Beiträge zur Professionalisierung der PR-Branche (I)

Piwingers Aktivitäten zur Institutionalisierung von Theorie-Praxis-Transfers und zur Verwissenschaftlichung der PR

Manfred Piwinger verbindet – laut einer Laudatio von Zerfaß – „wie kaum ein anderer PR-Praktiker in Deutschland langjährige praktische Erfahrung mit wissenschaftlicher Reflexion und berufsständischem Engagement“ (Universität Leipzig, Communication Management 2007). Als Wissen suchender Praktiker hatte er früh gemerkt, dass es eine Vielfalt der im Fachgebiet noch nicht wissenschaftlich erforschten Themen gab.1 Er entschloss sich, diese Herausforderung nicht im stillen Kämmerlein abzuarbeiten, sondern im Austausch mit anderen ebenso Betroffenen.

Wie Piwinger die Zusammenarbeit auch und gerade mit Wissenschaftlern verschiedenster Disziplinen suchte, schilderte er 2017 in einem Gespräch, das von Studierenden des Communication Management an der Universität Leipzig aufgenommen wurde. Hier ein Videoausschnitt aus: Piwinger 2017c, 04:35-06:21.

Abb.: Hefte der DPRG-NRW-Schriftenreihe zu den PR-Kolloquia. Quelle: Piwinger/Ebert 2002, S. 32.

Als erfolgreicher Praktiker war Piwinger zudem ein gern gesehener Vortragender und knüpfte dabei zahlreiche Kontakte in die Wissenschaft. Dabei lernte Piwinger wissenschaftliche Verfahrens- und Argumentationsweisen kennen, bis er sich schließlich dazu entschied, neben der praktischen Tätigkeit selbst als Wissenschaftler tätig zu werden, interessante Fachgebiete zu beleuchten und darüber zu publizieren.2

Jeder, der in den Anfangsjahren der Unternehmenskommunikation arbeitete, musste sich das berufsnotwendige Wissen selbst aneignen. Als persönliche Konsequenz organisierte ich vor diesem Hintergrund 1984 das Kolloquium ‚Theoretische Grundlagen der PR in Deutschland‘ (…).

(Gebel 2011; laut PR-Archiv 1982-2002 startete das Kolloquium 1989)

In dieser regelmäßigen Veranstaltung trafen sich PR-Praktiker um Piwinger, um „oft mit Wissenschaftlern aus anderen Disziplinen (…) fachliche Themen (zu) erarbeiten“ (Gebel 2011). Die Veranstaltungsreihe des Kolloquiums war ein „Produkt“ der DPRG-NRW-Projektgruppe „Theoretische Grundlagen der PR in Deutschland“, die 1982 von Piwinger initiiert und ständig oder später3 auch geleitet wurde

Projektgruppe „Theoretische Grundlagen der PR in Deutschland“

Die Projektgruppe diskutierte nicht nur, sondern arbeitete konsequent und regelhaft Literatur auf.

Die Arbeitsweise der Projektgruppe unterschied sich gravierend von dem Bekannten und wurde intern als ‚Reading‘ bezeichnet. Konkret hieß dies: Jeder Teilnehmer war verpflichtet, zu dem jeweils anstehenden Thema ein bis zwei Bücher zu lesen und schriftlich zu rezensieren. Das war die notwendige Eintrittskarte zu den Treffen der Projektgruppe. Eine Literaturliste wurde von dem Leiter der Projektgruppe vorgegeben. Die übliche Teilnehmerzahl belief sich auf etwa 12 Personen; insgesamt gehörten zur Gruppe 18-20 Personen. Nach dem mündlichen Vortrag der Rezensionen folgte stets ein reger Gedankenaustausch, der sich zeitweilig bis in den späten Abend hinzog und von allen Teilnehmern auch im Nachhinein als sehr gewinnbringend angesehen wurde. Pro Sitzung wurden auf diese Weise 15-18 Titel vorgestellt und ausgewertet.

(Notizen von M. Piwinger. In: PR-Archiv 1982-2002)

Abb.: Manfred Piwinger hat in Deutschland und Nordrhein-Westfalen, ausgehend von seiner langjährigen Wahlheimat Wuppertal, viele Aktivitäten entfaltet. Das Foto von Raimond Spekking zeigt die Mitte von Wuppertal-Elberfeld (2019). Quelle: „(c) Raimond Spekking, CC BY-SA 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/d eed) (via Wikimedia Commons)“

An den Themen der Projektgruppe, hier von 1982 bis 1997, zeigt sich die Grundsätzlichkeit des Herangehens: Ethik/Wertewandel, wichtige PR-Literatur, Theorie der Meinungsbildung, Theorie des Vorurteils, Stereotype und Vorurteile, Witz und Humor, Propaganda/Sprache als Waffe, Klatsch-Tratsch-Gerüchte, Image, Einstellung vs. Verhalten, Symbole, Skandale, Kommunikationsbegriff, Wahrnehmung, rhetorische Kommunikation, Stimmungen, Impression Management.4

Wie an anderer Stelle bereits dargestellt, bewährte sich das „Arbeitskreis- Modell“ auch später bei anderen Themen.5

Die DPRG gründete beispielsweise am 7. September 1987 in Bonn die „Gruppe Dialog“, um „den Standort der Public Relations in der Zukunft zu bestimmen“. Kommissionsmitglied Piwinger wird damit zitiert, „dass die Diskussion in der Gruppe zu einer breiteren und wichtigeren Betrachtung der Öffentlichkeitsarbeit führen wird“ (W&V 1987).

Erfahrungen sammeln im „Götzenburger Kreis“

Nicht erst 1982 – wie im obigen Beispiel – mündeten Professionalisierungsbestrebungen aus dem PR-Berufsfeld in Projekt- bzw. Diskussionsgruppen mit Berufskollegen und Wissenschaftlern unterschiedlicher Fachgebiete.

Schon zwischen 1976 und 1998 nahm Piwinger regelmäßig an den Treffen des „Götzenburger Kreises“ teil und tauschte sich mit Gleichgesinnten aus. Der „Götzenburger Kreis“ war 1976 von Albrecht Koch, dem damaligen PR-Chef von Nestle in Frankfurt a.M., unter dem Dach der DPRG-Landesgruppe Hessen/Rheinland-Pfalz/Saarland als kleiner Kreis mit freimütigem, aber vertraulichen Gedankenaustausch gegründet worden.6

 

 

Autor(en): E.Z.G.K.T.L.

Anmerkungen

1 Vgl. Piwinger 2017f, 00:09:36.

2 Vgl. Piwinger 2017c, 00:04:51 und Piwinger o. J.

3 Hier gibt es unterschiedliche Angaben in Piwinger o.J. und PR-Archiv 1982-2002, was aber am Kern nichts ändert.

4 Vgl. PR-Archiv (1982-2002).

5 Piwinger war beispielsweise auch von 1980 bis 2000 Mitglied in der DPRG-Projektgruppe „Mitarbeiterbefragung“, geleitet von Prof. Michel Domsch von der Bundeswehrhochschule Hamburg (Piwinger o. J.).

6 Der „Götzenburger Kreis“ traf sich jährlich auf der Götzenburg in Jagsthausen (Baden-Württemberg) und besuchte dort auch jedes Mal die Götzenburger Festspiele (u.a. „Götz von Berlichingen“). Zu den regelmäßigen Teilnehmern gehörten mehrere PR-Chefs bzw. -Berater, u.a. Prof. Albert Oeckl, und einige Journalisten. Unter den jeweils eingeladenen Gästen waren z.B. Wissenschaftler bzw. Experten, Regierungssprecher und Chefredakteure. Vgl. PR-Archiv (1976-1998). Zu Albrecht Koch – 1955 Abiturient der Frankeschen Stiftungen zu Halle (Saale), 31 Jahre lang bei Nestlé, seit 1967 in der DPRG und 1990 mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt – vgl. Piwinger 2016.