Die 1960er-Jahre – Zeit des Wachsens II

PR-Dienstleistungen für den Staat: Berater und Regierung

Berater des Bundespresseamtes

Von etwa Mitte der sechziger Jahre, spätestens seit 19651, bis 1972 gehörte Dr. Reiner Schulze van Loon zum engsten Beraterkreis des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung in Bonn. Diese Institution staatlicher Öffentlichkeitsarbeit wird häufig verkürzt als Bundespresseamt (BPA) bezeichnet.2

Schulze van Loon brachte hier sein gesellschaftspolitisches und PR-Grundverständnis sowie sein Beraterethos ein. Als „ein Demokrat der ersten Stunde“ fasste er PR „als unverzichtbaren Funktionsträger unseres pluralistischen Gesellschaftssystems“ auf. Deshalb sah er sich nicht als bloßer Vollstrecker des Willens seiner Auftraggeber. „Die PR tun nicht das, was der Kunde wünscht, sofern es sich um Anlage und Realisierung von Maßnahmen handelt, sondern aus Dialog und partnerschaftlichen Willen werden gemeinsame Problemlösungen erarbeitet.“ (Schulze van Loon, Dietrich 2006 – zitiert hier seinen Vater o.J.)

Und der Dr. phil. vertrat ein erstaunlich modernes – weil selbst heute nicht unbedingt selbstverständliches – (Nicht-) Unterscheidungskriterium zwischen PR und Werbung, was auch für die Bewertung der nachfolgend angeführten Beispiele von „Anzeigen-Kampagnen“ des BPA wichtig ist:

(…) eine, auch in Fachkreisen offenbar nicht auszurottende falsche Unterscheidung von Werbung und PR (ärgert) ihn besonders (…), nämlich die, dass eine Botschaft Werbung sei, sobald sie tarifgebunden in einem Medium geschaltet, also beispielsweise auf bezahltem Anzeigenraum verbreitet wird. Schulze van Loon: ‚Es geht um die Inhalte und nicht um die Methode des Transports.‘

(W&V 9.7.1993, S. 60-62)

Strategische PR und Staat

Staat und Regierung weiteten in den 1960ern ihre Öffentlichkeitsarbeit deutlich aus, insbesondere nahm ihr konzeptionell-programmatischer Charakter, ihre Kampagnenhaftigkeit zu. Dies traf sich mit einem zunehmenden Verständnis der PR-Treibenden und -Dienstleister von strategischer bzw. systematischer Kommunikation. Zwar war Schulze van Loon kein studierter Soziologe oder Pädagoge – von denen im folgenden Zitat die Rede ist –, aber er war Dr. phil. und – als Autodidakt – ein „guter Pädagoge“ (DSvL Interview). Obwohl er etwa gleichzeitig mit Albert Oeckl in die bundesrepublikanische Branchenöffentlichkeit trat, trifft die folgende Einschätzung eines langjährigen Beobachters der deutschen PR-Szene auch auf Reiner Schulze van Loon in den 1960er- und 1970er-Jahren zu:

Viele PR-Leute der Generation nach Oeckl waren gelernte (und überzeugte) Soziologen und Pädagogen. Wichtig für ihr Selbstwertgefühl waren große Kommunikationskampagnen neuen Typs. Medienarbeit war darin nicht mehr die alleinige Zutat, sondern ein Modul neben anderen, Konzepte wurden ‚ganzheitlicher‘ und ‚dialogisch‘, wie man es damals nannte. ‚Infomobile‘ überzogen die Marktplätze des Landes. Der im Glanz solcher Errungenschaften entstandene Stolz war berechtigt (…). PR war wichtig geworden.

(Vesper 2014, S. 12)

Hintergründe wachsender Kommunikationsanstrengungen des Staates

In jenen Jahren vollzogen sich in Politik und Gesellschaft tiefgreifende Wandlungsprozesse: Das „Wirtschaftswunder“ der Nachkriegszeit beförderte den Ausbau des Sozialstaates und die Teilhabebestrebungen breiterer Bevölkerungskreise. Auch die in Folge des wachsenden Wohlstandes entstandenen Folgeprobleme im gesundheitlichen, sozialen etc. Bereich erhöhten die strategischen Ansprüche an kommunikative Lösungsversuche.3

Die 1965 jäh einsetzende Stagnation (Rezession) wurde zwar bald wieder überwunden, ließ aber erkennen, dass wirtschaftlicher Aufschwung und politische Stabilität nicht selbstverständlich sind und der kommunikative Aufbau von Vertrauen an Bedeutung gewinnt. Auch insofern dürfte der Beginn bzw. die Intensivierung der Beraterrolle von Schulze van Loon und anderen PR-Spezialisten gerade 1965 kein Zufall gewesen sein. Der zunehmende Generationenkonflikt und wachsender Protest (außerparlamentarische Opposition, Studentenrevolte 1968 etc.), aber auch die Neuorientierung in der Außen- und Deutschlandpolitik („neue Ostpolitik“) führten zu mehr Erklärungs- und Kommunikationsbedarf zwischen Staat und Bürgern.

Abb.: Conrad Ahlers war Pressesprecher der Bundesregierung von 1969 bis 1972. Foto: Ausschnitt aus Wegmann, Ludwig: Empfang bei Bundesratsdirektor Dr. Pfitzer. Quelle: Bundesarchiv B 145 Bild-F043132-0034 / Wikimedia Commons Attribution-Share Alike 3.0 Germany license (CC-BY-SA 3.0) https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/legalcode

Parteipolitisch spiegelte sich dieser Wandel als Machtverlust von CDU/CSU (Ausklang der „Ära Adenauer“, sie endete im Oktober 1963) und in der zunehmende Regierungsrolle der SPD (Eintritt in die Regierung 1966, Übernahme/Machtwechsel 1969).4 Diese sich verändernden und neuen Koalitions-Konstellationen erhöhten Notwendigkeit und Takt von Information und Diskussion.

Ausmaß und Stil „strategischer Kommunikation“ speziell im staatlichen Bereich waren allerdings in den 1960er-Jahren noch stark umstritten. Öffentlichkeitsarbeit der Regierung stand bei nicht wenigen Akteuren unter Propagandaverdacht oder wurde als „Missbrauch von Steuermitteln“ (z.B. Spiegel 1969/7 10.2.1969, S. 48) diskreditiert, was auch einige der nachfolgenden Zitate ausdrücken. Diese Konstellation führte schließlich später mit zum wegweisenden Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von 1977, in dem die grundsätzliche Legitimität und auch Notwendigkeit staatlicher Öffentlichkeitsarbeit festgestellt wurde.5

PR-Dienstleistungen für den Staat: Kampagnen (Beispiele)

1967: Im Konjunkturtal Mut machen

Genauere Kenntnis haben wir beispielsweise von 1967: In jenem Jahr traf sich der BPA-Abteilungsleiter Peter Schulze „jeden Monat einmal mit Leuten aus der Werbebranche und jenen Bonner Ministerialbeamten, die für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig sind“. Das Magazin Der Spiegel (hier: 1967/39, S. 55) sprach in seiner häufig despektierlichen und seinerzeit betont PR-kritischen Art vom „Schulze-Klub“ (benannt nach dem BPA-Abteilungsleiter) und subsummierte Regierungs-PR meist unter „Werbung“ oder titulierte sie gar als „Propaganda“.

Zu den Beratungsaufgaben gehörte es, „breit angelegte Informationskampagnen“ zu entwickeln. Dabei ging es u.a. darum, „den Menschen im Konjunkturtal des Jahres 1967 unter dem Motto ‚Die Richtung stimmt!‘ Mut zu machen“ (Schulze van Loon, Dietrich 2006).

Abb.: Einige Motive der Konjunktur-Anzeigen der Bundesregierung. Quelle: Der Spiegel. Jg. 1997, Nr. 39. S. 55.

In der Spiegel-Diktion von der ‚Konjunktur-Anzeigenkampagne‘ – in der Tat scheinen Anzeigen das zentrale Kommunikationsmittel und also bezahlte Werbe-Kanäle der Distributionsschwerpunkt gewesen zu sein – liest sich das so:

Den Auftrag erhielten drei Firmen, deren Chefs dem Schulze-Klub angehören: die Düsseldorfer Agentur Eggert (Pott-Rum, Hohes C), die Facta Werbegesellschaft in Köln (Honda-Motorräder, Asko-Möbel) und das Hamburger Werbeunternehmen Dr. Reiner Schulze van Loon. Sie haben rund eine Million Mark aus dem Etat des Bundespresseamtes zur Verfügung, die sie während sechs Wochen ausgeben wollen.

(Spiegel 1967/39, S. 55)

Der eben zitierte Artikel sagt allerdings nicht nur etwas zu seinerzeitigen Werbe- bzw. PR-Verständnissen aus, sondern gibt auch Einblicke in die Konflikte zwischen „Werbern“ und „Amtsleuten“, zwischen Beratern und Beamten:

(…) die Texte der ersten Anzeigen wurden in Bonn gestutzt. Obwohl Presseamts-Angestellter Schulze vor Werbung ‚mit einem feierlichen Kloß im Hals‘ gewarnt hatte, nahm die Ministerialbürokratie an den Entwürfen Anstoß. Schulze: ‚Einigen Herren sträubten sich die Haare bei den Texten.‘

(Spiegel 1967/39, S. 56)

1968: Über Notstandsgesetze aufklären

Einen politischen Aufreger der gesamten 1960er-Jahre – genau genommen schon ab 1958 – stellte die Diskussion um die so genannten Notstandsgesetze dar, die schließlich am 30. Mai 1968 mit den Stimmen der großen Koalition vom Bundestag verabschiedet wurden.6 Schulze van Loon war – wie auch die seit 1968 von Günter Thiele7 geführte Agentur ABC – an einer „richtigen Informations- und Aufklärungskampagne“ beteiligt (DSvL Interview). In der Sprache des seinerzeitigen kritisch-investigativen Journalismus stellte sich diese Kampagne – und die folgenden – des BPA so dar:

Für 800 000 Mark propagierten die Koalitionsbrüder ihre unpopuläre Notstandsgesetzgebung, dann brüsteten sie sich abermals mit ihrer Wirtschaftspolitik, lobten anschließend ihre Pläne zur Finanzreform, heischten Beifall für ihr Arbeitsförderungsgesetz und den Leberplan. Überdies erschien eine Fülle von Regierungsanzeigen zu regional gefärbten Problemen (etwa: Ruhrkrise) (…).

(Spiegel 1969/7 10.2.1969, S. 48)

1969: Ergebnisse der Großen Koalition kommunizieren

Zu Jahresbeginn 1969 setzte die Bundesregierung ihre Kampagnentätigkeit fort und begann „‘Wohlstand, Frieden, Sicherheit und Fortschritt‘ zu annoncieren“. Hier war wohl die Frage, wo dieses Kommunikationsprogramm zwischen den gegensätzlichen Polen Information und Propaganda anzusiedeln sei, unter den Zeitgenossen besonders umstritten. Dies zeigt wiederum die Darstellung im Nachrichtenmagazin Der Spiegel, aus Sicht des kritisch-investigativen Journalismus unmissverständlich unter der Überschrift: „Propaganda. Unsittliche Vorstellungen“:

Die Koalitionspropaganda vertraute das Presseamt fünf Werbe- und PR-Agenturen an – Hegemann in Düsseldorf (Kosmetik-Werbung Mister L), Fähnrich in Essen, Iwag in Berlin, Schulze van Loon in Hamburg und Gesellschaft für Öffentlichkeitsarbeit in Düsseldorf. Sie klebten der politischen Werbung das Etikett auf: ‚Die Bundesregierung informiert.‘

(Spiegel 1969/7 10.2.1969, S. 49)

Autor(en): T.L.

Anmerkungen

1 Möglicherweise setzte die Beratertätigkeit auch schon vor 1965. Sein Sohn Dietrich schrieb als GPRA-Präsident in einem Nachruf auf seinen Vater: „Anfang der 60er-Jahre avancierte Dr. Schulze van Loon zum Berater der Bundesregierung.“ (Schulze van Loon, Dietrich 2006)

2 In jenen Jahren amtierten drei Kabinette: 1965/66 (meist schwarz-gelbe Koalition aus CDU/CSU und FDP) unter Kanzler Ludwig Ehrhard (CDU), 1966-69 (schwarz-rote Koalition aus CDU/CSU und SPD) unter Kurt Georg Kiesinger (CDU) und 1969-72 (sozialliberale Koalition aus SPD und FDP) unter Willy Brandt (SPD). BPA-Chefs waren: Karl-Günther von Hase (CDU) bis 14.11.1967, Günter Diehl vom 15.11.1967 bis 1969, Conrad Ahlers (SPD) von 1969 bis 1972. Vgl. einschlägige Lexika und Wikipedia. Besonders vom letztgenannten Leiter war Dr. Reiner Schulze van Loon seinerzeit angetan, wie er später einschätzte: „‚Ich muss sagen‘, lobt er rückblickend, ‚unter dem damaligen BPA-Chef Conny Ahlers herrschte ein kooperativer, koordinierter Ton.‘ Ein Geist, den der Public-Relations-Profi ansonsten in der Politik ganz entschieden vermisst: ‚Das ist doch ein Trauerspiel heute.‘“ (W&V 9.7.1993, S. 60-62)

Zum BPA heute vgl. z.B. Fröhlich/Szyszka/Bentele 2015, S. 589f.

3 Vgl. dazu Fröhlich/Szyszka/Bentele 2015, S. 817f.

4 Vgl. u.a. Pötzsch 1998, S. 138-153.

5 Vgl. auch Fröhlich/Szyszka/Bentele 2015, S. 1066f., 623 und 1057.

6 Stellvertretend für eine breite Quellenlage: WDR (2018): Planet Wissen.

7 Zu Thiele vgl. u.a. http://www.guenter-thiele-stiftung.de/ueber_uns/  bzw. http://www.cmgt.uni-leipzig.de/team/dr_hc_guenter_f_thiele.html sowie den geplanten Beitrag über Günter Thiele im pr-museum.de.