PR-Praxis und -Berufsstand: Konsumgesellschaft bot neue Chancen

Wirtschaftspolitischer „Systemretter“ PR vor „Kindstod“-Gefahr in den Unternehmen?

Eine sozialwissenschaftliche Publikation von 1963, die auf einer Befragung von Führungskräften deutscher Niederlassungen amerikanischer Firmen beruht, resümiert: Es sei verständlich, dass nach Ablauf der unmittelbaren Nachkriegszeit „der Stern der Public Relations in späteren Jahren zwar nicht unterging, aber verblasste“. Und es scheine „nicht verwunderlich, dass die Public Relations sich in Deutschland nicht weiter ausgebreitet haben und vielleicht auch nicht ausbreiten werden“ (Hartmann 1963, S. 145).

Diese aus heutiger Sicht harsche und verwunderliche Prognose erfolgte vor dem Hintergrund eines betont gesellschaftspolitischen Verständnisses von PR im Sinne der Unternehmerschaft, worauf wir weiter hinten noch eingehen werden. Sie wurde sicherlich weniger von den PR-Praktikern selbst, sondern eher von den Unternehmenslenkern vertreten. Hier sei zunächst darauf verwiesen, dass ein solcher (!) Abgesang auf PR durchaus mit dem weiter vorn referierten Phasenwechsel laut Szyszka von „Konzeptualisierung“ (1950er) zu „Fremd-Positionierung“ (1960er) kompatibel ist.

Konsumgesellschaftliche und unternehmerische Absatz-Interessen „retteten“ die PR

Eine rein gesellschaftstheoretische bzw. -politische sowie sozialethische Begründung von PR hat also für ihren – aus heutiger Sicht – „Siegeszug“ nicht ausgereicht. Nach der weitgehenden Bewältigung der unmittelbaren Kriegsfolgen und unter den Bedingungen einer sich etablierenden marktwirtschaftlich-kapitalistischen Wirtschaftsordnung traten nun stärker ökonomisch-volkswirtschaftliche (und damit auch betriebswirtschaftliche) Aspekte in den Blick.

Gesamtwirtschaftlicher und unternehmerischer Erfolg braucht unter diesen Rahmenbedingungen den Massenkonsum. Die „grundlegende Wandlung vom produktions- zum absatzorientierten Unternehmer“ und die „sich immer stärker abzeichnenden Strukturwandlungen soziologischer, industrieller und sozialer Art“ bekräftigten die Erkenntnis: „Es geht nicht ohne Public Relations. Erst ein Schlagwort – jetzt eine zwingende Aufgabe“ – so der Titel eines Presseartikels von 1958 im unmittelbaren Zusammenhang mit der Gründung des Berufsverbandes DPRG.

Allmählich beginnt sich jetzt in breitesten Kreisen der westdeutschen Wirtschaft die Überzeugung durchzusetzen, dass die Public-Relations-Arbeit mehr als eine Mode ist, sie ist in unserem Zeitalter der Massenproduktionen zu einer sinnvollen und notwendigen Aufgabe geworden. (…) (D)as Zeitalter der Massenproduktion wirft unerbittlich Probleme des Massenkonsums und damit auch der massenpsychologischen Beeinflussung auf. Die Steigerung der Massenproduktion bringt die noch wesentlich schwierigeren Probleme des Verkaufs der Massenproduktion mit sich. Der Public-Relations-Fachmann muss sich an die Feststellung von Wilhelm Röpke halten, dass die Gesellschaft als Ganzes nicht auf dem Gesetz von Angebot und Nachfrage aufgebaut werden kann. Man kann durch Automation die Massenproduktion steigern – die Frage der Steigerung des Massenkonsums liegt aber auf einer anderen Ebene. Früher war man allgemein der Ansicht, dass die öffentliche Meinung eine unveränderliche Erscheinung ist (…). Heute weiß man, dass sie durch ganz bestimmte Methoden beeinflusst werden kann.

(Heinrich 1958)

Einflüsse aus den USA blieben ambivalent

Konsumgesellschaftliche und massenkulturelle Leitideen, die in der Regel aus den diesbezüglich weiterentwickelten USA kamen, beeinflussten Diskussion und Lebenswirklichkeit in Westdeutschland wesentlich, wenn auch durchaus widersprüchlich.

Diese Ambivalenz zeigte sich auch in der Produkt- bzw. Marktkommunikation:

Wer in der ‚Wirtschaftswunder‘-Konjunktur der Bundesrepublik erfolgreich verkaufen wollte, musste die Erzeugnisse häufig als deutsche (und das hieß solide und langlebig) erscheinen lassen und auf deutsche Art (und das hieß eher sachlich als witzig) dafür werben. Dies passte zur Mentalität des bürgerlich-kleinbürgerlichen Rückbezugs auf das Gehabte und wieder zu Erreichende; und zeitgenössische Experten unterschieden noch sehr lange strikt zwischen deutschen bzw. westeuropäischen und amerikanischen Konsummustern. Die Organisation der Werbekampagnen für deutsche Waren bzw. deren Weiterentwicklung in Richtung von Marketing-Strategien erhielt wiederum wichtige Anregungen aus den USA.

(Schildt 2000, S. 8)

Auswirkungen auf das Verhältnis von PR und Medien

Je mehr Konsum (zwangsläufig von Produkten) zu einem gesellschaftlichen Thema und damit eines von prinzipiell öffentlichem (und nicht mehr nur privat-geschäftlichem) Interesse wurde, desto brüchiger mussten Unterscheidungskriterien zwischen legitimer unternehmerischer Pressearbeit (PR) und bezahlter Wirtschaftswerbung (Anzeigen) werden.

1954 hatte der Gesamtverband der deutschen Zeitungsverleger Unternehmenstexte strikt in den (zu bezahlenden) Anzeigenteil verwiesen, wenn bei ihnen im Vordergrund steht (…)

(…) die Absicht des Wirtschaftsunternehmens, der Öffentlichkeit als breiter Konsumentenschaft durch einen neutralen Sprecher (Redaktion) etwas mitteilen zu lassen, worüber die Leserschaft nicht unbedingt unterrichtet zu sein braucht, weil es im Grunde nur eine verkleidete Anpreisung von Vorzügen oder Eigenarten eines Produktes oder seines Herstellers ist.

(Gesamtverband 1954, S. 998)

Was prinzipiell richtig und theoretisch klar war und ist, dürfte praktisch zunehmend schwieriger umzusetzen gewesen sein und zu „Grenzverschiebungen“ zwischen Journalismus und Werbung bzw. zu mehr PR-Einfluss in den Medien geführt haben.

Autor(en): T.L.