Innovative Vorwerk-Geschäftsberichte (II)
Beispiele aus den 1980er- und 1990er-Jahren
1983 – im Jahr des 100-jährigen Firmenjubiläums – „spiegeln Comicfiguren – von der Witwe Bolte bis zu Fritz The Cat – auf unkonventionelle Weise das historische Zeitgefühl wider“.1 „Im Geschäftsbericht 1987 garnieren Rätsel, die gelöst werden sollen und zu einem Lösungsspruch führen, die eher spröden Zahlen.“ (Reineke/Eisele 1991, S. 136)
Der Geschäftsbericht von 1991 schaffte es aufgrund seiner Art „als Schmunzelbuch“ bis in das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ (1992, S. 210). „Seit mehr als zehn Jahren schon“ verzichte der „Staubsauger-Konzern auf dröge Jahresbilanzen, peppt die nüchternen Zahlenkolonnen mit allerlei witzigen Einfällen auf“. Gern arbeitet Manfred Piwinger mit optischen Täuschungen, die mit einer beigelegten 3-D-Brille sowie mit einer speziellen Folie „enträtselt werden können“.
Günter Bentele stellt in einem Gespräch 2020 fest:
Als ich zu vor knapp 30 Jahren, zu Anfang der neunziger Jahre Manfred Piwinger und die Firma Vorwerk kennengelernt habe, habe ich dies eindrücklich durch einen Vorwerk-Geschäftsbericht getan: Ich nahm diesen Geschäftsbericht (des Jahres 1992) in die Hand, drehte ihn auf den Kopf und wartete, bis die eingebaute, kleine Sanduhr, die auf den Deckblatt sichtbar war, durchgelaufen war. Dann drehte ich den Bericht wieder zurück und beobachtete die Sanduhr nochmals. Piwinger hatte das Thema ‚Zeit‘ auserkoren, Leserinnen und Leser neben den Geschäftszahlen zu informieren und zu unterhalten. Man konnte darin neben einigen zeitbezogenen Fotos (z. B. von Michael Gorbatschow und dem Spruch ‚Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben‘) auch kleine Abhandlungen zur Geschichte der Uhr, über die 36-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich etc. lesen und sehen. Ich dachte mir in diesem ersten Augenblick des Kennenlernens, dass eine Firma, die solche Geschäftsberichte herstellt, ja interessant sein müsste. Bei mir wurde in diesem Moment ein positives Bild des Unternehmens gebildet, das der Geschäftsbericht hervorgerufen hatte und das ich immer dann, wenn ich z. B. mit Studenten über Vorwerk oder über Geschäftsberichte sprach, wiederholte. So funktionieren Piwingers Geschäftsberichte als Kommunikationsinstrument.
(Bentele 2020)
Diese Kreativität, mit der Piwinger seine Geschäftsberichte gestaltete, machte auch vor zentraler Symbolik nicht halt:
Auf dem Titelblatt ist das Logo Vorwerk exakt in der Mitte getrennt. Das Bild einer zerstörten Brücke im Bilanzinnern gibt Aufschluss: Man müsse nur die Zeichnung langsam dem Auge nähern, dann wachse die Brücke zusammen, dasselbe gelte für das Vorwerk-Zeichen. Piwinger: ‚Manchmal muss man mit der Nase darauf gestoßen werden, um den Zusammenhang bestimmter Dinge zu erkennen.
(Spiegel 1992, S. 210)
Beispiel 1994: Lachen und Humor als Begleitthema des Geschäftsberichtes
Der Geschäftsbericht von 1994 steht beispielsweise unter dem Motto „Lachen“. Im Vorwort des Berichts wird das Vorurteil entkräftet, dass Gefühle am Arbeitsplatz nichts verloren hätten. Bereits auf dem Titel des Berichts ist das Portrait der Mona Lisa abgebildet, deren Lächeln legendär ist.
Zwischen dem Lagebericht des Unternehmens, den Geschäftsfeldern und den Bilanzen finden sich zahlreiche Anspielungen auf das Thema Lachen und Humor. So bekommt der Leser einen historischen Abriss über die gesellschaftliche Akzeptanz des Lachens auf Bildern und findet ein kleines Probiertütchen Lachgas. Zudem ist der Bericht mit Blondinen- und Ostfriesenwitzen in Form von Ausziehbildern gespickt und enthält sogar einen Spiegel, in dem der Leser das eigene Lächeln betrachten kann.2 In der Hauszeitschrift, in der diese Themen ebenfalls aufgegriffen wurden, konnten die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ihren Lieblingswitz erzählen.
Wichtig in diesem Kontext ist zu erwähnen, dass die Themen der jährlichen Geschäftsberichte auch Thema bzw. Gegenstand der jährlichen Führungstagungen waren, die auch unter der Verantwortung von Piwinger veranstaltet wurden. Gleichzeitig wurden diese Themen in der Hauszeitschrift aufgegriffen. Damit wurden wichtige Elemente eines integrierten Kommunikationsmanagements realisiert, bevor integrierte Kommunikation ein Thema in der Branche wurde.
Originalität und Kreativität sind kein Selbstzweck
Auch wenn die Geschäftsberichte formal-gestalterisch ein mediales „Feuerwerk“ zünden, geschah dies nicht der Gags wegen.
Für Manfred Piwinger ist ‚die Schaffung von Freiräumen, in denen sich Kreativität entwickeln kann, eine wesentliche Aufgabe der Unternehmensführung.‘ Gleichzeitig soll mit den individuell gestalteten Geschäftsberichten das innere Vorwerk-Klima – nämlich Offenheit und Gelassenheit – nach außen getragen werden.
(Reineke/Eisele 1991, S. 136f.)
Diese Auffassung von prozessualer Funktionalität von Kreativität in der Organisationsführung und inhaltlicher Passung zur Unternehmensphilosophie zeigt sich auch in anderen von Piwinger (mit-) verantworteten Kommunikationsmaßnahmen:
Unter dem Motto ‚Offen sein für neue Idee‘ traf sich 1988 die Führungs-Crew von Vorwerk. Ein Pantomime, ein Spiele-Erfinder sowie ein Komponist halfen dabei, alte Denkpfade zu verlassen und Mut zu machen, ‚andersherum‘ zu denken. Dieses konzernübergreifende Konzept soll innovatives und kreatives Denken fördern und einen Schub nach vorne bewirken, um Unternehmensziele beschleunigt durchzusetzen. Für Manfred Piwinger ist es von entscheidender Bedeutung, dass auf solche Weise Denkstrukturen aufgelockert und verbreitert werden. Man erhofft sich davon einen Transfer in den Unternehmensalltag.
(Reineke/Eisele 1991, S. 136)
Hier endet der erste Teil der Abhandlung über Manfred Piwinger.
Ein zweiter Teil beleuchtet Piwingers PR-Verständnis aus verschiedenen Blickwinkeln, seine Beschäftigung mit Unternehmenskultur und seine sonstigen Verdienste um die Professionalisierung der PR-Branche, so im Berufsverband.