Die 1950er-Jahre – Zeit des Aufbaus I

Biografische und berufliche Vorgeschichte des Agenturgründers

Von Altenburg (erst deutsche Mitte, dann Ost) nach Hamburg (auch Deutschland, aber dann West)

Abb.: Standort-Anzeige für Altenburg aus der Zeit der Weimarer Republik. Aus: Scheffler (Hg.): Thüringer Jahrbuch 1926. Leipzig: Helingsche Verlagsanstalt. Anzeigenteil.

Reiner Schulze van Loon wurde am 10. September 1922 im thüringischen Altenburg geboren.1

Sein Vater, Dr.-Ing. Armin Schulze war Chemiker2 und in der Industrieforschung der Deutschen Erdöl AG (heute DEA) tätig, die im mitteldeutschen Wirtschafts- und Braunkohlerevier mehrere Unternehmungen und speziell in Rositz (bei Altenburg) seit 1916/18 ein Mineralölwerk betrieb.3 Die Mutter, Ilse van Loon, entsprang einer holländischen und einer hamburgischen Familienlinie.4

Als Kriegsheimkehrer 1945 flüchtete Reiner Schulze van Loon in den ersten Tagen der russischen Besetzung5 aus seiner Heimatstadt und ging in den Westen, nach Hamburg.Die alte Hansestadt gehörte zur britischen Besatzungszone.

Dort heiratete er 1946 seine heute (Stand Anfang 2019) 95-jährige Frau Christa, die er bereits seit der Kindheit aus Altenburg kannte und die am 23. Dezember 1923 als Christa Gerth geboren wurde sowie vom Beruf Pharmazeutin ist.7

Neuanfang und Studium sowie erste berufliche Erfahrungen in schwieriger Nachkriegszeit

Abb.: Hamburg, Eilbeker Weg, nach den Bombenangriffen der Operation Gomorrha (zwischen August 1943 und 1945). Zu sehen ist oben das Eilbektal (Friedrichsberger Park), ganz oben links die Versöhnungskirche. Die breite Straße darunter ist der Eilbeker Weg, von links unten kreuzend die Rückertstraße, ganz rechts die Kleiststraße. Quelle: Imperial War Museum CL 3400 / Wikimedia Commons (Public Domain).

Im kriegszerstörten Hamburg begann Reiner Schulze van Loon 1946, teilweise gemeinsam mit seiner Frau, zu studieren. Er belegte als Hauptfach Literaturwissenschaft, außerdem Philosophie, Hispanistik und Psychologie.8

Reiner und Christa bewegten sich dabei vor allem in den „Romanistik“-Kreisen (die Hispanistik ist ein Teilbereich) und hatten dabei viel Kontakt mit Gleichgesinnten aus dem In- und Ausland. Diese „Clubs“ dienten nicht nur dem wissenschaftlich-fachlichen Austausch, sondern auch der praktischen Lebenshilfe. Der Frau des Agenturgründers, Christa Schulze van Loon, sind diese schwierigen Anfangszeiten noch heute präsent, wie ein Gespräch der Verfasser dieser Abhandlung mit ihr im Januar 2019 zeigte.

Im damaligen Hamburg gehörten die zerbombten Häuser und Trümmerberge, Hunger und Entbehrungen noch zum Alltag.9   Christa Schulze van Loon kann sich noch gut an die örtlichen Verhältnisse in der damaligen Hamburger Innenstadt mit den verschiedenen, für die Studierenden wichtigen Einrichtungen erinnern. Ihr Erfahrungsbericht – hier im Gespräch mit Günter Bentele und Tobias Liebert – setzt mit dem Gebäude des damaligen Polizeipräsidiums ein …

Reiner Schulze van Loons Studium dauerte bis 1950.

Bereits „in den letzten Jahren seines Studiums“ arbeitete er „für Presse und Rundfunk. Vier Jahre lang war er Reporter des (damaligen) Nordwestdeutschen Rundfunks (NWDR).“ (Schulze van Loon, Dietrich 2006)10 Zugleich beschäftigte er sich weiter mit einem wissenschaftlichen Thema – dem Vergleich einer Novelle von Cervantes mit einer Umdichtung durch den Deutschen Niclas Uhlenhart – und promovierte darüber 1955 zum Dr. phil.11

Zweite Hälfte der 1950er: berufliche Experimentierphase in der Auftragskommunikation

Über die zweite Hälfte der 1950er-Jahre schreibt sein Sohn in einem Nachruf auf seinen Vater: „Vielseitig interessiert und frisch promoviert, wechselte Dr. Schulze van Loon zur Werbeagentur McCann und ging dann, gleichfalls in Hamburg, als Kontakter zur William Wilkens Werbeagentur.“ (Schulze van Loon, Dietrich 2006) Reiner Schulze van Loon selbst hat die Entwicklung noch etwas differenzierter – und übrigens als durchaus pragmatisch zustande gekommen – dargestellt. Für unsere Zwecke besonders interessant ist, dass daraus eine PR-Tätigkeit schon vor seiner Promotion, also vor 1955, hervorgeht:

‘Eine Zeitlang war ich Pressechef der Deutschen Erdöl AG‘, berichtet er, ‚merkte aber, dass ich kein Konzernlöwe bin.‘ Das Taktieren auf Konzernetagen liegt ihm nicht.12 Da kommen ihm Mitte der fünfziger Jahre, er hat gerade seine Dissertation abgeliefert, verwandtschaftliche Bande bei der beruflichen Weichenstellung zu Hilfe: Durch die Empfehlung seines Bruders13, der bei der Agentur William Wilkens arbeitet, wird er zunächst bei McCann-Erickson Assistent von Ansgar von Nell (in den 60er Jahren BDW-Vorsitzender) und geht dann als Kontakter zu Wilkens. ‚So war ich plötzlich‘, resümiert der Senior, ‚durch Empfehlung und weil ich Geld brauchte, in der Werbung.‘

(W&V 9.7.1993, S. 60-62)

Die Abläufe lassen sich heute nicht mehr genau rekonstruieren. Es war aber wohl so, dass zeitweise mehrere Tätigkeiten (Studium/Wissenschaft – Praxis) bzw. Berufsrollen (Cervantes-Forscher – Journalist – Werber) gleichzeitig ausgeübt wurden.14

Eigene Erfahrungen mit wissenschaftlicher und vor allem journalistischer15 Tätigkeit haben ihn offenbar in Konfrontation mit klassisch-werblichen Angestellten-Jobs zu einem Erkenntnis- und Erfahrungsgewinn geführt: Früher als andere bekam er ein Gespür für das „Dazwischen“, für die Spezifik von Presse- und Öffentlichkeitsarbeit – vor allem, weil selber kein „Konzernlöwe“, für PR als beratende, dienstleistende, aber auch weitgehend autonome Profession für „Konzerne“.

 

Autor(en): T.L.

Anmerkungen

1 Vgl. u.a. Schulze van Loon, Dietrich 2006. Altenburg ist eine alte Residenzstadt und liegt hart an der thüringischen Grenze zu Sachsen, auf halbem Wege zwischen Leipzig und Zwickau. Aufgrund der wirtschaftlichen Verflechtungen des (ehemaligen) Industriegebietes um Altenburg zum Ballungsraum Leipzig-Halle gehörte Altenburg zu DDR-Zeiten zum (sächsischen) Bezirk Leipzig. Auch heute noch sind die Altenburger in ihrer Identität zwischen Thüringen und Sachsen gespalten.

2 Dr.-Ing. Armin Schulze hat 1905 an der TU Dresden promoviert und war Mit-Autor mehrerer chemischer Fachbücher (1910, 1923, 1924 nennt er sich Schulze-Altenburg).

3 Dazu finden sich im Internet einige industrie- und regionalgeschichtliche Abhandlungen. Im Zweiten Weltkrieg wurden die DEA-Anlagen durch Luftangriffe schwer beschädigt.

4 Armin Schulze und Ilse van Loon nahmen mit ihrer Heirat den Doppel-Namen Schulze van Loon an. Vgl. CSvL Interview. Die Familie wohnte in Altenburg – wie andere leitende Mitarbeiter der Deutschen Erdöl AG – auf dem Schlossgelände (Prinzenpalais). U.a.: DSvL an G.BE, 15.5.2019. Vgl. dazu auch das Altenburger Adressbuch von 1931, im Internet unter: https://forum.ahnenforschung.net/archive/index.php/t-51348-p-2.html  Die Firmenverwaltung befand sich am Theaterplatz: „Deutsche Erdöl-AG, Oberbergdirektion Altenburg (Bergbau), Theaterplatz 7/8.“

5 Reiner Schulze van Loon war im Russland-Einsatz und wurde mehrfach schwer verwundet. Nachdem russische Besatzungssoldaten sich in Altenburg für seine Familie und ihn zu interessieren begannen, verließ er die russische Zone. Vgl. CSvL Interview. Auch: DSvL an G.BE, 15.5.2019.

6 Genauer gesagt: nach Ahrensburg bei Hamburg, in das Haus seiner Mutter bzw. verstorbenen Großmutter. Vgl. CSvL Interview.

7 Ihr Vater war bereits 1924 verstorben, ihre Mutter hat weiter in Altenburg gelebt. Vgl. CSvL Interview. Mit ihr konnte Dr. Reiner Schulze van Loon am 5.10.2006 – kurz vor seinem Tod – noch die Diamantene Hochzeit begehen.

8 Zu seinem Studium gehörten auch Auslandsaufenthalte in Madrid. Vgl. Schulze van Loon, Dietrich 2006. Bereits in seiner mitteldeutschen Heimat war er für ein Medizinstudium immatrikuliert, in Hamburg konnte er dies aufgrund des dortigen NC (Numerus clausus) nicht aufnehmen. Vgl. W&V 9.7.1993, S. 60-62.

9 Vgl. CSvL Interview.

10 Vgl. auch W&V 9.7.1993, S. 60-62. Dort heißt es u.a.: Er studierte, „während er gleichzeitig für Presse und Rundfunk arbeitet und einen Lkw fährt. Zu den Kommilitonen in jener Zeit gehören Literaturstudenten, die sich später als Schriftsteller einen Namen machen sollen, wie Helmut Heißenbüttel und Siegfried Lenz, zu denen er auch heute noch Verbindung hat.“

11 Das Promotionsprojekt war vglw. schwierig und langwierig. Die Vergleichsarbeit (Relationsarbeit) erforderte z.B. Quellen aus der Universitätsbibliothek Prag, die aufgrund der Zugehörigkeit der damaligen Tschechoslowakei zum „Ostblock“ schwer zugänglich waren. Eine heutige Online-Recherche ergibt durchaus noch Bezüge auf Schulze van Loons Dissertation.

12 Dazu CSvL Interview: Der Kontakt kam durch seinen Vater, mit dem er sich aber gar nicht verstand; Pressearbeit wollten die nicht, das war verpönt (sinngemäße Transkription).

13 Christa Schulze van Loons Schwager kam aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft zurück. Vgl. CSvL Interview.

14 Eine Recherche in digital zugänglichen Hamburger Adress- und Telefonbüchern ergab folgenden Sachstand: 1957 und 1958 wird er als „Journalist“ geführt“, ab 1959 als „Werbeberater“. Vgl. http://agora.sub.uni-hamburg.de/subhh-adress/digbib/start Hörfunkjournalistische Arbeiten von Dr. Reiner Schulze van Loon wurden bis mindestens Juni 1958 veröffentlicht. Interessanterweise war er (auch oder primär) für den Schulfunk des NWDR tätig. Das Hamburger Staatsarchiv hat in seinem Bestand Sendemanuskripte des Schulfunks, darunter viele Beiträge und sogar mindestens ein Hörspiel von Reiner Schulze van Loon aus der Zeit von 1956 bis 6/1958. Vgl. Staatsarchiv 2019.

15 Später – 1972 – sagte Dr. Reiner Schulze van Loon: „Es ist höchste Zeit, dass die Öffentlichkeit erfährt, dass es faire Journalisten gibt. In meiner 14-jährigen PR-Tätigkeit ist mir bisher kein Fall von Unfairness begegnet.“ (PR 1972/3, S. 48)