PR als strategische Kommunikation (= dritter Entwicklungsstrang): Nachrichtenpolitik

Tendenz zur „Nachrichtenpolitik“

Abb.: Walter Schöne. Aus: Robert Volz (Hg.): Reichshandbuch der Deutschen Gesellschaft. Berlin: Deutscher Wirtschaftsverlag 1931. Quelle: Michael Meyen/Thomas Wiedemann (Hg.): Biografisches Lexikon der Kommunikationswissenschaft. Lexikoneintrag am 21. Juni 2013. http://blexkom.halemverlag.de/paul-walter-schone/

Walter Schöne, der sich 1922 als Zweiter seines Fachs habilitiert hatte und 1928 das erste Einführungsbuch in die Zeitungswissenschaft schrieb, wies auf die medial-kommunikative Entwicklung vom „Nachrichtengeschäft“ zur „Nachrichtenpolitik“ hin: „In Deutschland gehen die führenden Gruppen in Wirtschaft und Politik ihre eigenen Wege und stellen dem offiziösen Bureau (des Staates, der Regierung – T. L.) besondere Nachrichtendienste gegenüber.“ (Schöne 1928, S. 140) Schon 1921 hatte er festgestellt: „Wissenschaftliche, gemeinnützige, politische und andere Anstalten, Genossenschaften und Vereine haben heute ihren eigenen Nachrichtendienst (…). Auf dem Gebiet der kommunalen Verwaltung zum Beispiel ist dieser Nachrichtendienst oft in besonderen Ämtern verselbstständigt (…)“. (Schöne 1921, S. 430)

Die Tendenz zur Nachrichtenpolitik problematisierte auch Wilhelm Schwedler 1925:

Die Übermittlung von Nachrichten zu eigennützigen Zwecken durch eine …

(…) ganze(n) Anzahl von Büros“ sei besonders in der Nachkriegszeit und hier in der Inflationszeit – so zur Beeinflussung der Börse – „ungemein häufig vorgekommen“. Schon immer habe sich die Regierung um das Nachrichtenwesen gekümmert, nunmehr trieben aber auch wirtschaftliche Interessengruppen und politische Parteien Nachrichtenpolitik. „Man kann bestimmt nichts dagegen einwenden, wenn in Arbeitgeberverbänden zusammengeschlossene Firmen durch eine Pressestelle Korrespondenzen und Mitteilungen aller Art verbreiten lassen, auf deren Verbreitung sie Wert legen. Hierzu haben sie bestimmt genau dasselbe Recht wie die Regierung, wie die Arbeitnehmerorganisationen und die Gewerkschaften. (…)

Man will Nachrichtenbüros haben. Und hier treffen sich die Neigungen der Politiker mit denen der Großindustriellen und der Großkaufleute. Sie wollen Nachrichtenpolitik treiben, nicht nur mit Korrespondenzen, sondern mit Nachrichtenbüros und häufig nicht nur zur Verteidigung irgendwelcher eigener Interessen (…), sondern aus Neigung, gewissermaßen als Sport.

(Schwedler 1925, S. 193-195)

Damit ist beschrieben, wie zunehmend (nahezu) alle Akteure in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, wie Interessenorganisationen und (große) Unternehmen die Generierung, Selektion, Interpretation und Distribution von „Nachrichten zu eigennützigen Zwecken“ in ihre eigenen Hände nehmen. Sie schaffen „Nachrichtenbüros“, die mittels „Nachrichtendiensten“ ihre jeweilige „Nachrichtenpolitik“ betreiben. Zugleich stellt diese Tendenz eine Pluralisierung – vielleicht kann man auch sagen: Demokratisierung – einer Kommunikationsfunktion dar, über die unter vordemokratischen, autoritären Verhältnissen nur der Obrigkeitsstaat verfügte.

„Nachrichtenpolitik“ als umfassendes Wirken auf bzw. Konstruieren von Realität

Interessant ist, dass Schwedler als Ziel dieser Nachrichtenpolitik – die man modern formuliert auch als Management von Informationen bezeichnen könnte – nicht nur die jeweiligen eigenen Organisationsziele benannte, sondern darüber hinaus gehende „Neigungen“ zur gesellschaftlichen Meinungsbildung bzw. -beeinflussung. Damit ist eine Problemkonstellation erwähnt, die heute u.a. als „Entwicklung von Unternehmen zu Medienhäusern“ bzw. auch – aus entgegengesetzter Perspektive – als „Erosion des Journalismus“ diskutiert wird.

Dass auch schon in der Zwischenkriegszeit – allerdings seinerzeit noch mehr in den USA als in Deutschland – Nachrichtenpolitik als „Konstruktion von Medienrealität“ mittels Generierung von Ereignissen begriffen werden konnte, zeigt Dovifats Beobachtung aus den USA 1927. Verbreitete Artikel und Interviews auf Grund eines journalistisch oft ausgezeichneten Pressematerials seien dort für einen Preßagenten „nur Zeugnisse minderer Begabung. Der rechte Mann er bettelt nicht, sondern erzwingt die Aufnahme seiner Propaganda. Er zwingt die Zeitung in seine Dienste, indem er Nachrichtenwert in die Welt setzt, um die die Zeitung nicht herum kann.“ (Dovifat 1927, S. 210) Die Dovifatsche Verwendung des Propaganda-Begriffes in diesem Zusammenhang leitet zum nächsten Abschnitt unserer Abhandlung über.

Autor(en): T.L.