Die 1950er-Jahre – Zeit des Aufbaus II

Firmengründung 1958

Zeitumstände – 1958 als wichtiges Jahr in der deutschen PR-Geschichte

Abb.: Titel einer wichtigen Quelle zur Geschichte der PR-Beratung in der frühen Bundesrepublik. Tebrake, Heinz-Georg (2019): Meinungspflege als Beruf. Etablierung und Professionalisierung der PR-Beratung in der Bundesrepublik Deutschland bis 1974. Wiesbaden: Springer VS. (Zugl.: Dissertation. Düsseldorf: H.-Heine-Univ., 2017).

Nach der Gründung der beiden deutschen Staaten, der Bundesrepublik Deutschland (BRD) und der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) im Jahr 1949 – sie wurden in Konfrontation zueinander gegründet und gehörten zwei unterschiedlichen politischen „Blöcken“ an – waren die fünfziger Jahre in der BRD vor allem eine Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs. Das „Wirtschaftswunder“ wurde real erlebbar. Für das sich wieder neu formierende Berufsfeld PR war es eine „Periode des Neubeginns und Aufschwungs“ (Bentele 2013, 2017; auch Bentele/Liebert 2005, S. 228).

Die erste PR-Agentur, die contactdienst GmbH mit ihrem Leiter Walter H. Seiter (Tebrake 2019, S. 128ff.), und die ersten Einzelberater begannen um 1950 zu arbeiten.

In der ersten Hälfte der fünfziger Jahre strebten einige der im Berufsfeld arbeitenden Akteure nach Vernetzung. Nach der Existenz von regionalen Diskussionszirkeln unter anderem in Hamburg gründeten 17 „PR-Fachleute(n) der ersten Stunde“ (Oeckl 1990, S. 17) am 8. Dezember 1958 die Deutsche Public Relations Gesellschaft (DPRG e.V.). Erster Vorsitzender wurde Prof. Dr. Carl Hundhausen, seinerzeit PR-Chef der Firma Krupp. Nachfolger von Hundhausen, der 1960 wegen Arbeitsüberlastung zurücktrat, wurde Dr. Sven von Müller, PR-Chef der Esso Hamburg, und ein Jahr später übernahm Dr. Albert Oeckl, PR-Chef der BASF, auf der DPRG-Mitgliederversammlung 1961 den Vorsitz. Er blieb bis 1967 Erster Vorsitzender und hatte durch diese Position, durch Vorträge und Veröffentlichungen großen Einfluss auf das Berufsfeld.1

Die DPRG, der erste PR-Verband der Nachkriegszeit, war und ist Kristallisationspunkt der Diskussionen um berufliche Selbstverständnisse, berufliche Praxis, Ausbildungsfragen, internationale Anbindungen und vieles mehr.

Start in einer Hamburger Wohnung

Ebenfalls im Jahr 1958 begann Dr. Reiner Schulze van Loon in seiner geräumigen Hamburger Wohnung Eppendorfer Landstraße 86 mit einer kleinen Kommunikationsunternehmung, die schon über eine reine Einzelberatertätigkeit hinausging (siehe bereits oben zitierte Eigenaussage aus W&V 9.7.1993, S. 60-62. Vgl. auch CSvL Interview). Dieser mutige Schritt mag im Persönlichkeits- und Kompetenzprofil des kommunikativen Dr. phil. – bis dahin in der Werbeagentur Wilkens angestellt – angelegt gewesen sein, für die reale Umsetzung kam aber der „Meister Zufall“ zu Hilfe:

Da kommt eines Tages von der Correcta GmbH in Bad Wildungen der Vorschlag, Wilkens solle den Etat der Firma übernehmen, unter der Bedingung, dass Schulze van Loon den Kontakt abwickelt. Doch Agenturchef Wilkens winkt ab, weil ihm das Budget zu klein ist. ‚Ich habe überlegt und mich mit meiner Frau besprochen‘, erinnert sich Schulze van Loon, ‚und dann den Correcta-Werken angeboten, dass ich mich selbständig machen und den Etat übernehmen könnte. Die waren einverstanden.‘

(W&V 9.7.1993, S. 60-62)

Der offizielle Schritt in die Selbstständigkeit geschah – nach in der Welt am Sonntag vom 21. Juli 2013 zitierter Aussage seines Sohnes Dietrich – am 1. Februar 1958.2 In einem auf ein Interview mit Gründervater Reiner zurückgehenden Porträt heißt es:

Er gründet 1958 in Hamburg die Dr. Reiner Schulze van Loon Wirtschaftswerbung und die IP Information (Einzahl sic! – richtig ist aber die Mehrzahl) / Public Relations, also gleich zwei Firmen, eine Werbe- und eine PR-Agentur. Damit setzt er seine Vorstellung von Kommunikation und den Funktionen von Werbung einerseits und PR andererseits von vornherein in die Tat um: ‚Ich bin ein Verfechter der Idee, dass Werbung und Public Relations der linke und der rechte Schuh eines Paares sind, mit denen ein Unternehmen nach vorn geht. Ich bin der Meinung, dass nur eine integrierte Gesamtkommunikation in der Lage ist, Probleme zu lösen, um im Sinne der Zielsetzung eines Unternehmens, einer Regierung usw. etwas zu bewirken.‘ Also bietet er auch gleich beides an, aufgrund seiner journalistischen Erfahrung, aber eben nicht mit einer Agentur: ‚Weil ich die Journalisten sehr gut kannte, habe ich mich entschlossen, beides getrennt anzubieten, denn die guten Journalisten der alten Schule wollten von Werbung nichts wissen. (…)‘

(W&V 9.7.1993, S. 60-62)

Selbstverständnis und organisatorische Umsetzung

Das hier formulierte Credo des PR-Pioniers ist aufgrund seiner Biografie völlig nachvollziehbar. Auch schon in einem Fachbeitrag von 1972 (PR 1972/3, S. 48) sprach Dr. Reiner Schulze van Loon von seiner „14-jährigen PR-Tätigkeit“.

Ob es aber bereits 1958 eine parallele Gründung zweier organisatorisch selbstständiger bzw. gleichwertiger Entitäten3 gegeben hat, kann mit dem derzeitigen Erkenntnisstand nicht explizit bestätigt werden. In einem anderen Porträt des Firmengründers heißt es mehrdeutig auslegbar, er habe 1958 „eine PR- und (?) Werbeagentur“ (PR-Magazin 1986/2, S. 22) gegründet. Es war wohl so, dass die PR-Aktivitäten zunächst als freiberufliche Einzel-Tätigkeit ausgeübt wurden und damit von den formal-bürokratischen Anforderungen her „niederschwelliger“ waren als eine gewerbliche Werbe-Tätigkeit (so auch DSvL an G.BE., 15.5.2019).

Abb.: Anzeige im Branchenteil des Hamburger Adressbuches von 1960 (S. 460). Im Internet unter: http://agora.sub.uni-hamburg.de/subhh-adress/digbib/start

Unabhängig von den konkreten organisatorischen Formen und Abläufen ist vergleichsweise sicher davon auszugehen, dass in der öffentlichen Wirksamkeit4 sowie von den geschäftlichen Schwerpunkten her zunächst nur die Werbeagentur auftrat oder im Vordergrund stand. Dafür spricht auch das bereits zitierte Agenturporträt von 1986: Zunächst habe der „erfolgreiche(n) Ausbau der Werbeagentur und Marketingberatung“ im Vordergrund gestanden. Erst „seit 1965 (…) verlagerten sich die Schwerpunkte im Hause Schulze van Loon (…) kontinuierlich in Richtung Public Relations“, schrieb das PR-Magazin 1986/2 (S. 22).

Autor(en): T.L.G.BE.

Anmerkungen

1 Vgl. auch Tebrake 2019, S. 184.

2 Das Interview führte Norbert Vojta. Dietrich Schulze van Loon bejahte die Frage, ob sein Vater Reiner „einer der ersten PR-Berater Deutschlands“ war.

3 Die These von der parallelen Gründung einer PR- und einer Werbeagentur 1958 wird auch in Nachrufen zum Tode von Reiner Schulze van Loon 2006 vertreten. Vgl. Die Welt, 20.11.2006 oder Schulze van Loon, Dietrich (2006) im PR-Journal.

4 Eine Recherche in digital verfügbaren historischen Hamburger Adress- und Telefonbüchern ergibt folgenden Sachstand (vermutlich spiegeln sich die Realitäten in solchen Verzeichnissen zeitversetzt erst ca. ein Jahr später wider): 1957 und 1958 wird Dr. Reiner Schulze van Loon noch mit der Berufsbezeichnung „Journalist“ angegeben, 1959 als „Werbeberater“ – obwohl bei anderen Hamburger Dienstleistern 1959 der PR-Begriff schon vorkommt. 1960 erscheint – erstmals als hervorgehobene Anzeige – seine Firma Dr. Reiner Schulze van Loon Wirtschaftswerbung (Eppendorfer Landstr. 86) (S. 460). Von 1961 (dort z.B. auf S. 452) bis 1966 ist er mit der Werbeagentur (jetzt Blumenstr. 11 bzw. 11a) vertreten. Der Standort Blumenstraße ist also erstmals 1961 im Zusammenhang mit Schulze van Loon verzeichnet. 1962 taucht SvL unter der Rubrik „Werbung“ sogar mit zwei Anzeigen auf, auch unter Werbemittler.

1960 und 1961 verfügt das Hamburger Adressbuch (Branchenteil) bereits über eine Rubrik „Public-Relations-Beratung“. Als einziger Eintrag ist dort die Interpublic Gesellschaft für Öffentlichkeitsarbeit mbH (Neuer Wall 41) zu finden. Laut Tebrake 2019, S. 130, handelt es sich um eine 1959 in Hamburg gegründete Tochter des amerikanischen Werbekonzerns Interpublic, zu dem auch die McCann-Werbegruppe gehörte. 1962 beispielsweise tauchen in dieser Rubrik schon sechs Einträge auf – nicht aber Schulze van Loon.

Der in den Adress- und Telefonbüchern ebenfalls vorkommende „Werbeberater“ Albrecht Schulze van Loon ist Reiners Bruder. Vgl. DSvL an G.BE., 15.5.2019.

Die PR-Agentur IP Informationen Public Relations (Eppendorfer Landstr. 86) ist erstmals 1967 verzeichnet (dort S. 393). Vgl. insgesamt im Internet: http://agora.sub.uni-hamburg.de/subhh-adress/digbib/start

Abschließend sei noch einmal angemerkt, dass Adress- und Telefonbücher nicht der Realität entsprechen müssen. Als ein Indiz für die öffentliche Außendarstellung und Wahrnehmbarkeit von Personen bzw. Firmen können sie aber gelten.