Anfängliche Unterschätzung von Öffentlichkeitsarbeit und ihrer zentralen Koordination

Projektbezogene Öffentlichkeitsarbeit lange Zeit unterschätzt

Abb.: Auszug aus dem Inhaltsverzeichnis der Dissertation von Stümpel 1966, einer wichtigen Quelle. Stümpel nahm auch Einschätzungen zur damaligen Öffentlichkeitsarbeit vor (siehe im Inhaltsverzeichnis rechts unten).

Im Grunde war die Einstellung der meisten deutschen Akteure zur Öffentlichkeitsarbeit/PR paradox. Obwohl man prinzipiell in den Unternehmen um ihre Bedeutung wusste, wurde sie für das Projekt – zumindest lange Zeit – unterschätzt.1 Beim Rourkela-Vorhaben hatten technische Fachleute und Bürokraten das Sagen, es ging auch aus indischer Sicht um Modernisierung und Industrialisierung: Stahlwerke waren „der Inbegriff der Moderne“ (Unger 2008, S. 370). „Weiche“ Faktoren wurden vernachlässigt, kommunikative Voraussetzungen und Folgen nicht genügend beachtet. Zu sehr wurde auf Loyalitäten gesetzt, die in formal-juristischen Vereinbarungen ausreichend begründet schienen.

Im Vertrauen auf die technische Perfektion des Projektes und die deutsche Qualitätsarbeit waren speziell die leitenden Ingenieure der einzelnen Firmen anfangs der Auffassung gewesen, dass der Erfolg des Hüttenwerkes Rourkela später für sich selbst sprechen werde. Überdies fühlten sich vielfach die Firmen als Lieferanten der indischen Regierung zum Schweigen verpflichtet, solange diese hinsichtlich der Unterrichtung der Presse selbst nichts unternahm. So war es anfangs kaum der deutschen Fachpresse möglich, nähere Einzelheiten über das Werk zu erfahren.

(Stümpel 1966, S. 163)

Abb.: Auszug aus dem Inhaltsverzeichnis der Dissertation von Sperling 1965, einer wichtigen Quelle. Sperling nahm auch Einschätzungen zur damaligen Presseberichterstattung und -arbeit vor (siehe im Inhaltsverzeichnis oben).

Ähnlich auch Sperling:

Bei den deutschen Firmen bestand in den ersten Jahren eine gewisse Pressescheu. Sie vertraten im großen Ganzen den Standpunkt, dass vor Fertigstellung der gesamten Anlage kein Grund bestünde, Material an die Presse zu geben, dass weiterhin die Qualität und der Erfolg der Arbeit die beste Reklame und schließlich es die Aufgabe des indischen Partners sei, im Hinblick auf die Öffentlichkeitsarbeit etwas zu unternehmen.

(Sperling 1965, S. 212)

„Die Berichterstattung über Rourkela war in der indischen wie in der deutschen Presse von Anfang an außerordentlich ungünstig.“ (Sperling 1965, S. 212)

In den 1950er-Jahren keine zentrale Koordination der Öffentlichkeitsarbeit

Diese grundsätzliche Unterschätzung der kommunikativen Herausforderungen wurde durch die generell dezentrale (Nicht-) Steuerung des Entwicklungsprojektes noch verschärft.

Die bereits mehrfach erwähnte Zersplitterung und Uneinigkeit unter den deutschen Firmen machte sich auch im Hinblick auf eine sinnvolle Public-Relations-Arbeit sehr nachteilig bemerkbar. Wäre es dagegen auf deutscher Seite zur Bildung einer konsortialen Führung gekommen, dann hätten sicherlich die deutschen Interessen auch in dieser Hinsicht besser vertreten werden können.

(Stümpel 1966, S. 165)

Eine wünschenswerte zentrale Steuerung hätte selbstverständlich auch die PR-Arbeit einschließen müssen:2

In diesem Zusammenhang hätte das beispielweise dadurch erreicht werden können, dass eine von den Konsortialpartnern getragene und auslandserfahrene Presseabteilung – mindestens mit Beginn der Bauarbeiten – in Indien eingesetzt worden wäre. Durch eine zentrale und entsprechend umsichtige Öffentlichkeitsarbeit hätte diese den indischen Presseangriffen entgegenwirken können, indem sie den deutschen Beitrag an der schwerindustriellen Entwicklung des Landes durch eine frühzeitige, ständige und sachliche Information der indischen Öffentlichkeit ins rechte Licht rückte.

(Stümpel 1966, S. 165)

Eine solche proaktive, zentral gesteuerte PR hätte auch eine Antwort sein müssen, „als ein Teil der indischen Presse mit völlig unsachlichen und immer schärferen Vorwürfen gegen das deutsche Hüttenwerk vorging und sich herausstellte, dass diese Angriffe auf die indische Öffentlichkeit stark meinungsbildend wirkten“ (Stümpel 1966, S. 163).

 

Autor(en): T.L.

Anmerkungen

1 „So hoch die Bedeutung der Öffentlichkeitsarbeit seitens der Firmen in Deutschland selbst angesetzt wird, so gering schien man sie für Indien zu Beginn der Bauarbeiten zu schätzen. Die Folge war, dass den entstellenden Berichten und Reportagen der indischen Presse nichts in der Publikumswirkung Gleichwertiges entgegengesetzt werden konnte.“ (Stümpel 1966, S. 164)

2 Damit war ein wesentlicher Nachteil zu „Konkurrenzprojekten“ benannt. „Im Gegensatz zur zentral gesteuerten sowjetischen Öffentlichkeitsarbeit war die westdeutsche Berichterstattung weder einheitlich in ihrer Ansicht noch geschickt und taktvoll in der Ausführung.“ (Stümpel 1966, S. 163) Die sowjetische Öffentlichkeitsarbeit sei eine „zentral und außerordentlich geschickt gesteuerte“ gewesen, die „in ihrer Polemik gegen das deutsche Hüttenwerk im Besonderen sowie die westlichen Entwicklungsbemühungen im Allgemeinen in der linksgerichteten, antiwestlichen indischen Presse zudem einen bereitwilligen Partner fand. ‚Die Russen ließen es durchaus nicht dabei bewenden, die indische öffentliche Meinung zu ihren Gunsten zu beeinflussen, sondern es ist ihnen gelungen, in gewissen Bereichen stärker meinungsbildend zu wirken als die indische Regierung. Man könnte sagen, was über das deutsche Hüttenwerk gesprochen wird, ist meistens vorher von der russischen Propaganda ausgestreut worden, ohne dass dies den Meinungsträgern bewusst ist.‘“ (Stümpel 1966, S. 162, unter teilweiser Zitierung von Wildhagen, S. 283)