PR-Praxis und -Berufsstand: ambivalente Situation zum Dekadenwechsel 1950er/1960er
PR zwischen amerikanischen Einflüssen und deutschen Traditionen
Aus heutiger Sicht und ausgehend von den referierten Periodisierungsmodellen erscheint die reale Entwicklung der PR in der Nachkriegs-Bundesrepublik zumindest in einigen Haupttendenzen als stetig und folgerichtig. Und schon damalige Standesvertreter aus der PR haben eine solche Sichtweise auch befördert bzw. geteilt. Aber nicht alle seinerzeitigen Akteure – beispielweise aus den Chefetagen der Wirtschaft – und Beobachter sahen das genau so.
Zunächst einmal bewegte die deutschen Kommunikationspraktiker und Unternehmensvertreter immer noch die Frage, die Carl Hundhausen schon 1937/38 gestellt hatte: Sind „Public Relations“ etwas Neues, was daran ist „amerikanisch“ und was ggf. übernehmbar?
(…) Public-Relations-Texte unterscheiden sich dadurch von der Warenwerbung, dass sie das betreffende Unternehmen weniger als Hersteller spezieller Erzeugnisse denn als Förderer allgemeiner Wünsche und Teilhaber an allgemeinen Werten herausstellen sollen. (…) Die Anzeigen vor allem der Niederlassungen amerikanischer Großunternehmen (in Westdeutschland – T.L.) wirken dabei häufig wie Duplikate der in den USA gängigen Public-Relations-Verlautbarungen. (…) Diese Darstellung erinnert notwendig daran, dass auch deutsche Unternehmen (Hoesch, BASF, Bayer u. a.) Public Relations betreiben. Aber es ist unseres Erachtens nicht dieser Hinweis auf die Fähigkeit einiger deutscher Firmen, der einer Verallgemeinerung über die Amerikanisierung der Public Relations in den Niederlassungen (amerikanischer Firmen in Deutschland – T.L.) im Wege steht. Denn wir möchten vermuten, dass diese deutschen Bemühungen noch auf amerikanische Quellen zurückverfolgt werden können und dass die Public-Relations-Funktion deswegen nicht schon selber als deutsch oder universal gelten kann.
(Hartmann 1963, S. 143. Im Original sind die mehrteiligen Aneinanderreihungen wie Public-Relations-Texte nicht mit Bindestrichen gekoppelt.)
In einem späteren Aufsatz heißt es retrospektiv unter der Teilüberschrift „Das zweite Nachkriegsjahrzehnt – beginnende Konsumgesellschaft und amerikanische Massenkultur“:
Mitte der fünfziger Jahre zeigte sich ein ambivalentes Bild: Zum Teil schien der amerikanische Einfluss in mancher Hinsicht zurückzugehen, in manchen Bereichen stieg er nach Wahrnehmung der Zeitgenossen an. (…)
Ein neues deutsches Selbstbewusstsein legten auch manche Soziologen (in einer Fußnote wird auf Helmut Schelsky verwiesen – T.L.) an den Tag, die darauf hinwiesen, dass Begriffe wie human relations und public relations im Kern Konzepte kennzeichneten, die deutschen Unternehmern schon in der Zwischenkriegszeit geläufig gewesen seien.
Andererseits haben biografische Studien gezeigt, dass es unter den Unternehmern und Managern großer Betriebe eine ganze Reihe namhafter Vertreter vornehmlich der jüngeren Generation gab, die sich von amerikanischen Methoden und Stilen sehr beeindruckt zeigten. (…)
(Schildt 2000, S. 8)
Hemmnisse für die Übernahme amerikanischer Vorstellungen
Viele Autoren über PR jener Zeit problematisierten tatsächliche oder vermeintliche (soziologische, wirtschaftliche, kulturell-mentale etc.) Unterschiede oder Gemeinsamkeiten zwischen den USA und Westdeutschland/-europa. Wurden die Ausgangsbedingungen für die „neue“ PR in den USA und der jungen BRD – wenn auch zeitlich versetzt – ähnlich eingeschätzt, nämlich die Notwendigkeit der Bewältigung von Krisen (in den USA der Weltwirtschaftskrise/Depression, in der Bundesrepublik der Zusammenbruch in Folge des Zweiten Weltkriegs), so überwogen ansonsten in der Diskussion die Unterschiede.
Die hiesigen Umstände, die in formaler Hinsicht zunächst den Lebensbedingungen der Public Relations in den USA ähnlich waren und deswegen ihre Übertragung begünstigten, wurden zunehmends (sic!) unterschiedlicher. Entsprechend sanken die Chancen erfolgreicher Exporttätigkeit (der PR von den USA in die BRD – T.L.). Auch andere Voraussetzungen fehlen mehr oder minder. Die Vorstellung, dass Fortbestand und Blüte eines Wirtschaftssystems eine Bejahung des Systems durch das ‚Volk‘ voraussetzen, gehört nicht eben zur deutschen Tradition, noch spielt die säkularisierte Ethik der Wirtschaft hierzulande die bedeutsame Rolle, die ihr in den Vereinigten Staaten immer schon zukam.
(Hartmann 1963, S. 145)
Einige Zeitgenossen beantworteten die Frage nach der Neuigkeit bzw. Übertragbarkeit von „PR“ auch derart, dass sie den „neuen“ Public Relations ihre Berechtigung absprachen:
Mehrere der befragten Führungskräfte (in deutschen Niederlassungen amerikanischer Firmen – T.L.) erklärten (…), dass das forcierte Interesse an den Public Relations offene Türen einstoße und deswegen widersinnig sei: dem Unternehmer habe immer schon an dem good will der Öffentlichkeit gelegen und dieses Ziel könne auch ohne besondere ‚Mätzchen‘ erreicht werden. Ehrlichkeit, Fairness, Großzügigkeit seien der beste Weg zum Vertrauen der Öffentlichkeit.
(Hartmann 1963, S. 143)
Zukunft der PR erschien ungewiss
Mindestens ein Teil damaliger Wirtschaftsakteure sah PR eher als ein zeitweiliges Phänomen der unmittelbaren Nachkriegszeit oder als eine zwar notwendige, aber eher unwichtige Erscheinung an. Dies wird aus einem „Lagebericht für die Public Relations in den meisten deutschen Firmen“ deutlich, der 1958 „in der Zeitschrift für junge Unternehmer veröffentlicht wurde“ (Hartmann 1963, S. 144):
‚Nachdem sich in der Welt der Betriebe so vieles wieder konsolidiert hat, wird von den betrieblichen Public Relations viel weniger gesprochen. Was heißt schon Meinungspflege, Werbung um öffentliches Vertrauen, wenn man glaubt, fest im Sattel zu sitzen und sich daher um die öffentliche Meinung nicht mehr kümmern zu müssen … Man hat zwar eingesehen, dass es heute üblich und auch notwendig ist, die Öffentlichkeitsarbeit des Unternehmens einem Spezialisten anzuvertrauen … Aber man betrachtet diesen Mann im Grunde nur als notwendiges Übel, ist nicht bereit, seine Funktion als eine Funktion der Unternehmensleitung anzuerkennen.‘
(Sweerts-Sporck 1958, S. 253. Zitiert nach: Hartmann 1963, S. 144)