Frühe BRD I

Public Relations in der frühen Bundesrepublik (bis Mitte der 1960er-Jahre): Einleitung

Vorbemerkungen

Verweise auf andere Beiträge im PR-Museum:

Innerhalb der vorliegenden Abhandlung kann – was die PR-Realgeschichte betrifft – nur ein grober Überblick über die PR zwischen dem Kriegsende 1945 und den 1960er-Jahren gegeben werden. Deshalb sei zunächst auf Beiträge über PR-treibende Unternehmen und Institutionen an anderer Stelle im PR-Museum verwiesen, die diese Zeit (mit) behandeln: Firmen AEG und Krupp, Bundesregierung, Kanzler Konrad Adenauer und Bundeswehr.

Auch in unseren Museumsrubriken „Instrumente“ (Pressemitteilung, Pressekonferenz, Werkzeitschrift) finden sich einige Informationen über die PR jener Zeit.

Wirtschafts-PR als Schwerpunkt der Abhandlung – staatliche Öffentlichkeitsarbeit blühte im Schatten

In unserer folgenden Abhandlung stehen PR in der Wirtschaft, von Unternehmen bzw. der Unternehmerschaft im Mittelpunkt. Dies entspricht auch den Schwerpunkten der damaligen Fachdiskussion und -literatur. Öffentlichkeitsarbeit hatte „dennoch entscheidenden Anteil an der Politik der ersten Jahre der Bundesrepublik“, meinte ein langjähriger Berater von Bundeskanzler Adenauer und des Bundestags:

Nur ist dies, weil man damals nicht über PR (in diesem Sektor – T.L.) redete, so gut wie überhaupt nicht bekannt. (…) Das liegt auch daran, dass PR-Maßnahmen, auch PR-Strategien, so gut wie überhaupt nicht in Akten, nicht einmal in Briefen und höchst selten in Analysen dargestellt wurden. (S. 122 …) Ein Fehler der Öffentlichkeitsarbeit in der ersten Zeit der Bundesrepublik war, dass man über sie selbst nicht redete. (S. 125 …) sie wurde getan. Sie wurde auch kritisiert, selbst wenn man dafür Begriffe wie Propaganda oder Ähnliches herannahm.

(Skibowski 2002, S. 126)

Geredet wurde damals aber immerhin so viel, dass schon ein PR-Promovend von 1958 einschätzen konnte:

Die Bundesregierung (…) erkannte relativ bald die Notwendigkeit, Public Relations im In- und Ausland zu betreiben.1 (…) Vgl. ferner die z. T. sehr geschickt betriebene Public-Relations-Arbeit der Bundeswehr.

(Steybe 1958, S. 21)2

Schon deutlich vor der Gründung des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung am 12. Oktober 1949 hatten auf Länderebene, dann in der trizonalen Verwaltung und schließlich beim Parlamentarischen Rat in Bonn Pressestellen bzw. -arbeiter ihre Tätigkeit aufgenommen (vgl. u.a. Oeckl 1987, S. 28).

Zur Gliederung in zwei Teile:

Aus Gründen der Materialfülle und Übersichtlichkeit haben wir die Abhandlung in zwei Teile gegliedert. Der hier beginnende erste Teil widmet sich vor allem der tatsächlichen Praxis von Öffentlichkeitsarbeit/PR bzw. der PR-Realgeschichte. Außerdem stellt er die PR-Auffassungen führender Soziologen – insbesondere die von Helmut Schelsky – dar.

Ein zweiter Teil setzt die im ersten Teil begonnene Auseinandersetzung mit der PR-Reflexionsgeschichte fort und betrachtet vor allem die ersten Ansätze – zum Beispiel von Carl Hundhausen und mehreren Promovenden – für eine spätere PR-Wissenschaft. Außerdem werden politisch-ideologisch bzw. interessenpolitisch ambitionierte Ansätze – so von Herbert Gross oder die gewerkschaftsnahe PR-Kritik – behandelt.

Ein Merkmal jener Zeit: Aufkommen und Karriere des Begriffes „Public Relations“ in der öffentlichen Diskussion

Bevor wir uns substanziell der Real- und Reflexionsgeschichte der Öffentlichkeitsarbeit/PR bzw. Organisations-/Unternehmenskommunikation zuwenden, sei darauf verwiesen, dass damalige Zeitgenossen einen „Hype“ um den „neuen“ Begriff „Public Relations“ wahrgenommen haben. Einerseits kam dies werblich oder publizistisch Tätigen nicht ungelegen, weil aufklärerische oder meinungsbeeinflussende Tätigkeiten – früher beispielsweise auch im ökonomischen Bereich häufig als Propaganda bezeichnet – durch ihre staatlich-politische Pervertierung im Dritten Reich weithin als diskreditiert galten. Nun war über „PR“ Abgrenzung von der NS-Zeit möglich, auch ohne den Begriff „Propaganda“ zu thematisieren.

Eine Diskussion über die mögliche Deckungsgleichheit der beiden Begriffe, ähnlich wie bei der Werbung, gab es im Nachkriegsdeutschland in nennenswertem Umfang nicht. Vorbehalte waren überwiegend emotional bedingt. Zu nah lag der Gedanke an das ‚Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda‘. Angesichts dieses Hintergrundes wird es verständlich, dass eine möglichst sachliche, wissenschaftliche Auseinandersetzung über Gemeinsamkeiten und Unterschiede in dieser Zeit kaum erfolgen konnte.

(Binder 1983, S. 29)

Andererseits wurde die Diskussion um die „PR“ – vor dem Hintergrund deutscher Traditionen von Organisations- bzw. Unternehmenskommunikation und durchaus fortwährender Praxis – mindestens teilweise auch als „modisch“ oder „künstlich“ empfunden.

Ursachen und Ausgang der Diskussion um „Public Relations“ – eine erste Annäherung

Aufschwung der Diskussion

Zwar war der PR-Begriff einigen deutschen Fachvertretern auch schon vor 1945 bekannt. Nach 1948 – mit der Währungsreform und weitgehenden Aufhebung der Zwangswirtschaft (vgl. Nöthe 1994, S. 104) – eroberte er aber nun die öffentliche Diskussion in Westdeutschland. Zum einen lag dem eine quasi pädagogische Motivation („Re-Education“) zugrunde, Errungenschaften der demokratisch-pluralistischen und marktwirtschaftlichen USA im nachtotalitären Nachkriegsdeutschland zu verbreiten.

Verstärkt wurde der Eindruck, dass PR eine ‚importierte US-Erfindung‘ ist, sicherlich auch durch die oft völlig unkritische Übernahme der US-Literatur, die natürlich keinen Rahmen für die Darstellung spezifisch deutscher Frühformen und Ansätze von Öffentlichkeitsarbeit bot.

(Nöthe 1994, S. 101)

Zum anderen war die Debatte auch stark von den Dienstleistern (Werbern und Publizisten) getrieben, die sich ein neues Geschäft davon versprachen.

Versuche, den Begriff zu schärfen und seine Substanz – im Vergleich zu vorhandenen Begriffen – aufzudecken, gingen häufig in der Flut eines schlagwortartigen Gebrauchs unter. Oder die Vielzahl an unterschiedlichen Verständnissen führte zur Verwirrung und dadurch auch zur Inhaltsleere bzw. Beliebigkeit. Ähnliches ist heute beispielsweise um den Begriff „Content Marketing“ zu beobachten.

Abschwung der Diskussion

Einige damalige Akteure formulierten diesen Eindruck auch drastisch oder gaben entnervt auf und wollten den Begriff „Public Relations“ wieder loswerden. Der vielzitierte Autor Herbert Gross vermied bald den Begriff „Public Relations“ – er bedauerte sogar, das „amerikanische Schlagwort“ in Deutschland mit eingeführt zu haben. Denn dieses diene heute, so Gross (1952, S. 7f.), nur noch als „Firnis“, um überholte Methoden der Werbung als neu und modern erscheinen zu lassen.

Auch das Anliegen eines Preisausschreibens der Wochenzeitung Die Zeit 1951, deutsche Alternativbegriffe für „Public Relations“ zu finden, ist hier einzuordnen (vgl. u.a. Kunczik 1993, S. 6). Vgl. dazu auch den Beitrag im PR-Museum zur Entwicklung der Begriffe „Public Relations“ und „Öffentlichkeitsarbeit“.

Herausarbeiten des substanziellen Kerns

Die folgende Abhandlung wird allerdings zeigen, dass es durchaus nicht wenige substanzielle Vorschläge gab, („amerikanische“) PR als ein (teilweise) neues Phänomen zu begreifen, dass sich nicht nur terminologisch, sondern auch sachlich-funktional von bisheriger deutscher Organisations- und Unternehmenskommunikation (zumindest teilweise) unterscheidet.

Solche Unterscheidbarkeiten haben sich dann später wieder – teilweise bis zur Unkenntlichkeit – „abgeschliffen“, begünstigt auch durch den sich durchsetzenden synonymen Gebrauch der amerikanischen „Public Relations“ und der deutschen „Öffentlichkeitsarbeit“ sowie durch die weitgehende Verdrängung von „Propaganda“ aus dem positiven oder neutralen Sprachgebrauch.

Autor(en): T.L.

Anmerkungen

1 Steybe zitiert dazu auch einen Presseartikel über die Unterstützung der Regierungs-PR im Ausland durch die amerikanische Firma The Roy Bernhard Co., Inc., New York, mit ihrer deutschen Niederlassung in Frankfurt am Main, Zeil 65-69:  Sie grenze ihre Arbeit von Propaganda wie folgt ab: „Propagandisten machen Politik, wir schaffen ein Klima.“ Im Auftrag der deutschen Botschaft in Washington wurden „Tausende amerikanische Schulen, Bibliotheken, Zeitungen und Zehntausende von Privatpersonen mit Broschüren, Büchern, Karten und Informationsbriefen versehen (…), die Aufschluss über das Deutschland von heute geben und die freundliche Stimmung der Amerikaner gegenüber dem ehemaligen Feind untermauert haben (…). Als Adenauer 1953 zum ersten Mal nach Amerika kam, lag auf den Tischen aller größeren amerikanischen Redaktionen ein vollständiger ‚Informationskitt‘ (sic!) (…), sämtliche wissenswerten Tatsachen über den Gast, die Bundesregierung, aber auch alle deutschen Parteien und das gesamte Regierungssystem enthaltend.“ (Walter Gong: Roy Bernhard macht gut Wetter für Bonn. In: Süddeutsche Zeitung. Jg. 1956, Nr. 132, 2. Juni 1956. Zitiert nach: Steybe 1958, S. 21).

2 Zur Bundeswehr auch Skibowski: „Dass die Einführung der Bundeswehr mit Mitteln der Öffentlichkeitsarbeit massiv unterstützt wurde, ist heute kaum bekannt.“ (Skibowski 2002, S. 126)