Jenseits von PR: Verdeckte „Medienpolitik“ von organisierten Interessen unterhalb der Ebene von Staat und politischen Parteien

Negative Praktiken von (mächtigen) Unternehmen und Interessengruppen

Die Einflussnahme mancher mächtigen Unternehmensgruppen oder Interessenvereinigungen auf die Massenmedien, also primär auf die Presse, bzw. auf die öffentliche Meinung erschöpfte sich allerdings nicht in Presse- und Öffentlichkeitsarbeit im heutigen Sinne, alter „redaktioneller Reklame“ oder „Nachrichtenpolitik“. Die nachstehend aufgeführten, vermutlich mindestens teilweise sehr erfolgreichen Negativ-Praktiken dürften zugleich auch als „Bremse“ für einen weiteren Ausbau seriöser Presse- und Öffentlichkeitsarbeit gewirkt haben.

Abb.: Alfred Hugenberg von der Deutschnationalen Volkspartei, ein rechtskonservativer Medienmogul, wurde unter den Nationalsozialisten 1933 Reichsminister für Wirtschaft und Ernährung. Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-2005-0621-500, CC-BY-SA / Wikimedia Commons http://creativecommons.org/ licenses/by-sa/3.0/de/deed.en

Ein prominentes, personifizierbares Beispiel für ein komplexes und vielschichtiges Vorgehen von Wirtschafts- und verwandten Politikkreisen bei der Beeinflussung der öffentlichen Meinung stellt Alfred Hugenberg (1865-1951) dar. Hugenberg baute seine Macht – bereits vor dem Ersten Weltkrieg – über Freundeskreise auf und agierte vor allem im Verborgenen. Im und nach dem Ersten Weltkrieg wurden die Einflussmechanismen vor allem im Interesse der rheinisch-westfälischen Schwerindustrie und seiner Interessensverbände (Bergbau-Verein, Stahlwerk-Verband etc.) sowie nahestehenden (rechten) politischen Parteien (ab 1928 Vorsitzender der Deutsch Nationalen Volkspartei) perfektioniert.1

Erste Einflussstrategie: Inbesitznahme eigener Zeitungen bzw. Verlage

Schon vor dem Ersten Weltkrieg waren in Deutschland zwei Zeitungstypen nachweisbar, wie der Publizistikwissenschaftler Emil Dovifat 1925 diagnostizierte: die Geschäftszeitung mit dem Primärziel Gewinn und die Gesinnungszeitung mit dem Primärziel, bestimmte geistige oder politische Ziele zu befördern. Nach dem Ersten Weltkrieg trete nun – auch als erster Schritt einer Amerikanisierung – im deutschen Zeitungswesen Typ 3 auf: das Interessentenblatt mit dem Primärziel, ganz bestimmte, meist wirtschaftliche Interessen durchzusetzen.2 Dies konnte transparent oder geheim geschehen. Beispielsweise hatte Hugenberg verdeckt den Scherl-Verlag aufgekauft.3

„Der ‚neue‘ dritte Typ reflektierte, dass zur Durchsetzung nichtmonetärer, auf die Öffentlichkeit gerichteter Ziele nicht mehr nur politische oder weltanschauliche Gruppen eigene Zeitungen herausgaben, sondern auch einzelne Wirtschaftskonzerne. Das bedeutet aus kommunikationstypologischer Sicht: Indem solche Wirtschaftsorganisationen selbst ein journalistisches Medium betrieben, waren sie weniger darauf angewiesen, von außen mittels Presse- und Öffentlichkeitsarbeit auf das journalistische System einzuwirken. Oder anders formuliert: Da Teile des Journalismus direkt als Instrumente von Politik und Wirtschaft und also nicht autonom funktionierten, fiel der Zwang geringer aus, Öffentlichkeitsarbeit als eine eigenständige Vermittlungssphäre auszuprägen und in ihrer Spezifik zu professionalisieren.“ (Liebert 2003, S. 91f.)

Diese Schlussfolgerung lässt sich auch aus dem nächsten Punkt ziehen.

Zweite Einflussstrategie: Inbesitznahme bzw. Kontrolle journalistischer Nachrichtenagenturen

Hugenberg erwarb Anteile am Wolffschen Telegraphen Bureau (WTB) und kaufte die zweitgrößte deutsche Nachrichtenagentur Telegraphen-Union.

Damit nutzte er die Vorteile, die eine Kontrolle des Medieninhalts bereits bei seiner Entstehung mit sich bringt: Die Agenturen verbreiten den Stoff im gesamten Mediensystem und damit auch in Presseorganen, zu denen eigene PR möglicherweise nicht durchdringt (z.B. aufgrund der politisch-weltanschaulichen Blattlinie).4

Dritte Einflussstrategie: Politik gezielter Anzeigenverteilung und dadurch Schaffung von Abhängigkeiten und inhaltlichen Beeinflussungsmöglichkeiten

Die von Hugenberg geleitete Allgemeine Anzeigengesellschaft GmbH (ALA; ab 1917, allerdings mit Vorläufern) versuchte, „Zeitungen durch die Vergabe bzw. das Unterlassen von Anzeigen zu kontrollieren“ (Kunczik 1997, S. 205).

Geistig-ideologische Schützenhilfe leistete 1922 der Geschichtsphilosoph Oswald Spengler, der als früher Begründer der Rolle von Medienrealität (im Vergleich zur Realität) und als Vertreter medialer Allmacht angesehen werden kann. „Spengler forderte eine Politisierung der Anzeigenvergabe und damit konkret eine Stützung der Hugenbergschen Anzeigenvermittlungsagentur ALA Anzeigen GmbH“ (Kunczik 1997, S. 207).

Autor(en): T.L.

Anmerkungen

1 Vgl. Kunczik 1997, S. 198ff., vor allem ab 205.

2 Vgl. Dovifat 1925, S. 8-10. Tabellarische Darstellung bei Liebert 2003, S. 91.

3 Vgl. Kunczik 1997, S. 206.

4 Vgl. Kunczik 1997, S. 206, der u.a. Groth 1929 zitiert.