Führende Soziologen über PR (II)

Schelsky im Wörterbuch der Soziologie

Wörterbuchbeitrag: Definition von PR

Einflussreich dürfte Schelskys Beitrag zum Stichwort „Public Relations“ im Wörterbuch der Soziologie von 1955 gewesen sein. Dieser stellte eine der systematischsten und kompaktesten Darstellungen über PR jener Zeit dar. Unter PR werde verstanden (…)

(…) die Pflege der guten Beziehungen eines Betriebes zur Öffentlichkeit der ihn umgebenden Gesamtgesellschaft, ein Bemühen, das auf den Erkenntnissen über die gewichtige soziale Rolle des modernen Industriebetriebes innerhalb der gesamten Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung erwachsen ist.

(Schelsky 1955, S. 404)1

Eine solche PR setze „Interessenssolidarität“ voraus. Wo eine Interesseneinheit zwischen Betrieb und Gesamtgesellschaft noch nicht (genügend) vorhanden ist, trage PR zunächst einmal „den an die Betriebs- und Unternehmensleitungen gewendeten Erziehungsanspruch in sich, die gesamtgesellschaftliche Verpflichtung in der Leitung und Politik des Unternehmens zu stärken“.2 (Schelsky 1955, S. 405)

Wörterbuchbeitrag: Abgrenzung der PR von Propaganda

Die „Vertretung irgendwelcher Sonderinteressen in der Öffentlichkeit“ widerspräche „dem Sinn der Bemühungen um P.R.“ und sei als „Propaganda“ zu klassifizieren. (S. 405)

Eine Gefahr bestünde darin, „in Wirklichkeit noch einseitige Interessen, z. B. an einer bestimmten Wirtschaftsordnung publizistisch als öffentliche hinzustellen, womit die P.R. zu einer neuen Form der Propaganda entarten“ würden (Schelsky 1955, S. 407).

Wörterbuchbeitrag: Instrumentarium der PR

PR greife auch (!) auf die „Mittel der allgemeinen Publizistik“ zurück, was die Neigung begünstige, PR „mit einer neuen Art der Firmenpropaganda und -werbung zu verwechseln“. Als Mittel werden die Nutzung journalistischer Medien (Zeitungen, Zeitschriften, Film, Rundfunk), von Werbeträgern (Anzeigen, Plakate…) oder eigenen Medien (Sonderschriften, Werkzeitung, Geschäftsbericht …) angeführt.3 Doch das Instrumentarium sei breiter:

(…) im Rahmen der P. R. liegt (…) auch eine Informationsbemühung in umgekehrter Richtung, wozu die Firmen sich der Methoden der modernen Meinungsforschung bedienen (…). Die wirksamste Methode einer Beeinflussung der öffentlichen Meinung besteht für eine Firma vielleicht darin, sie gar nicht durch eigene Instanzen direkt auszuüben, sondern sie mittelbar durch betriebsunabhängige neutrale Organe, z.B. allgemeine Tagespresse oder das wissenschaftliche Fachschrifttum durchführen zu lassen.

Dies wird am besten erreicht, wenn die Firma die Herstellung eines Vertrauensklimas in der Öffentlichkeit gar nicht vorwiegend durch bloße Informationen, sondern dadurch zu erreichen sucht, dass sie sich an der Lösung öffentlicher Aufgaben beteiligt. Zu diesem Zweck helfen heute die Großfirmen freiwillig bei sozialen Notständen, unterstützen die kommunalen Behörden oder sonstige Organisationen beim Bau von Sportplätzen, Badeanstalten, Theatern, veranstalten selbst Kunstausstellungen usw.

(Schelsky 1955, S. 406. Ohne Kursivhervorhebungen im Original)

Wörterbuchbeitrag: Aufgreifen durch andere Autoren

Dieser Eintrag wurde von anderen Autoren, die umfänglicher über PR publizierten, mehrfach zitiert oder wie im nächsten Beispiel referiert. Kropff 1956 in der Werbefachzeitschrift Die Anzeige übernahm die Bezugsgruppenbestimmung der PR wie folgt:

Nach H. Schelsky wendet sich das Unternehmen an fünf soziale Gruppen, auf deren Vertrauen und Zustimmung es besonders angewiesen ist. Zur Belegschaft des Betriebes kommen die Kontrollorgane und Geldgeber sowie die Behörden, mit denen der Betrieb zu tun hat, sodann die gesamte Bevölkerung der Gemeinde, in der das Unternehmen seinen Standort hat. In dieser Gruppe befinden sich auch die Verbraucher. Vielfach ist der Großteil davon Abnehmer oder Verwender und Verbraucher von Produkten, die das Unternehmen herstellt. Hier wird die Konsumentenschicht ganz deutlich ebenfalls als enger Kreis der Öffentlichkeit für ein Unternehmen bezeichnet.

(Kropff 1956-II, S. 80, unter Berufung auf: H. Schelsky: ‚Public Relations‘, in: Wörterbuch der Soziologie. Stuttgart, 1955. S.404ff.)

Die Sammelrezension von Neesse im ersten Jahrgang (1956, S. 187-190) der zeitungs- bzw. kommunikationswissenschaftlichen Fachzeitschrift „Publizistik“ über werbewissenschaftliche Literatur (einschließlich PR) von 1945 bis 1955 erwähnte Schelsky hingegen nicht.

Publikationen über PR: Reaktionen auf andere Autoren (Rezensionen)

Hier: Besprechung von Gross 1952

1952 rezensierte Schelsky das einflussreiche Buch von Gross (1952) über „Moderne Meinungspflege“, das wir weiter hinten ausführlicher behandeln und über das es im PR-Museum einen eigenständigen Beitrag gibt. Zunächst stimmte Schelsky (1952, S. 163) insofern Gross zu, dass man „PR“ verkennen würde, wenn man darin „nur eine neue Technik der Publizität, einen neuen Auftrieb der Werbungs- und Reklameabteilungen der Werke“ sähe. „Was unterscheidet nun aber die ‚moderne Meinungspflege‘ von allen Formen der Propaganda, was sind echte ‚Public Relations‘?“, fragte der Rezensent weiter. Seine Kernantwort lautete:

Im Falle eines wirtschaftlichen Unternehmens also die Aufklärung der Öffentlichkeit darüber, dass von bestimmten (! – T.L.) Maßnahmen oder Einrichtungen eines Werkes alle (! – im Original kursiv) Beteiligten, nämlich Arbeiter, Kapitalgeber, Werksleitung und Verbraucher, ihren Vorteil und daher ein positives Interesse daran haben. Zur Möglichkeit des Aufweises (sic! – nicht Ausweises) einer solchen allgemeinen, öffentlichen Interessensolidarität ist es natürlich Voraussetzung, dass wirklich (! – T.L.) Einrichtungen und Maßnahmen existieren oder geschaffen werden, an denen alle Gruppen und Schichten des Wirtschaftsprozesses ein solches positives und zusammenstimmendes Interesse haben können. So besteht die Schaffung von ‚Public Relations‘ in erster Linie gar nicht in Publizität, sondern in der Aufforderung an diejenigen, die eine solche Pflege ihrer Beziehungen zur Öffentlichkeit treiben wollen, ihr Verhalten (! – T.L.) so einzurichten, dass es der Allgemeinheit dient, Maßnahmen und Ordnungen im wirtschaftlichen Leben einzuführen, an deren Bestand dann in der Tat alle Beteiligten ein Interesse aufbringen können.

(Schelsky 1952, S. 163)

Da aber eine solche „allgemeine(n), öffentliche(n) Interessensolidarität“ im Westdeutschland der Nachkriegszeit in einem deutlich geringeren Maße – als in den USA und als es Gross denkt – besteht, wäre eine „amerikanische“ bzw. „moderne PR“ – wie sie Gross vorschwebt – nur eingeschränkt möglich:

Dazu würde (…) eine sachliche (! – T.L.) Aufklärung über die Arbeitsweise und die technischen, wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhänge der Unternehmungen, der Wirtschaftsverbände und Organisationen, der Ministerien und sonstigen Verwaltungen gehören. Diese Verbreiterung eines sachlichen Verständnisses für die Arbeitsweise der genannten Einrichtungen in der Öffentlichkeit würde sich im Wesentlichen auf rein informatorische (! – T.L.) Darlegungen beschränken müssen, die von den Kennern der Sachlagen aus den verschiedensten sozialen Gruppen anerkannt würde, und dürfte keineswegs mit der vordringlichen Absicht, ‚Vorstufe und Vorbedingung für den Erfolg wirtschaftspolitischer Forderungen‘ einer bestimmten Gruppe zu sein, betrieben werden. (Genau mit dieser von uns verneinten Zielsetzung empfiehlt aber Groß die ‚moderne Meinungspflege in der Marktwirtschaft‘.)

(Schelsky 1952, S. 163)

Seine Rezension endete mit dem Appell:

Der Kern des amerikanischen ‚Public-Relations‘-Gedankens vermag zweifellos auch für unsere soziale und wirtschaftliche Lage wertvolle Anregungen zu bieten, aber Anregung und Nachbetung sind zweierlei. In vieler Hinsicht wird es Zeit, dass die unkritische Übernahme neuer ausländischer Schlagworte für alte Tatbestände einmal durch den Ausweis der weitgehenden Verschiedenheit der sozialen und politischen Fundamente gestoppt wird. Hierunter fallen neben den ‚Public Relations‘ noch die ebenso propagierten ‚Human Relations‘ im Betrieb oder etwa das neue betriebssoziologische Credo der ‚Gruppenbedürfnisse‘ in der Arbeitsorganisation. Wir haben schließlich eigene propagandistische Schlagworte genug, mit denen aufzuräumen eine der wichtigsten Aufgaben einer modernen Meinungspflege sein könnte.

(Schelsky 1952, S. 167)

Auch wenn dieser Schluss vergleichsweise polemisch ausfiel, konnte sich Schelsky damals sicher sein, dafür viel Unterstützung bekommen – nicht nur aus dem (heute würde man sagen:) ‚linken Lager‘, dem Schelsky damals zugerechnet wurde.

Publikationen über PR: Reaktionen auf andere Autoren (Vorworte und sonstige Beiträge)

1958 schrieb Schelsky das Vorwort zur deutschen Ausgabe des seinerzeit Aufmerksamkeit erregenden Werkes „Die einsame Masse“ von Riesman u.a. (1958), das für ein soziohistorisches Verständnis von PR wichtig ist und auf das wir an anderer Stelle im PR-Museum eingehen. Die US-Autoren modellierten die Gesellschaftsentwicklung als historisch-soziale Abfolge von traditionsgeleiteten, innen-geleiteten und außen-geleiteten Verhältnissen, die sich zugleich als politische Verhaltensstile und menschliche Charaktere wiederfinden. Helmut Schelsky würdigte das Buch als „eine gedankenvolle und aufschlussreiche sozialwissenschaftliche Deutung unserer modernen industrialisierten Welt überhaupt“ (Riesman u.a. 1958, S. 7).

(Weitere) Darlegungen von Schelsky zur PR, die in direktem Zusammenhang zu Interessengegensätzen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern bzw. Unternehmerschaft und Gewerkschaftsorganisation stehen, bringen wir weiter hinten unter „gewerkschaftsnahe Kritik“ an PR.

 

Autor(en): T.L.

Anmerkungen

1 Die ausargumentierte Begründung für die gewichtige soziale Rolle und damit die Notwendigkeit von PR lautet wie folgt: „Seitdem die industrielle Gesellschaft zu erkennen beginnt, das die Erfüllung der wirtschaftlichen Ziele eines Unternehmens ihre eigene Ordnung und Stabilität berührt und unter Umständen gefährdet, hat sie mehr und mehr ein öffentliches Interesse an den industriellen Betrieben entwickelt, das weit über das des Verbrauchers von Gütern hinausgeht. Indem daher in den demokratischen Staatsverfassungen die Gesamtheit der Staatsbürger weitgehend die politischen, sozialen und wirtschaftspolitischen Grundlagen bestimmt, auf denen die Wirtschafts- und Produktionsleistung eines Unternehmens aufbauen muss, ist umgekehrt auch in den Unternehmensleitungen ein Interesse daran entstanden, die Öffentlichkeit über die produktive und stabilisierende Rolle der industriellen Unternehmungen für die Gesamtordnung zu informieren und über die Bedingungen aufzuklären, unter denen die Unternehmungen und Betriebe diese Leistung für die Gesamtgesellschaft nur vollbringen können.“ (Schelsky 1955, S. 405)

2 Dieser zentrale Gedanken wurde auch von anderen Autoren aufgegriffen. In einer späteren Dissertation heißt es beispielsweise: „Das grundsätzlich immer angestrebte Ziel sei es, ‚das Vertrauen der die Unternehmung umgebenden Öffentlichkeit zu gewinnen bzw. zu erhalten‘. Solange ein Interessensausgleich zwischen öffentlichen Bestrebungen und Unternehmung noch nicht vorhanden ist, liege ‚ein Erziehungsanspruch an den Unternehmer vor, die gesamtgesellschaftliche Verpflichtung in der Leitung und Politik der Unternehmung zu stärken, worauf vor allem Schelsky hinweist‘“ (Bauch 1963, S. 20).

3 In der Praxis würden deshalb „vielfach die Fachkräfte von den Firmen herangezogen (…), die in den Werbungs- und Propagandaabteilungen diese Methoden, wenn auch unter anderer Zielsetzung, bereits angewendet haben“ (Schelsky 1955, S. 405)