PR-Praxis und -Berufsstand: Entwicklungsphasen (III) – speziell 1960er
Zunehmende Rolle von Produkt-Publizität
Ab 1961 begann laut Szyszka die Phase der „Fremd-Positionierung“: Der „Wandel von Nachfrage- zu Angebotsmärkten schafft Publizitätsnachfrage“ aus der Wirtschaft und führt zur „Renaissance von Produkt-Publizität/Produkt-PR“, was die „Integration von PR-Arbeit in das Marketing“ befördert (S. 502). Die Meinungs-, Beziehungs- bzw. Partnerschaftspflege trat in den Hintergrund. „PR wurden zur Waffe des Konkurrenzkampfes. Sie wurden dem Marketing untergeordnet“, schreiben auch Haedrich/Barthenheier/Kleinert (1982, S. 11).
Ähnlich auch Nöthe:
Mit der ,Selbstverwirklichung‘ im Konsum gingen ein steigendes Konsumniveau und eine stärkere Nachfragedifferenzierung einher. (…) Damit gewann die Positionierung der Unternehmungen und Produkte an Bedeutung (…). (D)as neue Ziel der Öffentlichkeitsarbeit war der Absatzerfolg der Produkte, die neue Zielgruppe nicht mehr der Staatsbürger, sondern vorrangig der Konsument (…)“.
(Nöthe 1994, S. 111)
Mitte der 1960er-Jahre habe sich „ein Systemwandel in den Unternehmen“ vollzogen, so ein weiterer Autor:
Die Übernahme amerikanischer Paradigmata der Unternehmensführung, insbesondere der Marketinggedanke und neue Managementlehren, in ihrem Gefolge Rationalisierung und Effizienzdenken, bringen die Public Relations unter Rechtfertigungsdruck. Wissenschaftliche Methoden werden nun rezipiert, Kommunikationsarbeit wird unter ökonomische Kuratel gestellt.
(Jarchow 1992, S. 17)
Damit einher ging auch ein Typ-Wechsel der (PR-)Führungskräfte:
Gleichzeitig wurden die Männer mit dem Kasino-Gehabe aus den Führungsetagen moderner Unternehmen verdrängt, der Manager tritt an die Stelle des Chefs (…)
(Jarchow 1992, S. 16).
Nöthe sah diese „organisatorische Revolution“ schon während der 1950er-Jahre ablaufen:
Im Laufe der 50er Jahre gewann eine neue Art von Führungskräften gegenüber den vormals in den Unternehmungen allein dominierenden Kapitalbesitzern und Industriebaronen an Bedeutung. Die leitenden Angestellten verkörperten effizientere Planung, Organisation und Koordination mit neuen Methoden der wissenschaftlichen Unternehmungsführung. Dieser Prozess veränderte die betrieblichen Organisationsstrukturen und begünstigte sowohl die Herausbildung unternehmensinterner Fachabteilungen als auch die Auslagerung einzelner unternehmerischer Teilfunktionen an externe Dienstleister.
(Nöthe 1994, S. 107)
Erst gegen Ende der 1960er-Jahre – mit ersten Krisen, der Studentenrevolte etc. – entstanden Bedingungen, die wieder zu einer stärkeren gesellschaftlichen Bezogenheit (laut Szyszka: „unternehmenspolitischen Funktion“) von PR führen sollten.
Gestaltungsansprüche von PR-Akteuren
Dass die Entwicklung von einer gesellschaftspolitischen zur marktorientierten PR (Szyszka) zwischen den 1950er- und 1960er-Jahren nicht als sich ausschließende „Wende“ überbetont werden sollte sowie mehr eine westdeutsche Eigenart und weniger eine übergreifende, internationale Tendenz beschreibt, darauf verweist ein Bericht der Wochenzeitung „Die Zeit“ aus Großbritannien 1963. Zwar ist er recht reißerisch gehalten und schließt von den Gestaltungsansprüchen einiger PR-Akteure auf tatsächliche Manipulationsmacht kurz, Ausbreitung und wachsende Ambitionen dürften aber richtig beobachtet sein:
Die Invasion des englischen öffentlichen Lebens durch die Armee der Public-Relations-Experten hat seit dem Krieg bemerkenswerte Fortschritte gemacht. Unternehmerverbände und Sportklubs lassen sich vertreten, Ministerien und Filmstars, Stadtverwaltungen und religiöse Gemeinschaften, die Taubstummen und die Blinden. (…) Die harmlose Definition, Public Relations dienten der ‚Förderung des gegenseitigen Verständnisses zwischen einer Organisation und dem Publikum‘, ist hoffnungslos veraltet.
(Zeit 1963, S. 1)
Es handele sich jetzt „bereits um größere Dinge als, sagen wir, um die Prestigewerbung des Gesamtverbandes der Geflügelzüchter oder der Organisation der Tee-Importeure. Es geht um höhere Dinge. Es geht um Religion, um Sozialismus, um die Umgestaltung der Gesellschaft.“ (Zeit 1963, S. 1)
‘Wir Public-Relations-Leute sind im Begriff, soziale Ingenieure zu werden‘, sagte einer der amerikanischen Hohepriester der Schwarzen Magie, Carroll Bateman. Und der Belgier Florin Mironesco verkündete bereits: ‚Public Relations sind das Mittel, die tiefe Sehnsucht des Menschen nach einer seelischen Neugestaltung zu befriedigen. Public Relations beziehen sich auf die Seele.‘
(Zeit 1963, S. 1)1
Auch deutsche PR-Akteure waren nicht frei von solchen oder ähnlichen Gestaltungsansprüchen. Mitte der 1960er-Jahre habe „die hohe Zeit der Marktforschung und der Analyse des Verbraucherverhaltens“ begonnen:
Die Behavioristen mit ihren Reiz-Reflex-Schemata – Stichwort: Packards ‚geheime Verführer‘ – stehen im Zenit ihres Ansehens und schaffen die wissenschaftlichen Konstruktionen, vor deren Hintergrund die Public Relations ihre Versprechen auf neue Weise zelebrieren.
(Jarchow 1992, S. 17)
Anmerkungen
1 Interessanterweise bezieht der internationale Aufschwung der PR auch den Ost-West-Handel und bestimmte Akteure in der DDR ein: „Selbst der Eiserne Vorhang schmilzt unter den warmen Strahlen der Public Relations: Unter den Klienten von Notley Advertising Ltd. finden wir nicht nur gut-englische Versicherungsgesellschaften und Bierbrauereien, sondern auch die ostzonale Handelskammer mit der Leipziger Messe im Brennpunkt eines rosigen ‚Image‘ freundschaftlicher West-Ost-Handelsbeziehungen.“ (Zeit 1963, S. 1)