Politischer Kontext des Buches „Moderne Meinungspflege“
Kontexte des Buches Moderne Meinungspflege
Politischer Kontext: „Die Lebensfähigkeit der Unternehmenswirtschaft steht in der politischen Debatte.“ (Mueller in Gross 1952, S. 5)
In den 1950er-Jahren wurden im deutschsprachigen Raum mehrere Entwürfe für ein modernes Verständnis von Public Relations vorgelegt. Ernst Vogel beispielsweise ging in seiner wirtschaftswissenschaftlichen Dissertation von 1951 (als Buch 1952 erschienen) theoretisch-systematisch vor und betrachtete in einer sachlich-objektivierten Perspektive Public Relations als grundsätzliches Phänomen von Wirtschaft und Gesellschaft. Herbert Gross, der im Fokus der folgenden Darstellung steht, hingegen sah sich mit seinem Playdoyer von 1951 für „moderne Meinungspflege“ (2. Auflage 1952) in einen weltanschaulich-politischen Kontext gestellt. Er ließ diesen gleich in einem Vorwort von Rudolf Mueller, dem 1. Vorsitzenden der Wirtschaftspolitischen Gesellschaft von 1947,1 klar benennen: „Dass in unserer Zeit jede unternehmerische Entscheidung eine politische sei, ist keine neue Behauptung. (…) Es geht um die Gestaltung der künftigen Wirtschaftsordnung.“ (Gross 1952, S. 5)
Politische und historische Fronten
Mueller band das Anliegen von Gross an einen bestimmten Akteurstyp, den „marktwirtschaftlich orientierten Betrieb“ (1952, S. 6), und damit auch an eine bestimmte Wirtschafts- und Gesellschaftsauffassung – an die, die wir heute als „soziale Marktwirtschaft“ bezeichnen. Im Buch von Gross ist allerdings nur von „Marktwirtschaft“ die Rede – wohl als Gegenbegriff zur Plan- oder Zentralverwaltungswirtschaft.2
Klar wurden von Mueller die Fronten sowohl gegenüber der vergangenen Diktatur als auch in der aktuellen internationalen bzw. deutschlandpolitischen Systemauseinandersetzung gezogen: In der NS-Zeit sei „durch Aufmärsche, Appelle und Transparente“ die Orientierung der „Betriebsführerverantwortlichkeit“, am „Nutzen für Volk und Reich“ politisiert worden. Inzwischen geschehe „das Gleiche nur mit anderen Vorzeichen in der deutschen Ostzone“.
Das Buch wollte die Wirtschaft aufrütteln: Manche westdeutsche Unternehmer, so Mueller, kehrten „unbekümmert zurück zur Ablehnung jeglicher Publizität der Unternehmensleistung“. Nur wenige verstünden, „dass es nicht mehr genügt, die Bedeutung des Unternehmens im Geschäftsleben durchzusetzen“. Mueller bezog zugleich innenpolitisch Position: „Von den Nichtbeteiligten reden viele über die so genannte Demokratisierung der Wirtschaft. Damit ist nichts weiter gemeint als ein neuer und gefährlicher Syndikalismus, der nicht nur die echte individuelle Unternehmerverantwortlichkeit, sondern auch die parlamentarische Demokratie auszuhöhlen droht.“ (Gross 1952, S. 5f.)
USA versus Europa?
Gross selber sah im Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell der USA ein Vorbild für das neue (zunächst: West-) Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Insofern blieb seine Positionierung zwischen freier und sozialer Marktwirtschaft schwammig. Er propagierte die „Verschmelzung des Sozialen und des Leistungsdenkens in der Institution des Betriebes“. Die vormalige deutsche und europäische Wirtschafts- und Staatstradition (Sozialstaat etc.) charakterisierte er als Irrweg:
Das Abendland ging einen gefährlichen Weg, als es das Soziale außerunternehmerischen Instanzen überließ. Im Zuge seiner Umgestaltung zum Wohlfahrtsstaat hat der Staat die Unternehmungswirtschaft in ihrer Fähigkeit, alle Interessen mit ihrer Funktionsfähigkeit zu identifizieren, wesentlich geschwächt. Die Unternehmung ist die Zelle der Leistung und damit auch Träger der sozialen Aufwendungen, wie der Bauernhof das Altenteil trägt.
(Gross 1952, S. 36)
Diese Geringschätzung europäischer Tradition musste als Angriff auf Sozialstaat und Gewerkschaften verstanden werden, ein kritischer Rezensent bemerkte denn auch eine „deutlich aggressive(r) Tendenz gegen die Existenz außerbetrieblicher Instanzen der Sozialpolitik“. Gross habe vergessen, dass „der Staat oder sonstige außerbetriebliche Instanzen diese Aufgaben erst aufgegriffen haben, weil die Unternehmerschaft – trotz der Mahnung einiger weitsichtigerer Ausnahmen unter ihnen – sie nicht zu lösen willens und fähig war.“ Auch sei eine Rückverlagerung der sozialen Leistungen in die Unternehmen im seinerzeitigen Westdeutschland illusorisch, weil mehr als ein Viertel der Bevölkerung (Rentner, Heimatvertriebene, Arbeitslose …) auf soziale Fürsorge angewiesen war. (Schelsky 1952, S. 166f.)
Anmerkungen
1 Zu Mueller bzw. Müller (die Schreibweise schwankt) u. a.: Mündige Gesellschaft – offene Welt: Dem Mitbegründer u. Vorsitzenden d. Wirtschaftspolit. Ges. Rudolf Mueller zum 60. Geburtstag. Westdeutscher Verlag, 1964. Mueller (1904-1997) war nach dem Krieg kurzzeitig Minister in Hessen und stand der LDP, einem Vorläufer der FDP, nahe. Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Rudolf_Mueller_(Staatsminister)
Zur Wirtschaftspolitischen Gesellschaft von 1947 e. V.: http://wipog.de/über-uns/geschichte-der-wipog/
http://wipog.de/publizistik/erklärungen-und-texte/ http://wipog.de/über-uns/
2 Im Buch wird deutlich, dass sich Gross nicht der (reinen) „freien Marktwirtschaft“ verpflichtet fühlte. Diese bedürfe vielmehr eines Ordnungsrahmens und des ordnungspolitischen Verhaltens der einzelnen Unternehmer. Der moderne Unternehmer müsse politische und soziale Verantwortung empfinden (Gross 1952, S. 33). Seine begriffliche Positionierung fällt allerdings schwammig aus, auf S. 66 beispielsweise spricht er vom „Rahmen der freien Marktwirtschaft“.