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Lingners Werdegang und Kommunikationserfolge

Jugendzeit und erste Werbeerfahrungen

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Abb.: Eine Nähmaschine aus der Firma Seidel und Naumann. Foto: Norbert Schnitzler. Quelle: Wikimedia Commons http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.de

Karl August Lingner wurde am 21. Dezember 1861 in Magdeburg im heutigen Sachsen-Anhalt geboren. Im damaligen Preußen wurde in jenem Jahr Wilhelm I. neuer König, weltpolitisch gerieten aber die USA mit dem beginnenden Bürgerkrieg ins Blickfeld. Damals konnte noch niemand ahnen, welche Führungsrolle die USA später einmal in Wirtschaft, Lebensweise und Massenkonsum einnehmen würden – dank solcher Veränderungen und Trends, von denen bald auch der erwachsene Lingner in Deutschland profitieren würde.

Lingners Karriere war ihm allerdings nicht in die Wiege gelegt. Er stammte aus einfachen Verhältnissen, die eine höhere Schulbildung nicht ermöglichten.1 Einer elterlichen Vorgabe folgend absolvierte er eine kaufmännische Ausbildung in einem Gardelegener Warenladen, obwohl seine Liebe eigentlich der Musik galt.2 Nach der Lehre verblieb er weitere vier Jahre in Gardelegen. Anschließend ging er seinem ehrgeizigen Wunsch nach einem Musikstudium in Paris doch nach, was leider aber nicht gelang.3 Die Pariser Zeit und ggf. auch eine Reise nach London sollten aber für Lingner durchaus prägend werden: Zum einen sah er dort die seinerzeit moderne und omnipräsente Reklame.4 Und zum anderen erlangte er Weltläufigkeit und Fremdsprachenkenntnisse.

Formal erfolglos kehrte er 1885 nach Deutschland zurück. Die Gründerkrise hier war überwunden, das Reich stand am Beginn einer erneuten Wachstumsperiode. Alles in allem befand sich Deutschland in der Hochindustrialisierung, die auch die ursprünglich weit verbreitete agrarisch-dörfliche Lebensweise in eine industriell-städtisch geprägte wandelte. Lingner fand eine Anstellung bei der Nähmaschinenfabrik Seidel & Naumann in Dresden als Korrespondent. Für die Firma formulierte er deutsche und französische Werbe- und Geschäftsbriefe, die sich vom in Deutschland bislang üblichen Stil einer seriösen, eher steifen Geschäftssprache abhoben. Lingner wählte einfache, verständliche Worte, zeigte den Nutzen des umworbenen Produktes auf und in einer dialogischen Form schloss er die Kundenwünsche mit ein.5 Um in dieses Tätigkeitsfeld intensiver einzutauchen, beschäftigte er sich mit „Methoden der Werbung“, was auch eine Analyse amerikanischer Literatur einschloss.6

Produkt- und Kommunikationsinnovationen prägten Lingners Wirken

In der Dresdner Nähmaschinenfabrik lernte Lingner den Techniker Georg Wilhelm Kraft kennen.7 Beide wagten den Schritt als Jungunternehmer und gründeten im Juli 1888 die Firma Lingner & Kraft. Eine ideale Symbiose: Kraft konstruierte und Lingner vermarktete die entworfenen Produkte, z. B. einen Patent-Wasch-Frottierapparat (mit der Luffa-Gurke8), ‚Famos‘ (einen Stiefelzieher), das ‚biegsame Stahl-Lineal‘ sowie den ‚Dochtputzer‘ für Petroleumlampen.9 Schon bei den Produktbezeichnungen zeigte Lingner Einfallsreichtum: Büchi 2006 (S. 38) beschreibt den Stil als „Werbe-Poesie“, die beispielsweise das einfache Luffa-Stück in einen „Schönheitsschwamm“ verwandelt. Für die Vermarktung wählte Lingner die Annoncenschaltung in Form des Inserates, da Zeitungen und Zeitschriften im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts ihren Siegszug als Massenmedium antraten. Die Anzeigen bestanden aus „Bildillustrationen“ (Funke 2001, S. 10) und einem Werbetext, der die Leser ansprach und mit Nutzens-Argumenten zu überzeugen versuchte.

Beispielsweise bezogen auf die Anzeige des Luffa-Schwammes führt Büchi 2006 (S. 38) folgende Text-Merkmale an: den Zeit- bzw. Aktualitätsaspekt („dass jetzt die beste Zeit ist [also jetzt oder nie])“, die Nützlichkeit („bequem und schnell“), die Wirkung („frisch, froh und gesund“), die Alltagstauglichkeit und zugleich statusbetonte Zielgruppenansprache („Dieses Gerät gehöre wie Zahnbürste und Seife ‚auf jeden Waschtisch jedes Gebildeten’“).

Nach vier Jahren, im März 1892, schied Kraft aus dem Unternehmen aus und Lingner führte dieses alleine weiter.10 Beide verfolgten neue Interessensgebiete, Lingner wandte sich verstärkt chemisch-pharmazeutischen Erzeugnissen zu. Da trat der Chemiker Dr. Richard Seifert11 mit einer Idee heran und besprach mit Lingner die Vermarktungsmöglichkeiten einer neuen antiseptischen Substanz. Unter den Varianten Hautcreme, Toilettenseife und Mundwasser entschlossen sich beide für Letztere: Damit war die Stunde des Markenartikels „Odol“ gekommen. Lingner gründete im Oktober 1892 ein zweites Unternehmen, das Dresdner Chemische Laboratorium Lingner, die späteren Lingner-Werke.12

Sowohl das Odol-Mundwasser als auch Karl August Lingner als Unternehmer nahmen einen rasanten Aufstieg. Lingner beschäftigte sich eingehend mit Desinfektion und Hygiene, wurde dadurch auch zum Aufklärer und Philanthropen.

Lingners Leben endete recht früh. Er starb am 5. Juni 1916 an den Folgen einer Zungenkrebserkrankung. Das so genannte Lingnerschloss, die von Lingner bewohnte Villa Stockhausen auf den Elbhöhen, und das von ihm 1912 gestiftete Deutsche Hygiene-Museum erinnern noch heute in Dresden an ihn.

Autor(en): K.H.T.L.