Die 1970er-Jahre – Zeit des Reifens I

Kundenspektrum

Breiter Kundenkreis

Abb.: Dr. Reiner Schulze van Loon bei der Cognac-Ballontaufe am 5.6.1973 im Hof Sudermühlen. Foto: IP Informationen / Public Relations. Quelle: Interne Materialien der Agentur Orca van Loon. Eine Veröffentlichungsgenehmigung wurde nur für das PR-Museum erteilt, Weiternutzungen sind ohne Zustimmung der Agentur nicht erlaubt.

Anfang der 1970er-Jahre – noch vor der GPRA-Gründung – zählte Dr. Reiner Schulze van Loons Dienstleistungsunternehmen IP Informationen/PR „zu den 30 größten Public-Relations-Agenturen der Bundesrepublik“. (PR 1972/3, S. 48). Sie konnte 1971 mehrere neue Kunden vermelden: Vereinigte Kammgarn-Spinnereien AG, Mummert + Partner Unternehmensberatung Hamburg/Essen, Uelzena Milchwerke eGmbH …1 1972 gehörten u.a. zu den Aufträgen bzw. Auftraggebern: „Cognac-Gemeinschafts-Public Relations (bereits seit drei Jahren bei IP)“ – also das BNIC, Allgäuer Alpenmilch, Hamburger Kürschnerinnung, Schwarzkopf GmbH, Hamburger Lloyd, portugiesischer Kork (PR 1972/1 [März], S. 50f.).

Abb.: Motiv von der Cognac-Ballontaufe am 5.6.1973. Foto: IP Informationen / Public Relations. Quelle: Interne Materialien der Agentur Orca van Loon. Eine Veröffentlichungsgenehmigung wurde nur für das PR-Museum erteilt, Weiternutzungen sind ohne Zustimmung der Agentur nicht erlaubt.

Einen Einblick in Kundenprojekte bieten auch die „Gästebücher“ (Fotoalben von PR-Veranstaltungen) der Agentur, die für die Jahre 1972 bis 1996 vorliegen. Neben den bereits genannten Auftraggebern arbeitete man in den 1970er-Jahren u.a. für folgende: Reederei Zerssen, Rüttgerswerke AG, Caramba Chemie GmbH Duisburg (Autopflege), Centrale Marketing-Gesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft (CMA), portugiesische Wirtschaft, Restaurant Schifferbörse, Charles Hosie GmbH (Import-Spirituosen), Pariser Modehaus Gérard-Fortier, Großgärtnerei Horstmann & Co. Elmshorn, Alfred Dunhill GmbH Hamburg (Mode).

Schwerpunkte der Agenturtätigkeit

Allein diese Aufzählungen zeigen einerseits ein recht breites Spektrum aus Wirtschaft und Industrie, aus Investitionsgüter- und Konsumgüterbranchen, andererseits aber einen gewissen Schwerpunkt im Food-Bereich. Besondere und langfristige Expertise und Verbundenheit erarbeitete sich die Agentur im Spirituosen-Sektor (BNIC/Cognac, Charles Hosie …) und gegenüber Kunden aus dem romanischen Sprach- und Kulturraum (Frankreich, Portugal …).

Auch wurde Schulze van Loon gern gebucht, wenn es um die Einführung neuer und zugleich erklärungsbedürftiger, „schwieriger“ Produkttypen ging, wenn also erst einmal generisch mit PR vorgearbeitet werden musste. Wie in den 1960ern beispielsweise bei Fertigbauteilsystemen oder Sicherheitsgurten, zeigt dies auch ein Neukunde von 1971: Die Panocean Lloyd Tankschifffahrt GmbH Hamburg „bietet ein weltweit neues Transportsystem an, zu dem auch neue Schiffstypen gehören, die den neuen Bestimmungen für den Transport gefährlicher Güter entsprechen.“ (Kress-Report 1971 Nr. 20, Meldung 24, S. 9)

Zunehmende Nachfrage nach strategischer PR

Strategien und Kampagnen

Abb.: Fotomotiv zur Einweihung der Schwimmhalle Rahlstedt am 25.5.1972. Foto: IP Informationen / Public Relations. Quelle: Interne Materialien der Agentur Orca van Loon. Eine Veröffentlichungsgenehmigung wurde nur für das PR-Museum erteilt, Weiternutzungen sind ohne Zustimmung der Agentur nicht erlaubt.

Dr. Reiner Schulze van Loon fand unter den „namhafte(n) Kunden“ immer mehr solche, die umfassende Kommunikationslösungen und strategische Öffentlichkeitsarbeit nachfragten. Ein Beispiel dafür ist das PR-Programm „für die Hamburger Wasserwerke (‚Unser täglich Wasser gib uns heute‘)“ (PR 1972/3, S. 48. Vgl. auch DSvL Interview). Hier zeigten sich wiederum die Texterqualitäten des studierten Literaturwissenschaftlers, seine Begabung und Vorliebe für Sinnsprüche und Aphorismen.2

Die strategischen Konzepte gingen deutlich über bloße Anzeigen-Kampagnen, die in der Werbung dominierten, hinaus. 1975 machte die Agentur Furore mit einer intelligenten und teilweise satirischen Kampagne für die CMA. Ziel war es – wie es im Fachartikel „Da lachen die Hühner“ heißt –, den Konsumenten „das deutsche Ei (aus Legehennen-Betrieben) ans Herz zu legen“. Dabei hatte sich der IP-Inhaber mit einer „Kampfzentrale für das Glück der Hühner“ um den Tierfachmann, Zoo-Direktor und TV-Star Bernhard Grzimek auseinanderzusetzen, die unter Prominenten und in der Öffentlichkeit bereits erheblichen Einfluss besaß. Schulze van Loon beschäftigte sich intensiv mit der Fachmaterie und „ging an die Quellen“ – dies kann geradezu als Grundprinzip bei all seinen Kommunikationsprojekten gelten. Er organisierte Gegengutachten und schlug den „publicitysüchtigen Schutzpatron der Hühner (…) mit seinen eigenen Waffen“. Grzimek hatte selbst als Behördenreferent und Fachautor vor dem Kriege die Legehennen-Haltung befürwortet, war also vom Saulus zum Paulus geworden, der „mit zwei Zungen spricht“.

Außerdem führte Schulze van Loon die Argumente der „Grzimek-Parteigänger“ ad absurdum, indem er sie in voller Konsequenz durchspielte. „Wohin denn mit den Hühnern? Eine Fläche wie ganz Hamburg wäre für das 60-Millionen-Hühnerheer nötig.“ Usw. usf. Der Fachautor sah in der Kampagne einen „Modellfall“ für das Prinzip „Lächerlichkeit tötet“. (PR 1975/2, S. 19)3

Kampagnen für staatliche Einrichtungen und sozialpolitische Zwecke

Der IP-Inhaber setzte nicht nur bis 1972 seine Beratertätigkeit für die Bundesregierung (siehe unter 1960er-Jahre) fort, sondern fand im staatlich-öffentlichen Sektor weitere Auftraggeber.

So war Schulze van Loon Hamburg4 „Schöpfer einer Anti-Drogen-Plakataktion, die gegenwärtig vom Bundesinnenministerium, dem Bundeskriminalamt und den Landeskriminalämtern durchgezogen wird“. Der Slogan lautete: „Rauschgift – Du machst Dich kaputt! Der Dealer macht Kasse.“ Allerdings war es nicht immer einfach, die behördlichen Kunden zu überzeugen: „Mit derselben Kampagne hatte sich Schulze van Loon an der Präsentation für die ‚Anti-Hasch-Kampagne‘ der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung beteiligt. Die Motive waren den Aufklärern ‚zu scharf‘.“ (Kress-Report 1971 Nr. 21, Meldung 37, S. 15)

Verortung in der bundesrepublikanischen PR-Geschichte

Im Phasenmodell von Szyszka zur Entwicklung des PR-Berufsfeldes in der westdeutschen Bundesrepublik stellen die Jahre 1972/73 eine Zäsur dar: Nach der „Identitätssuche“ der PR seit 1949/1951 setzte nun die „moderne Entwicklung“ ein, das heißt, es entstand jene Prägung von PR, die wir noch heute als zentral ansehen. Neben die bisherige absatzpolitische Funktion von PR rückte ihre – charakteristisch für das Jahrzehnt zwischen 1973 und 1983 – „unternehmenspolitische Funktion (Umgang mit Akzeptanz)“. PR wird zu jener Disziplin, die zuvörderst die gesellschaftliche Relevanz und Verantwortlichkeit von Organisationen und Unternehmen zu kommunizieren hat und ihnen in der Öffentlichkeit Legitimation verschafft. (Szyszka 2015, S. 502 und 504f.)

„Organisation in Gesellschaft“ zu kommunizieren, verlangt einen komplexeren, ganzheitlichen Ansatz. Damit steigt der konzeptionell-strategische Anspruch an Organisations- bzw. Unternehmenskommunikation – im Vergleich zu den 1960er-Jahren – weiter an. Das ebenfalls gewachsene Teilhabe- und Kritikpotenzial in Bevölkerung und Medien sowie der Wertewandel (individuelle Selbstverwirklichung, ökologisches Bewusstsein, aber auch Unterhaltungsorientierung etc.) haben nicht nur die Zahl der relevanten Kommunikatoren sowie Themen vermehrt, sondern auch die soziale Psyche und den medialen Stil verändert. „(Z)unehmende Empörung und Skandalisierung“ über oder in (vor allem wirtschafts-) kritischen Medien (Szyszka 2015, S. 502) führten aber auch zu wachsender Raffinesse der PR-Strategen – dafür ist die oben erwähnte Eier-Kampagne der CMA kontra ‚Kampfzentrale für das Glück der Hühner‘ ein treffendes Beispiel.

Teilaspekte der PR

Beispiele für einzelne Arbeitsbereiche bzw. Instrumente

Abb.: Dr. Reiner Schulze van Loon (links) überreicht am 15.11.1972 den IP-Adler an den Journalisten und vwd-Redakteur Wilhelm Fischer (rechts). Foto: IP Informationen / Public Relations 1972.

Nach wie vor bestand ein fester Bestandteil des Leistungsangebotes in Presse- und Medienarbeit.

Vor diesem Hintergrund erscheint es als „(g)eschickte PR für eine PR-Agentur“, einen „Preis für Fairness im Journalismus“ zu stiften:

Die Ehrung besteht aus einem IP-Adler, dem Wappentier Schulze van Loons in Medaillenform, sowie einem Betrag von 3000 Mark. Die Jury besteht aus Hamburger Journalisten (…).

(PR 1972/3, S. 48)

Die Agentur nutzt für ihre Kunden auch Instrumente des Corporate Publishing, also verschiedenste Unternehmensmedien (Corporate Media). Für die Seereederei Frigga gab sie beispielsweise 1971 eine Festschrift anlässlich des 50-jährigen Firmenjubiläums heraus.5

Autor(en): T.L.

Anmerkungen

1 Vgl. Kress-Report 1971, Nr. 6, Meldung 39, S. 10.

2 Vgl. auch DSvL Interview.

3 Ob eine fachliche Beurteilung der Ernährungs- und Tierschutz-Problematik aus heutiger Sicht zu anderen Ergebnissen führen würde, können wir hier nicht einschätzen. Unabhängig von der Richtigkeit oder Falschheit inhaltlicher Positionen ist es aber jederzeit ein legitimes moralisches und kommunikatives Anliegen, Doppelzüngigkeit oder die Motive publicityträchtiger Gegnerschaft zu thematisieren. Dazu kann es auch gehören, das Mittel der Satire einzusetzen.

4 In diesem Falle aber die Werbeagentur (wahrscheinlich, weil es sich um Plakatierung auf tariflich gebundenen Flächen handelte).

5 Dies ergibt eine Recherche nach Publikationen im Internet, hier bei https://www.buchfreund.de (Abruf im Februar 2019).