Entwurf für eine Staatszeitung I
Einstellen auf Politik und Kommunikation nach dem Wiener Kongress
Die mit dem Wiener Kongress geschaffene Neuordnung Europas, wozu auch ein gestärktes, aber territorial „neues Preußen“ gehörte, setzte einerseits eine dauerhafte Installierung staatlicher Strukturen für Öffentlichkeitsarbeit auf den Plan, die anderseits neue und schwierige Probleme – zum Beispiel die Integration hinzugekommener Landesteile mit dem entsprechenden Konfliktpotenzial – zu bewältigen hatten.1 Spätestens seit 1816 lassen sich Aktivitäten eines ersten Literarischen Büros in Preußens Regierung unter Leitung von Friedrich von Cölln nachweisen.2 Dabei konnte auch auf Erfahrungen des Literarischen Stabes beim Wiener Kongress zurückgegriffen werden.
Immer aber stand auch als Option, dass sich der Staat, die Regierung selber (und nicht nur verdeckt bzw. über Bestechung oder Subvention) journalistisch betätigt. Vorschläge für offiziöse oder offizielle Staatszeitungen wurden mehrmals gemacht, so auch von Varnhagen.
Varnhagens Denkschrift
Mit seiner Denkschrift vom 9. März 1815 unterbreitete er Hardenberg einen Entwurf für die Gründung einer preußischen Staatszeitung, die er als Sprachrohr der Regierung empfahl. Nach Darstellung von Dittmer (1992, S. 70) war Varnhagen von Hardenberg aufgefordert worden, seine „Vorstellungen zur Organisation der offiziellen Publizistik“ niederzulegen. Varnhagen wollte selbst an dieser Zeitung mitarbeiten, was darin begründet liegt, dass sein zukünftiger Einsatz im preußischen Staatsdienst zu dieser Zeit noch ungewiss war.
Er basierte seine Überlegungen auf die Erkenntnis, dass sich die öffentliche Meinung zu einer selbstständigen Kraft entwickelt hatte, und forderte, sie zu berücksichtigen und zu steuern. „Sie leise und ununterbrochen zu leiten, verständig aufzuhalten und würdig zu beachten“, sei „das einzige Mittel, welches die Regierung anwenden kann, um [dieses] größte Gut des Staats […] nicht zu dessen Übel werden zu lassen“ (Varnhagen in Greiling 1984, S. 13). War die Regierung „während der Freiheitskämpfe im Einklang mit der öffentlichen Meinung“, so sei nun das Vertrauen des Publikums nicht mehr automatisch gegeben (Dittmer 1992, S. 70).
Für mehr kommunikative Aktivität des Staates
Als wichtigstes Kommunikationsmittel nannte Varnhagen Flugblätter und Zeitungen. Letztere bezeichnete er als „die eigentlichen Volksrednerbühnen unserer Zeit“ (Varnhagen in Greiling 1984, S. 13). Er erinnerte an die erfolgreiche Pressepolitik Napoleons, plädierte im Gegensatz zu dieser jedoch für Redefreiheit, die die Regierung geben, aber auch für sich selbst benutzen sollte.
Die Ursache für Defizite sah Varnhagen, im Unterschied zu den bisherigen Reformbeamten, nicht mehr im vermeintlichen Unverständnis des Publikums, sondern in „Versäumnisse(n) der gouvernementalen Öffentlichkeitspolitik“ (Dittmer 1992, S. 70). Nötig sei auch ein Perspektivwechsel staatlicher Pressepolitik von der Außen- zur Innenpolitik: „Allein die Stimmung, die jetzt zu bekämpfen ist, steht als eine einheimische dar, und es handelt sich nicht darum, wie die preußische Regierung [ … ] mit der preußisch öffentlichen Meinung auf das übrige Deutschland [ … ] einwirke“ (Varnhagen in Greiling 1984, S. 15).