Reflexion amerikanischer PR in den 1920ern und 1930ern

Reflexion amerikanischer Public Relations in den 1920er- und 1930er-Jahren1

Hundhausens erster USA-Kontakt und die dortige Situation

Abb: Überschrift seines Fachartikels in der Deutschen Werbung 1937. Heft 19, S. 1054.

Carl Hundhausen erlebte während seines USA-Aufenthaltes in der zweiten Hälfte der 1920er-Jahre, wie fortgeschritten die Werbe- und Kommunikationsmethoden amerikanischen Banken im Vergleich zu den deutschen waren. In seiner ersten Monografie Kundenwerbung amerikanischer Banken von 19292 verarbeitete er diese Erfahrungen und schilderte auch typische Public-Relations-Maßnahmen und -Aktivitäten (u. a. Pressearbeit), ohne allerdings den PR-Begriff ausdrücklich zu gebrauchen. Es ist anzunehmen, dass im Finanzsektor aufgrund der dort besonders großen Rolle von Vertrauen PR-Kommunikation weiter entwickelt war als in vielen anderen Branchen.

Die Weltwirtschaftskrise 1929-32 und die sich dadurch zuspitzenden sozialen Konflikte brachten die industrielle Massengesellschaft und ihre Organisationen erstmals in der Geschichte in eine breite mentale Existenzkrise. Werbung um Vertrauen in private Organisationen wurde zu einer immer wichtigeren Aufgabe, die aber zunächst von der Wirtschaft nicht, wohl aber von Wirtschaftskritikern, aktiv aufgegriffen wurde.

Da das Weiße Haus und die Öffentlichkeit die Depression als Mache der Bankiers und Industriellen denunzierten, verschloss sich die Geschäftswelt in beleidigtem Schweigen. Von 1929 bis 1936 kamen nur jene, die Kritik am Gewerbe übten, zur Sprache und machten in public relations (sic!). Ein Umschlag kam erst mit dem Ansteigen der Wirtschaftskurve, als die Bevölkerung die Furcht durch mehr Sicherheit und Glauben ersetzte, somit geneigter wurde, den Angeklagten anzuhören. Die public relations hatten sich jedoch geändert, vertieft. Die Geschäftswelt war zur Erkenntnis gekommen, dass sie trotz ungünstiger Bedingungen produzieren, handeln und verkaufen musste, dass sie vor allem eine neue Grundlage schaffen musste, um überhaupt einen normalen Geschäftsablauf zu ermöglichen. Die Lehren der ehemaligen Rufer in der Wüste, wie Vail3, Lee, Bernays (…), waren nun Allgemeingut geworden.

(Heini 1960, S. 16)4

Hundhausens USA-Kontakt 1937 und seine Verarbeitung in deutschen Fachzeitschriften

Als Carl Hundhausen 1937/38 den Begriff Public Relations explizit in deutschen Fachzeitschriften verwendete,5 verarbeitete er erneut Eindrücke aus den USA, wo sich seinerzeit die Diskussion über PR – auch und gerade in Wirtschaftskreisen – auf einem Höhepunkt befunden habe (Lehming 1997, S. 30). 1937 hatte Hundhausen über einen „Reklamekongress für Werbefachleute der Banken in USA“ berichtet.6 Seinen Aufsatz von 1938 gliederte er wie folgt: Public Relations – ein wirtschaftssoziologisches Problem?, – eine Frage der Menschenführung?, – eine Frage betriebswirtschaftlicher Organisation?, – ein Ausweg? Die „gegenwärtige soziale Unruhe (social unrest)“ führe in den USA zum Bedürfnis nach mehr „Sicherheit“ und insbesondere bei den Unternehmen nach „Good Will“ in der öffentlichen Meinung.

Soweit (…) Banken, Industrieunternehmungen und Eisenbahnen in Frage kommen, versuchen sie, die bisher Millionen und aber Millionen für Werbung (advertising) ausgegeben haben, ein neues Mittel: Public Relations Policy. Es ist aber kein neues Mittel, es ist nur eine Verlagerung des Akzents werblicher Äußerungen. Von der Behauptung geht man über zur Erklärung. Von der einfachen Mitteilung, von der bloßen Ankündigung geht man bewusst über zur Werbung um das Verständnis für innere, oft verwickelte Zusammenhänge wirtschaftlicher Dinge.

(Hundhausen 1938, S. 48ff.)

Hundhausen sah PR also durchaus im Kontext verschiedener Formen beeinflussender, persuasiver Tätigkeiten.

Wenn man diese Fülle von Überlegungen betrachtet, dann kann man nicht gerade sagen, dass sie neu sind. Man kann auch nicht gerade sagen, dass sie für die deutschen Industrieunternehmungen, die ja alle Werbeabteilungen, Pressebüros, literarische Büros oder besondere Mitarbeiter haben, neu sind. Neu ist nur die isolierte Fragestellung überhaupt. Die Heraushebung einer einzigen Funktion und Aufgabe der Werbung, ja ihre zentrale Überordnung. Unbedingt neu aber ist die Ursache, aus der heraus alles dies geschieht; ferner der Anlass zu dieser ernsthaften und über das ganze Land reichenden Diskussion.

(Hundhausen 1938, S. 48ff.) 7

Hundhausens Überlegungen in den 1930er-Jahren waren offensichtlich Ausdruck einer historischen Situation innerhalb der Entwicklung von Industrie- und Massengesellschaft, in der öffentliches Vertrauen eine deutlich höhere Wertschätzung als früher erfuhr und aus der heraus das Bewusstsein um neue Kommunikationsstrategien wuchs. Auf Grund der totalitären politischen Verhältnisse in Deutschland ab 1933 konnte die Diskussion darüber aber nicht im wünschenswerten Maße geführt werden. Solche Erörterungen wären letztlich nicht ohne eine Problematisierung von „Öffentlichkeit“ und „öffentlicher Meinung“ bzw. des Verhältnisses von gesellschaftlicher Wirklichkeit (Realität) und Kommunikation (Image) möglich gewesen. Daran konnte das totalitäre Regime aber kein Interesse haben.8

Autor(en): T.L.

Anmerkungen

1 Vgl. Liebert, Tobias: Der Take-off von Öffentlichkeitsarbeit. Beiträge zur theoriegestützten Real- und Reflexions-Geschichte öffentlicher Kommunikation und ihrer Differenzierung. Leipzig: Lehrstuhl für ÖA/PR, 2003. S. 101-105.

2 Hundhausen, Carl (1929): Kundenwerbung amerikanischer Banken. (Financial Advertising). Berlin, Leipzig und Wien: Verlagsbuchhandlung Leopold Weiß. Dazu auch Lehming 1997, S. 23.

3 Theodore Newton Vail von A.T & T. ist heute in Europa vergleichsweise – im Unterschied zu Lee und Bernays – unbekannt. Bernays bezeichnet Vail als denjenigen, der als Erster den PR-Begriff im Sinne des „Ins-Vertrauen-Ziehens der Öffentlichkeit“ benutzt habe. Vgl. Kunczik, Michael (2010): Public Relations: Konzepte und Theorien. Köln: UTB/Böhlau. S. 19.

4 Heini, Bruno (1960): Public Relations. Die Vertrauenswerbung der Privatunternehmung. Mit besonderer Berücksichtigung amerikanischer Auffassungen und Methoden. Winterthur: P. G. Keller. S. 16. Vgl. auch zur Rolle der Depression für die PR-Geschichte S. 15 und 6.

5 Vgl. Liebert, Tobias: Frühe Verwendungen der Begriffe „Public Relations“ und „Öffentlichkeitsarbeit“ in Deutschland (Stand Anfang 2003). In: Liebert 2003. S. 129ff. Bei Hundhausens explizitem Gebrauch des PR-Begriffes handelt es sich allerdings nicht, wie lange angenommen wurde und noch von Kunczik 2010 (S. 19) behauptet wird, um die ersten Nennungen im deutschsprachigen Raum.

6 Hundhausen, Carl (1937): Public Relations. Ein Reklamekongress für Werbefachleute der Banken in USA. In: Die Deutsche Werbung. Jg.(1937)19. 2. Novemberheft. S. 1054. Auf der Tagung lernte er den Banker Ray A. Illg kennen, Autor eines Buches „Public Relations for Banks“ (Rühl in Flieger/Ronneberger 1993, S. 20 und 22).  Diesen zitierte er sowohl 1937 als auch 1938.

7 Hundhausen, Carl (1938): Public Relations. In: Zeitschrift für Betriebswirtschaft. Jg.(1938)1. S. 48-61.

8 Nach 1940 beteiligte sich Hundhausen an der eingeschränkten Fachdebatte im NS-System über Aspekte der Organisationskommunikation mit Beiträgen zu „Betriebswerbung“ bzw. „innerbetrieblicher Werbung“ (Heinelt 2003, S. 44f.).

Der_Markenartikel_April_1940_Heft_4

Abb.: Faksimiles von Köpfen deutscher Fachorgane mit Beiträgen zur „Betriebswerbung“ bzw. zur „innerbetrieblichen Werbung“ im Kriegsjahr 1940.

ch_in_Dtsch_Bergwerkszeitung_16._Mai_1940

Abb.: Faksimiles von Köpfen deutscher Fachorgane mit Beiträgen zur „Betriebswerbung“ bzw. zur „innerbetrieblichen Werbung“ im Kriegsjahr 1940.