihn bei der inkompetenten Betriebsführung und weiteren strukturellen Problemen lagen. Konkret verwies Berg auf eine Überbürokratisierung (…), mangelhaft ausgestattete Reparaturwerkstätten und schrottreife Transporteinrichtungen.
(Berg 1962. Zitiert nach Franke 2017, S. 149)
Konstruktives Aufgreifen durch die indischen Akteure und Medien
Die indische(n) Regierung und Wirtschaftsbehörden griffen „Kritik der westdeutschen Regierungsstellen“ und Journalisten konstruktiv auf (Franke 2017, S. 149).
Der deutsche Untersuchungsbericht (unter Ministerialdirigent Solveen – T.L.) war keine Musik in indischen Ohren, aber es muss zur Ehre der indischen Regierung und auch der indischen Presse“ – wohl auch mit Zutun westdeutscher PR – „gesagt werden, dass sie die Kritik im Großen und Ganzen als fair akzeptiert haben.
(Berg 1962)
Beide Seiten akzeptierten den „Mangel ‚eines modernen Bewusstseins‘ in der indischen Bevölkerung“ (Franke 2017, S. 151). „Die Probleme in Rourkela verursachten – wie der FAZ-Korrespondent in Indien schrieb – „überforderte einheimische Personen besonders bei der Weiterführung des Großbetriebes. Einer Überbesetzung in der Verwaltung stand ein Mangel an Fachkräften gegenüber. (…)“ Die FAZ konnte sich dabei auch auf den indischen Korrespondenten der Times of India in Bonn berufen. „Die Übertragung von Exekutivvollmachten an deutsche Rourkela-Fachleute nach dem Beispiel in Bhilai wurde auch von der Redaktion der politischen Wochenzeitschrift Thought als Lösung für die unzureichende Kapazitätsausnutzung in Rourkela gesehen.“ (Franke 2017, S. 154, unter teilweiser Zitierung von Gerd Leczcynski: Das Sorgenkind Rourkela. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 2.7.1962)
Anmerkungen
1 Laut Unger 2008 (S. 380) gehörte dazu eine antikommunistische Grundhaltung. Mehnert und Wirsing sahen „Rourkela als bedeutsamen Faktor in der geistigen Auseinandersetzung mit dem Kommunismus (an)“ und hoben „ihrer Publizistik die westdeutschen Errungenschaften in Indien hervor(…)“.
2 Vgl. auch: Bode, Thilo: Keine ‚Herrenmenschen‘ in Rourkela. In: Die Welt. 28. April 1960.
3 Bode (1918-2014) war im Zweiten Weltkrieg Kapitänleutnant und U-Boot-Kommandant. Vgl. Wikipedia 2020: https://de.wikipedia.org/wiki/Thilo_Bode_(Journalist) Nachfolger von Thilo Bode als Presseattaché an der westdeutschen Botschaft in Neu-Delhi wurde um 1959 der TV-Journalist Carl Weiß (Franke 2017, S. 145).