PR-Praxis und -Berufsstand: Entwicklungsphasen (II) – speziell 1950er

PR mit gesellschaftlichem Mandat

Szyszka (2015, S. 502), der ein Phasenmodell zur Entwicklung des bundesdeutschen PR-Berufsfeldes vorgelegt hat, bezeichnet die Jahre 1951-1960 als Phase der „Konzeptualisierung“. Diese war „von einer inhaltlichen Auseinandersetzung um Funktion und Aufgaben von PR-Arbeit gekennzeichnet“. PR sah sich mit einem „gesellschaftlichen Mandat“ versehen, bei der „Etablierung einer neuen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung“, beim „Wiederaufbau und Wirtschaftswunder“ (S. 503) mitzuhelfen. Ein Beispiel dafür ist die „wirtschaftspolitische(n) Kampagne ‚Die Waage‘ (1953-1965)“ (Szyszka 2015, S. 503; vgl. auch Tebrake 2019, S. 138f.), über die es auch im PR-Museum einen Beitrag gibt.

Das Verhältnis zwischen Industrie und Öffentlichkeit in den 50er-Jahren war geprägt von der weit verbreiteten Unwissenheit der Bevölkerung über wirtschaftliche Zusammenhänge. (…) Interessant im Bereich der frühen unternehmerischen PR ist, dass man sich hier weitgehend von ökonomischen Hintergedanken distanzierte und vorrangig ideologieträchtige und wenig konkret dargestellte Ziele der PR angab.

(Hein 1997, S. 42)

PR und bzw. als Human Relations im Industriebetrieb

In heutigen kommunikationswissenschaftlich basierten Darstellungen zumeist unterbelichtet1 ist die Entwicklung interner PR gerade in den 1940er-/50er-Jahren (vgl. aber Kunczik 1993, S. 24-28). In jener Zeit bildeten die (vor allem betriebssoziologisch begründeten bzw. als „Human Relations“ diskutierten) innerbetrieblichen Seiten der Unternehmenskommunikation einen Wesenszug der allgemeinen Debatte um „Public Relations“. Dabei handelte es sich zugleich um eine frühe Form der Einbindung dieser „Relations“ in Managementlehren.

Kunczik schreibt in seinem Überblicksbuch zu Theorien der PR schon in der Erstauflage:

So wie für viele Autoren PR eine Art Zauberformel für die Schaffung ein heilen und konfliktfreien Gesellschaft ist, stellte Human Relations bis Ende der 50er Jahre die Beschwörungsformel für den angeblich konfliktfreien Betrieb dar.

(Kunczik 1993, S. 24)

HR als Basis bzw. Kern der PR oder als gleichberechtigte Form neben der PR

Der weiter hinten noch ausführlich zu behandelnde Herbert Gross – aus heutiger Sicht neben Carl Hundhausen der seinerzeit wichtigste Autor über PR – verfasste für das Wörterbuch der Soziologie von 1955 interessanterweise nicht das Stichwort „Public Relations“ (PR), sondern „Human Relations“ (HR). Darin fasste er HR sogar als Oberbegriff, u.a. auch für PR, auf. Weiter heißt es u.a.:

Die Lehre von den H. R. wurde vor allem in der amerikanischen Lehre vom modernen Management entwickelt, dringt heute über die britische Betriebssoziologie und Management-Lehre auch nach dem europäischen Kontinent vor. (…) Die H. R. wollen den arbeitenden Menschen zum gleichwertigen Mitglied der ‚spontanen Kooperation‘ (E. Mayo) im Unternehmen machen. (S. 221 …) Die H. R. sind als Abkehr vom Taylorismus zu verstehen. (S. 222 …) Bereits die erstaunliche Fülle der – vornehmlich angelsächsischen – Lehrbücher und der Fachdiskussionen über die H. R. während der letzten Jahre, woran die führenden Köpfe der Betriebswissenschaft und Soziologie in vielen Ländern beteiligt sind, entkräftet den Verdacht, H. R. seien eine Mode-Lehre. Der Begriff der H. R. dient dem Einbau der Menschenführung und Menschenbehandlung in die Unternehmerfunktion. Er entspricht dem neuen Entwicklungsstand der Wirtschaft, der durch das Vordringen von Großunternehmen und Großbetrieben gekennzeichnet ist. Vom Großbetrieb strahlen die H. R. ähnlich dringend in mittlere und kleinere Unternehmen aus.

(Gross 1955, S. 223. Ohne umfangreiche Kursivhervorhebungen im Original)

Der Stichwort-Schreiber über „Public Relations“ im gleichen Fachlexikon, der seinerzeit prominente Soziologe Helmut Schelsky, übernahm zwar die Unterordnung der PR unter HR nicht, betonte aber auch gleich zu Beginn die betriebswirtschaftlich-betriebssoziologischen Wurzeln der (amerikanischen) PR:

Die amerikanische Betriebswirtschaftslehre hat in den letzten zwanzig Jahren den sozialen Beziehungen innerhalb des Betriebes und dessen Stellung innerhalb der Gesamtgesellschaft und ihrer Institutionen erhöhte Aufmerksamkeit zugewendet und so ein groß Teil der Betriebssoziologie in ihr Lehrgut aufgenommen. (…) human relations in industry ist die Bezeichnung für das Bemühen um die Besserung der menschlichen Kontakte innerhalb einer Betriebsbelegschaft, das sich auf neuere soziologische Einsichten in das Wesen der Gruppen- und Autoritätsbeziehungen innerhalb der Betriebe stützt (…)

(Schelsky 1955, S. 404).

Auch andere Fachautoren sahen eine enge Verwandtschaft von HR und PR oder in den HR gar das Übergreifende. „Haacke (1969, S. 11) argumentiert, ‚public relations‘ im Alltag seien zunächst ‚human relations‘ im Betrieb und erst dann ‚social relations‘ gegenüber der Öffentlichkeit. (…) Hundhausen (1951, S. 52) versteht PR als Teil der Human Relations. Dovifat schreibt: ‚Public Relations sind human relations im öffentlichen Leben‘ (zitiert in Oeckl 1964, S. 67 – d.A.)“. (Kunczik 1993, S. 24f.) Vgl. außerdem die Dissertation von Ludemann (1952) und kritisch Clausen (1964, S. 85f.).

Unternehmer und Gewerkschaften mit Zurückhaltung

Trotz der regen Diskussion um HR war die tatsächliche Wirkungsgeschichte der HR in Westdeutschland schwierig:

In Deutschland wurde die Idee der Human Relations nach dem Zweiten Weltkrieg besonders durch die amerikanische Hohe Kommission, die eine kostenlose Zeitschrift zu diesem Themenkreis herausgab, populär gemacht. Fast schon lyrische Schriften erschienen, die eine schöne heile Betriebswelt voller glücklicher Menschen zeichneten. In Deutschland war allerdings trotz der massiven Öffentlichkeitsarbeit die Einführung der Human Relations-Trainings-Programme schwierig. Der Grund dafür lag im Selbstbild der deutschen Unternehmer, das vom Glauben an angeborene Führereigenschaften geprägt war.

(Kunczik 1993, S. 28)

Aber auch die Gewerkschaften beargwöhnten bestimmte Aspekte der HR, worauf wir weiter hinten noch eingehen. Hier soll zunächst nur darauf verwiesen werden, dass auch gewerkschaftliche Autoren in den HR einen wesentlichen Schwerpunkt der PR erkannten – was zu einem Großteil ihre häufig kritische Haltung gegenüber PR an sich erklären dürfte. Im Folgenden lieferte der Autor eine Definition, wohlgemerkt nicht für HR, sondern für Public Relations:

Es handelt sich einmal um die Pflege der Beziehungen des Unternehmens nach außen, nicht um die bloße Absatzwerbung, sondern um die Werbung um Vertrauen für das Unternehmen in der Öffentlichkeit. Aber diese nach außen gerichtete und durch die vielfältigsten technischen Mittel betriebene ‚Meinungspflege‘ gründet sich auf Bemühungen um die Herbeiführung eines ‚sozialen Klimas‘ im Betrieb selbst, auf Bemühungen um die Mitwirkung der Belegschaft an den Plänen, Sorgen und Erfolgen des Betriebs, auf eine mehr oder weniger ausgedehnte betriebliche Sozialpolitik, die den Arbeitern und Angestellten ein Höchstmaß sozialer Sicherheit gewährleisten soll. Jeder einzelne Mitarbeiter soll sich als Glied einer Crew fühlen, in der einer für den anderen einsteht. Der Betrieb soll zu einer ‚Betriebsfamilie‘ gegenseitigen Vertrauens zusammenwachsen.

(Pahl 1951, S. 190)

Ein Teil der Schwierigkeiten mit HR bzw. betrieblicher Sozialpolitik dürfte auch darin gelegen haben, dass die „neuen“ HR Gemeinsamkeiten mit der „innerbetrieblichen Werbung“ aufwiesen, die in der NS-Zeit in Deutschland und vor allem auch zur Motivierung der Beschäftigten in der Rüstungswirtschaft bzw. Kriegsproduktion praktiziert wurde (vgl. Ludemann 1952, S. 44 u.a.). Auch gab es schon in der Weimarer Zeit innerbetriebliche Aktivitäten insbesondere der Schwer- und Montanindustrie, die vor allem den Gewerkschaften suspekt waren.

 

Autor(en): T.L.

Anmerkungen

1 Interne Unternehmenskommunikation im vergangenen Jahrhundert habe erst „Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre erste Ansätze ernst zu nehmender strategischer Relevanz“ erhalten, schreibt Ulrike Buchholz in Fröhlich/Szyszka/Bentele 2015, S. 838.