Führende Soziologen über PR (I)
Helmut Schelsky in den 1950er-Jahren und Jürgen Habermas in den 1960er-Jahren
Aus den theoretischen Grundlagen, sowohl der meisten Promotionen, die sich fokussiert und explizit mit Public Relations beschäftigten, als auch des prominenten PR-Autors Carl Hundhausen (siehe weiter hinten), ist ein primär soziologisches Herangehen ersichtlich. So liegt es nahe, dass sich auch führende Soziologen mit dem Phänomen PR auseinandersetzen, obwohl sie aufgrund ihrer breiteren wissenschaftlichen Erkenntnisinteressen nicht als PR-Theoretiker im engeren Sinne bezeichnet werden können.
Nach bisherigem Erkenntnisstand war es in den 1950er-Jahren vor allem Helmut Schelsky, der sich vergleichsweise intensiv mit Public Relations beschäftigte und auch darüber publizierte. Für die 1960er-Jahre scheint es aufgrund der Aufarbeitung in der PR-wissenschaftlichen Überblicks- und Einführungsliteratur eindeutig zu sein, dass hier zuvörderst Jürgen Habermas zu nennen ist – wenngleich dieser damals gerade am Anfang seiner wissenschaftlich-philosophischen Karriere zur Weltgeltung stand.
Schelsky als vielseitig interessierter und weltanschaulich wandlungsfähiger Soziologe
Helmut Schelsky (1912-1984) hatte vor allem in Leipzig studiert, wurde dort 1935 (über Fichte) promoviert und 1939, im Jahr des Kriegsbeginns, im ostpreußischen Königsberg (über Hobbes) habilitiert. Nach schwerer Verwundung als Kompanieführer an der Front und Kriegsende baute er den Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) auf, wollte aber nicht „DRK-Manager“ werden.1
„Im Jahr 1948 wurde Schelsky an die neu gegründete ‚Akademie für Gemeinwirtschaft‘ in Hamburg berufen, die unter anderem vom Deutschen Gewerkschaftsbund getragen wurde. Später bedeutende Gewerkschaftsführer machten bei ihm Examen. (…) Im Jahr 1953 wurde Schelsky auf das Ordinariat für Soziologie an der Universität Hamburg berufen.“ (Schäfers 2009, S. 50f.) Er wurde zu einem sehr wichtigen Soziologen im Nachkriegs-Deutschland, was allerdings heute aus dem Blickfeld geraten ist.2
Der einstige Rang Schelskys in der bundesdeutschen Soziologie und seine außerordentliche Leistung für das Fach drohen zu verblassen oder werden nur noch verzerrt wahrgenommen.
(Schäfers 2009, S. 48f.)
Vor 1945 war Schelsky der „totalitären Versuchung“ erlegen, aktiv im NS-Studentenbund und seit 1937 als NSDAP-Mitglied (Gallus 2013, S. 7ff.). Ab 1945/46 wurde Schelsky zu einem „parteibuchlosen Sympathisanten der westdeutschen Sozialdemokratie“, „auch durch Zufälle“ (Dammann/Ghonghadze 2013, S. 69). Später änderte sich seine weltanschauliche Orientierung wieder. „(A)b den späten 1960er Jahren“ geriet er „zu einem zunehmend verbitterten Polemiker konservativer Provinienz“ (Gallus 2013, S. 7ff.). Doch zurück zur uns in dieser Abhandlung interessierenden Nachkriegszeit, in der er als gewerkschafts- und SPD-nah einzuschätzen ist.
Publikationen über PR: Zeitschriftenbeiträge
Helmut Schelsky „schrieb von November 1946 bis zur letzten Nummer im Januar 1949 mehrere Artikel und Rezensionen in Volk und Zeit“, der „frisch lizensierten (…) SPD-Parteizeitung Nordbadens, bald neu untertitelt als Monatsschrift für Demokratie und Sozialismus“. Dort publizierte er auch zu „Fragen, die er in den Jahrzehnten danach weiterverfolgte. Es ging ihm beispielsweise um Public Relations und Propaganda (…)“. (Dammann/Ghonghadze 2013, S. 69)3
Was er dort über PR schrieb, konnte für diese Abhandlung im PR-Museum noch nicht eruiert werden. Der Anstoß für das Interesse (auch) an PR lässt sich aber vermuten: Gemeinsam mit dem Philosophen Arno Gehlen, den er aus seiner Leipziger Zeit kannte, „studierte Schelsky ab 1947 in der American Library Karlsruhe die Schlüsselwerke der amerikanischen Sozialwissenschaft. Damit verfügten beide bald über einen großen Informationsvorsprung gegenüber ihren Fachkollegen.“ (Wikipedia 2020, unter Berufung auf: Gallus 2013, S. 18)4
Anmerkungen
1 Vgl. auch Gallus 2013, S. 7ff. Zu Schelsky gibt es auch einen sehr detaillierten und lesenswerten Beitrag in Wikipedia (2020): https://de.wikipedia.org/wiki/Helmut_Schelsky (Abruf am 20.8.2020).
2 Später arbeitete er an den Universitäten Münster (ab 1960, zugleich an der „Sozialforschungsstelle Dortmund“) und Bielefeld (ab 1970). Vgl. Schäfers 2009, S. 53-55. In Dortmund förderte er auch Niklas Luhmann (vgl. Wikipedia 2020). Schelsky gilt als der „erfolg- und einflussreichste Soziologe der frühen Bundesrepublik“. „Schelsky – mal als neokonservativ, mal als progressiv bezeichnet – wurde mit seinen Veröffentlichungen zu aktuellen Problemen der Bundesrepublik zum ‚Stichwortgeber des Zeitgeistes‘ (Ludolf Herrmann).“ Aus: http://www.uni-bielefeld.de/Universitaet/Einrichtungen/Weitere%20Einrichtungen/Universitaetsarchiv/images/Kapitel-3_UABI_Schelsky.pdf (Abruf 2019).
Helmut Schelsky hatte übrigens auch Franz Ronneberger (siehe im PR-Museum an anderer Stelle) geraten, 1960 an der Universität Münster nochmals ein neues Habilitationsverfahren zu beantragen (was auch gelang). Vgl. dazu Bentele 2019.
3 „(B)is in die 1960er Jahre hinein war er darüber hinaus einigermaßen regelmäßig Gastautor des Spiegel, als das politische Magazin seinen Ruf als linkes Leitmedium der Bundesrepublik im Verlauf der fünfziger Jahre zunehmend verfestigte“ (Gallus 2013, S. 7ff.).
4 Dieses amerikanische Literaturstudium soll auch für seinen Einstieg in die gewerkschafts- und SPD-nahe Akademie für Gemeinwirtschaft entscheidend gewesen sein. In Wikipedia (2020) heißt es weiter: „Aufgrund dieses enormen und politisch unverdächtigen Wissensvorsprungs (von dem er nach eigenen Angaben noch jahrzehntelang zehren sollte) wurde Schelsky im Herbst 1948 auf einen Lehrstuhl für Soziologie an der neu gegründeten Akademie für Gemeinwirtschaft in Hamburg berufen.“