Literarisch-künstlerische Salon-Kommunikation
Salons als Labore einer freien und toleranten Gesellschaft ohne Standesgrenzen
Um die Jahrhundertwende war Varnhagen vor allem in Berlin Teil eines freien und kreativen Milieus geworden, in dem Konturen einer möglichen liberalen und toleranten Gesellschaft aufschienen:
Die Berliner Salonbewegung um 1800 hatte noch immer den Impetus einer ‚Jugendbewegung‘, während sie dann im Laufe des 19. Jahrhunderts immer mehr zu einer traditionellen und konservativen Gesellschaft wurde. Um 1800 galt es noch, aus alten, ständischen Beschränkungen auszubrechen und den neuen, bildungsbürgerlichen Humanitätsidealen zum Sieg zu verhelfen, die selbst für Teile des Adels attraktiv waren.
(Wilhelmy-Dollinger 2000, S. 92)
Es handelte sich zudem um einen historisch
kurzen Augenblick (…), in dem es in Berlin fast ein Zusammenleben von Juden und Deutschen gegeben hätte“. „Es sind jene wenigen Jahre zwischen dem Ende der Jacobinerherrschaft und der Unterwerfung Preußens durch Napoleon. Das war ein Augenblick, in dem kaum mehr als zwei Dutzend Deutscher, französischer Emigranten und Juden wenigstens auf den paar Quadratmetern der drei, vier Berliner Salons eine Ahnung davon bekamen, was freies Denken und freies Lieben bedeuten könnte.
(Widmann 2003)
Kommunikation über Literatur und Kunst als Vorreiter pluraler Öffentlichkeit
Diese Salonkultur war Teil einer eigentümlichen Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen: Da die Französische Revolution auch in der preußischen Bevölkerung Sympathisanten gefunden und mancherorts ein Aufbegehren gegen die Zustände im Inland ausgelöst hatte, versuchte die preußische Monarchie einerseits die Verbreitung revolutionärer Ideen durch Maßnahmen wie Zensurverschärfungen und Verbote zu verhindern. Ganz abgesehen davon, dass die Mehrheit der ländlichen Bevölkerung bis zum Ende des alten preußischen Staates der feudalen Ausbeutung unterworfen blieb.1 Andererseits entsprach das geistlich-kulturelle Leben nicht unbedingt dieser konservativen, repressiven Politik bzw. lief ihr sogar zuwider. In den Salons wurde über die Probleme der Zeit sowie Literatur, Kunst und Universitätsvorlesungen diskutiert.2
Varnhagen veröffentlichte erste Feuilletons in den Nordischen Miszellen und gründete mit einigen seiner neuen Bekanntschaften den romantischen Polarsternbund (oder auch Nordsternbund), unter dessen Dach er die ersten Jahrgänge eines Musen-Almanachs zusammenstellte. Ebenfalls begann er sich mit Goethes Werken auseinanderzusetzen. Goethe verkörperte für Varnhagen die „Vorwegnahme eines von Standesgrenzen, sozialen Gegensätzen und politischen Vorurteilen freien Daseins“ (Greiling 1993, S. 94), sodass er jegliche öffentliche Äußerung des Dichters mit großer Aufmerksamkeit verfolgte. Später betätigte er sich regelmäßig als Rezensent, wobei die Interpretation und Vermittlung der Goetheschen Werke im Mittelpunkt standen.