PR in Bezug zur Werbung (= erster Entwicklungsstrang): Nach der großen Krise
Öffentlichkeitsarbeit/PR als Profiteur der Weltwirtschaftskrise
Dürften die (impliziten) Aussagen von einer höheren Bedeutung von Öffentlichkeitsarbeit innerhalb persuasiver Unternehmenskommunikation zwischen dem Ende der Inflation 1922/23 und etwa 1928 – also in einer wirtschaftlichen Aufschwungphase – echter Überzeugung entspringen, so sind solche ab bzw. nach 1929 – also dem Beginn der Weltwirtschaftskrise – auch mit gewisser Vorsicht zu betrachten. Lange (2010, S. 29-31) weist darauf hin, dass die Krise die Unternehmen zu drastischen Einsparungen zwang, vor allem auch in der kostenträchtigen Produkt- bzw. Mediawerbung. Unentgeltliche bzw. preisgünstigere Presse- und Öffentlichkeitsarbeit konnte da auch als krisenbedingter „Notnagel“ dienen:
‘Man kann sagen, dass mit zunehmender Erschwerung des Existenzkampfes der Wirtschaft die Zahl der Pressestellen in direkt proportionalem Verhältnis gewachsen ist‘, umriss Werner Peiser, stellvertretender Press(e)chef des Preußischen Staatsministeriums, die Situation im ‚Zeitungs-Verlag‘ (ZV).
(Peiser 1930, Sp. 465; zit. nach Lange 2010, S. 31)
Allerdings kann das Wachstum von Presse- und Öffentlichkeitsarbeit in der bzw. durch die große(n) Krise auch anders interpretiert werden: Es musste nicht nur notgedrungenes Substitut teurer Werbung sein, sondern konnte (auch oder primär) dem gewachsenen Erklärungs-, Verteidigungs-, Aktivierungs- und/oder Befriedungsbedarf der universellen Wirtschafts- und Finanzkrise entspringen. Denn mit der Weltwirtschaftskrise von 1929 brach das bisherige (fordistische) Weltbild zusammen. Die „marktschreierische Werbung des Wirtschaftsliberalismus“ (Westphal 1989, S. 18), das bisherige Leitbild unternehmerischer Kommunikation stand nun am Pranger – die „Heilsbotschaften der radikalen politischen Parteien von ‚Arbeit und Brot‘ trafen auf starke Resonanz“ (Day 2004, S. 50).1
Vertrauenskrise des Wirtschafts- und Gesellschaftssystems
Der alte Fordismus und das kapitalistisch-marktwirtschaftliche Versprechen vom Konsum für alle büßten durch die Weltwirtschaftskrise „erheblich an Glaubwürdigkeit ein (…)“, da „aus Sicht der Bevölkerung das freie Spiel der marktwirtschaftlichen Kräfte in die Katastrophe geführt hatte. Die Krise wurde als unmenschliche Folge einer Modernisierung erlebt, die aus dem Ruder gelaufen war und sich von der schwachen Regierung und ihren sozialpolitischen Instrumenten nicht mehr steuern ließ.“ (Day 2004, S. 90) Liberaler Kapitalismus und Demokratie als sein politisches Regulationssystem waren weltweit in eine Wirtschafts- sowie Vertrauens- und damit Existenzkrise geraten. Zudem hatte die Weltwirtschaftskrise die schon nach dem Ersten Weltkrieg aufgetretene „Technikphobie“ nochmals gesteigert (Day 2004, S. 154). Politik und Wirtschaft, ihre Akteure und Organisationen, mussten darauf eine Antwort geben.
Als mögliche Gründe für Verschiebungen im Methoden- bzw. Instrumenteeinsatz in der Endphase der Weimarer Republik konnten – nach Lange (2010, S. 32f.) – auch politisch-administrative Restriktionen im Zuge der Notverordnungspolitik (Preisregulierungen, Verbot bestimmter Presseorgane od.Ä.) in Frage kommen. Insofern wirkten dann auch die Gesetze und Erlasse der NS-Diktatur 1933 und die Abschaffung der Weimarer Republik auf die Zeitgenossen weniger umwälzend, als das aus heutiger Sicht erscheinen mag.