PR-Praxis und -Berufsstand: Verhältnis zur Presse in den 1950ern
Zurückhaltende und teils unseriöse Pressearbeit bzw. -politik der Wirtschaft
Unternehmerische Pressearbeit nach dem Kriege war häufig zunächst noch von Zurückhaltung und überkommenen Vorstellungen geprägt, wie 1951 im Handelsblatt zu lesen war:
In (den) USA ist es letztlich der Unternehmer, der für den Kontakt mit der Presse dankbar ist und sich ihr verpflichtet fühlt und stolz darauf ist, wenn die Presse sich um Informationen bei ihm bemüht. Demgegenüber besteht in Deutschland noch immer die Auffassung, dass es der Journalist sei, der dankbar zu sein und sich verpflichtet zu fühlen habe, wenn der Unternehmer sich um ihn kümmert. Erst neuerdings beginnt diese Haltung sich etwas zu ändern (…). Es gibt noch immer große Firmen, die aus der Vergebung von Anzeigen der Meinung sind, die Presse sei ihnen daraus besonders verpflichtet.
(Gross 1951)
Nicht nur aus dem letzten Satz des obigen Zitates von Herbert Gross, sondern auch aus dem diesbezüglichen Diskurs im Werbefachblatt Die Anzeige wird deutlich, dass das Verhältnis zwischen PR und Journalismus bzw. zwischen Wirtschaft und Presse noch nicht durchgängig seriös und professionalisiert gestaltet war. Es bestand offensichtlich Veranlassung, beide Seiten vor „unmoralischen Angeboten“ zu warnen:
Neuerdings mehren sich wieder die Versuche der werbungtreibenden Industrie, unter Hinweis auf ihre Anzeigenaufträge Nachrichten und Berichte über Waren oder Leistungen in den redaktionellen Teil zu lancieren. (…)
(Schreiber 1954, S. 28)
Zugleich galt es aber, Unternehmen wie Redaktionen für moderne PR und damit auch für die Legitimität von seriöser Pressearbeit zu sensibilisieren:
So sehr die Verquickung von Anzeigenaufträgen mit Wünschen an die Redaktion abzulehnen ist, so sehr hat die Presse selbstverständlich die Aufgabe und auch den Wunsch, durch ihre Berichterstattung der Wirtschaft und gleichzeitig ihren Lesern zu dienen. Die zahlreichen Möglichkeiten, durch die Presse Public Relations zu pflegen, werden leider noch viel zu wenig erkannt, meist sogar verkannt und allzu oft mit versteckter redaktioneller Werbung verwechselt. Hier liegt noch eine dankbare Aufgabe, die Journalisten und Werbefachleute gemeinsam lösen können. Material über Produktionssteigerungen, Qualitätsverfeinerungen, Kauferleichterungen, technisch-wissenschaftliche Fortschritte, soziale. Maßnahmen, Bau von Werkwohnungen und vieles andere mehr interessiert Zeitschriften, Zeitungen und nicht zuletzt auch deren Leser. Aber dieses Material muss echten Nachrichtenwert haben und darf nicht in einen Anzeigenauftrag eingewickelt sein.
(Schreiber 1954, S. 28)
Auswirkungen von PR auf das verlegerische Geschäftsmodell
Die Zeitungsverleger traten der Expansion der PR mit gemischten Gefühlen gegenüber. Einerseits sahen sie eine Gefahr für ihr werbefinanziertes Geschäftsmodell aufkommen, wie aus eine Stellungnahme des Gesamtverbandes der deutschen Zeitungsverleger 1954 zu entnehmen war:1
Die Zeitungen und Zeitschriften stellen sich, obwohl sie nicht von dem Kostenaufwand profitieren, uneigennützig in den Dienst der Sache, und das Ganze heißt man schlicht: Public Relations. Verhalten sich die Zeitungs- und Zeitschriftenverlage richtig? Nein! Denn das Mittel der Public Relations ist in allen Fällen, wo es von einem Unternehmen systematisch in die werbliche Spekulation einbezogen worden ist, unbezahlte Wirtschaftswerbung. (…) Auf welche Wege die werbende Wirtschaft von ihrem Verlangen nach origineller Propaganda geführt wird, zeichnet sich seit einigen Jahren klar ab. In Großunternehmen bestehen bereits neben den Werbeabteilungen besondere Referate für Public Relations.
(Gesamtverband 1954, S. 997)
Diesem „PR-Druck“ hatten offensichtlich, wie der Stellungnahme weiter zu entnehmen ist, eine Reihe von Presseorganen bereits nachgegeben und hybride Mischformen von Journalismus und Werbung („geschäftliche Mitteilungen“) eingeführt:
Es scheint so, als ob es für ganz in Ordnung befunden wird, sogar von den Redaktionen selbst, dass die Presse ihrem eigenen Werbeträger, dem Anzeigenteil; das Wasser abgräbt. (…) Alle Redaktionen müssten zunächst einmal die für unbezahlte Veröffentlichungen bestimmte Rubrik ‚Geschäftliche Mitteilungen – außer Verantwortung der Redaktion‘ abschaffen, denn sie ist ein fauler Kompromiss und begünstigt eine unsichere verlegerische Haltung. Es sollte nur zwei Dinge in Zeitungen und Zeitschriften geben: den Textteil und den Anzeigenteil.
(Gesamtverband 1954, S. 997)
Andererseits stellten die Zeitungsverleger die Existenz und Berechtigung seriöser PR in Form journalistisch relevanter Unternehmens-Pressearbeit nicht in Abrede, wollten aber die Grenze wohl recht eng ziehen:
Für die Entscheidung des Verlegers und der Redaktion kann (..) nur stichhaltig sein, welches Interesse bei einer (unternehmerischen – T.L.) Meldung im Vordergrund steht, die Informationspflicht der Presse gegenüber der Leserschaft, wenn es sich im Kern um ein Objekt des öffentlichen Interesses und der öffentlichen Diskussion handelt (…). Ist die Informationspflicht als primär erkannt, kann und darf nicht nur, sondern muss sich sogar eine Redaktion des Themas bemächtigen; ist aber das Informationsinteresse vom Leser her als sekundär anzusprechen, dann ist der werbliche Effekt einer Verlautbarung primär, und in einem solchen Falle muss das Thema seitens des wirtschaftlichen Unternehmens als bezahlte Anzeige behandelt werden.
(Gesamtverband 1954, S. 998)
Public-Relations-Anzeigen
Klare bzw. klärende Vorstellungen zum Verhältnis von PR und Journalismus wie auch zur Werbung wurden zusätzlich dadurch erschwert, dass in den 1950ern die Nutzung des Instruments „(bezahlte) Anzeige“ für tatsächliche oder vermeintliche PR-Zwecke zu einem spezifischen Diskussionsthema wurde und es zu mehr oder weniger überzeugenden Ausdifferenzierungen kam.
Mehrere Fachbeiträge in der Werbepresse beispielsweise des Jahres 1956 beschäftigten sich mit „Institutional-Werbung (institutional advertising)“ (Blossfeldt 1956), „Repräsentativ-Anzeigen“ (bzw. Repräsentations-Anzeigen, Erinnerungswerbung), unechten und echten „Public-Relations-Anzeigen“ bis hin zu PR-Anzeigen-Kampagnen (Kropff 1956-III), „Anzeige als Instrument der PR“ oder „PR durch Anzeigen“ bzw. „PR-Aspekten der wirtschaftswerblichen Anzeige“ (Korte 1956).
„Werkjournalismus“
Im Zusammenhang mit dem Wiederaufbau der Industrie nach dem Krieg und dem „Wirtschaftswunder“ sowie dem wachsenden Selbstbewusstsein der Arbeitnehmer(-organisationen) mussten auch die Aufgaben und Möglichkeiten innerbetrieblicher Kommunikation wachsen. Vgl. dazu auch den Beitrag im PR-Museum über Werkzeitschriften.
Wenngleich nicht wirklich neu und auch begrifflich über Traditionen vor 1945 verfügend, thematisiert ein Fachbeitrag von 1954 den „Werkjournalisten“ als eine „neue Sparte“. Wohlgemerkt nicht als eine der Human oder Public Relations, sondern des „Journalismus“. In der konkreten Darstellung ist der Artikel allerdings durchaus problembewusst: „Ganz anders als bei der Tageszeitung“, heißt es schon im Untertitel.
Die gesellschaftliche Stellung des Werkjournalisten im Betrieb ist zwiespältig. Seine Spannweite reicht vom ahnungslosen, auf Bestellung schreibenden Handlanger bis zum Referenten der Geschäftsleitung. Wohin er tatsächlich gehört, ergibt sich nach kurzer Überlegung von selbst: nur der kann sowohl Sprachrohr der Unternehmungsleitung als (auch) Sprachrohr der Belegschaft sein, nur der vermag mit seiner publizistischen Aufgabe vermittelnd zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, zwischen Unternehmer und Betriebsrat zu stehen, der eine weitgehend unabhängige Vertrauensstellung hat. Beides ist nötig: das ‚unabhängig‘ und das ‚Vertrauen‘.
(Michael 1954, S. 9)
Der Autor möchte die Möglichkeit einer relativ unabhängigen Vermittlerrolle nicht aufgeben und sieht die innerbetriebliche dialogische Kommunikation auf einem guten Weg:
Hier liegt eine der Hauptsorgen unserer Werkjournalisten. Sie möchten, weil sie Publizisten sind, an die ‚heißen Eisen‘ des Betriebes heran: an die kritischen Situationen zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern z. B. bei Lohnstreitigkeiten, an die Krisenpunkte betrieblicher Organisation. oder Atmosphäre. Sie möchten schreiben dürfen über die Punkte, über die gewispert wird, weil sie wissen, dass das wispernde Gerücht der Todfeind des guten Einvernehmens im Betriebe ist. In vielen Fällen dürfen sie das noch nicht. (…) Aber der Trend ist da, und die Kristallisation des Werkjournalismus zum eigenen, voll abgerundeten Beruf wird nicht mehr lange brauchen.
(Michael 1954, S. 9)