Ringen um begründetes PR-Verständnis (I)

Piwingers unternehmenspolitisches Verständnis von PR bei VOKO (I)

(Fach-)öffentlich hat Piwinger sein PR-Verständnis erst zu Vorwerk-Zeiten offenbart.

Abb.: Faksimile einer Seite aus dem Manuskript Piwinger 1972/77 „Voko PR“, Entwurf vom 18.4.1977.

Aus internen Dokumenten lässt sich allerdings eine große Kontinuität zu den vorherigen und zwischen den Berufsstationen erkennen. Dies wird zum einen aus seinen Zuarbeiten zur PR-Stellenbeschreibung bei VOKO sichtbar (siehe Faksimile rechts).

Zum anderen wird es aus einer Rede des VOKO-Chefs Franz Vogt vor der DPRG-Landesgruppe in Pohlheim am 27. Februar 1974 deutlich, die – nach expliziter Aussage von Manfred Piwinger am 22. Oktober 2016 – wortwörtlich seinem Redeentwurf entspricht. Piwinger lässt darin Vogt PR als unternehmerische Funktion begründen und zugleich eine soziohistorische Herleitung dafür geben:

PR ist eine unternehmerische Funktion. Sie ist, wie ich es sehe, ein ‚Produkt‘ unserer arbeitsteiligen Wirtschaft. Vorher hat es sie ja auch nicht gegeben. Zumindest nicht in einer Form, die institutionalisiert ist.1 Wenn sich jedoch im Industrialisierungsprozess ein Unternehmen geographisch ausbreitet und an Größe und Bedeutung zunimmt, erweitert sich auch automatisch das Beziehungsfeld. Die notwendigen und oft für das Unternehmen ‚lebenswichtigen‘ Kontakte können von dem einzelnen nicht mehr wahrgenommen werden. Erst von diesem Punkt an, so meine ich, hat PR Berechtigung. Ich habe diese Entwicklung selbst an mir erlebt. Vor 10 Jahren hatte VOKO im Grunde – obwohl wir unsere Produkte überall in Deutschland verkauften – regionalen Zuschnitt. Ich konnte (damals) die für die Firma wichtigsten Kontakte (noch) selbst wahrnehmen.

(Aus: PR-Archiv 1972-1978)

Piwingers unternehmenspolitisches Verständnis von PR bei VOKO (II)

Nachdem Vogts Rede vor der DPRG-Landesgruppe zunächst die neue und gewachsene Bedeutung von PR hervorhob, relativiert sie dies insofern, als dies nicht allein der institutionalisierten PR-Abteilung zugewiesen wird:

Ich würde mich falsch verstanden wissen, wenn Sie nun den Eindruck gewonnen hätten, ich würde die Beziehungspflege zu den Gruppen der Öffentlichkeit allein der PR überlassen. Das wäre – Sie werden es mir zugeben – l’art pour l’art! PR um der PR willen. Natürlich nehme ich und andere Herren der Firma nach wie vor die ‚lebenswichtigen‘ Kontakte innen wie außen wahr. Selbstverständlich! Aber – das ist der Unterschied zu früher – wir lassen uns heute in grundsätzlichen Fragen, die Einfluss auf das Verhältnis zwischen unserer Firmengruppe und der Öffentlichkeit allgemein und besonderen Gruppen der Öffentlichkeit haben, von unserem PR-Leiter beraten. Er übt damit eine spezialisierte unternehmerische Teilfunktion aus, wie der Personalchef in Bezug auf den Arbeitsmarkt, der Verkaufschef auf dem Markt für unsere Leistungen und Produkte und so fort. Mit dem Unterschied allerdings, dass PR mit allem zu tun hat – mit dem Unternehmen als Ganzem.

(Aus: PR-Archiv 1972-1978)

Was möglicherweise als unnötige Relativierung der Bedeutung von PR missverstanden werden könnte, ist aber im Sinne von Piwinger folgerichtig. Wenn PR eine unternehmenspolitische Funktion besitzt, dann muss sie zuvörderst als Aufgabe der Unternehmensleitung und nicht (nur) als Aufgabe – wie viele andere auch – einer nachgeordneten Abteilung verstanden werden.2

Piwingers konzeptionelles Verständnis von PR bei VOKO

Piwinger formulierte ein internes PR-Planungskonzept für das Unternehmen, in dem er grundlegende Begriffe wie PR und Image definierte, die Ziele und Zielgruppen3 der Voko-PR festhielt, ein Aufgabenbild zeichnete und die zur Erreichung der Ziele benötigten Ressourcen festlegte sowie die Ausgangslage der PR bei VOKO 1972 analysierte und einen Aktionsplan aufstellte.

Die selbst formulierte PR-Planung war für Piwinger ein „innerer Fahrplan“ (Piwinger 2017e, 00:10:54), der ihm dabei helfen sollte, sein eigenes Handeln zu strukturieren. Für Piwinger bestand PR aus fünf Schritten, die prozesshaft aufeinander folgen:

  • „1. Schritt: Interessen (eigene und fremde) klären, Identitätsfindung einleiten
  • 2. Schritt: Status (Potentiale) feststellen, Sachverhalt transparent machen
  • 3. Schritt: Ziele festlegen und vereinbaren
  • 4. Schritt: Aktionen planen/durchführen, Zeit-/Mittel-/Kostenplanung aufstellen
  • 5. Schritt: Echo prüfen (Ergebniskontrolle), evtl. Korrektur an Ziel und/oder Zuständen, Übereinstimmung (meist: Kompromi[ss]) herstellen“ (Piwinger 1972/77, S. 2)

Es ist bemerkenswert, wie fortschrittlich und konzeptionell-strategisch Piwingers Verständnis von PR in den 1970er-Jahren bereits war. Die von ihm festgelegte PR-Prozessplanung weist in ihrer Struktur viele Ähnlichkeiten zu heutigen strategischen Konzeptionsmodellen der PR auf.4

Autor(en): T.L.E.Z.G.K.G.BE.

Anmerkungen

1 Aus PR-historischer Sicht ist das nicht richtig, was aber in den siebziger Jahren – mangels PR-Forschung und PR-historischer Forschung – wie vieles andere nicht bekannt sein konnte. PR wurde bei Krupp schon 1870 mit der Einstellung von Josef Grünstein institutionalisiert (vgl. Wolbring 2000, S. 161ff.). In den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts und zu Beginn des 20. Jahrhunderts richteten viele auch heute noch bekannte Unternehmen „Literarische Abteilungen“, „Literarische Bureaus“  o.Ä. ein: Siemens, AEG, die Hamburger HAPAG, Carl Zeiss Jena und einige andere. Vgl. dazu auch verschiedene Beiträge im https://pr-museum.de Manfred Piwinger wusste damals zwar nach eigenen Aussagen (Mail Piwinger an G. Bentele vom 8.6.2020), dass es bei Krupp und in den USA schon früh spezialisierte Kommunikatoren gab, gemessen am heutigen (und auch damaligen) Wissensstand hatte er das seinerzeit nicht als „institutionalisiert“ betrachtet. Wir betrachten heute eine Unternehmensfunktion als „institutionalisiert“, wenn sie dauerhaft als Stelle oder Abteilung eingerichtet ist. (G.BE.)

2 Diesem möglichen Missverständnis hat sich Piwinger auch später bewusst ausgesetzt, als er öffentlich über die Vorwerk-PR berichtete. Ein Beitrag unter der Überschrift „Public Relations als integraler Bestandteil der Unternehmenskultur: Das Beispiel Vorwerk“ wird u.a. mit dem Satz eingeleitet: „Das, was wir hier bei Vorwerk als Public Relations definiert haben, könnte vom Prinzip her auch ohne eine Stelle ‚Öffentlichkeitsarbeit‘ funktionieren.“ Selbst die Herausgeber des Buches, in dem über die Vorwerk-PR berichtet wird, waren darüber insofern verstört, als sie sich bemüßigt fühlten, einzuflechten: „Manfred Piwinger (…) will sich mit dieser Äußerung sicherlich nicht selbst das Wasser abgraben.“ Ihr Folgesatz ist – vorausgesetzt wir verstehen Piwinger richtig – zu wenig grundsätzlich geraten: „Vielmehr ist sie nur vor dem Hintergrund von Vorwerk und dessen Unternehmens-Grundsätzen zu verstehen.“ (Reineke/Eisele 1991, S. 132) Nein, vermuten wir, es hat nicht nur etwas mit Vorwerk-Besonderheiten zu tun. PR – ganz grundsätzlich – ist zunächst und in erster Linie eine Funktion der Unternehmensleitung.

3 Er verdeutlichte in einem Schaubild, dass ein Unternehmen zur Betriebsbelegschaft, Geldgebern und Lieferanten, Verbrauchern und Behörden sowie der Bevölkerung der den Betrieb umgebenden Stadt oder Landschaft in Beziehung steht. Darüber hinaus führte er aus, dass die Beziehungspartner ein Vorstellungsbild vom Unternehmen entwickeln und dass deren Wohlwollen und Vertrauen existenziell für den Fortbestand des Unternehmens sind.

4 Vgl. dazu Nothhaft/Bentele 2015.