Riesman u.a. 1958 (III)

PR – Kommunikation von Organisationen wird zur Aufgabe an sich

Riesman u.a. äußern sich explizit nicht zentral zu Public Relations bzw. Öffentlichkeitsarbeit. Allerdings wird in den eher nebensächlichen expliziten und vor allem auch impliziten Äußerungen dazu deutlich, dass unter außen-geleiteten Verhältnissen PR sozusagen kompatibel zu den oben genannten ersten und zweiten Funktionen der „Massenkommunikationsmittel“ bzw. „Massenunterhaltungsmittel“ zu sehen sind. Ausgehend von einem Beispiel (Bevölkerungsbeschwerden über Wohnungen und Gemeinschaftseinrichtungen einer gemeinnützigen Baugesellschaft aus Chicago) schreiben die Autoren:

Das Bemerkenswerte (…) war, dass diese oftmals in Form von Klagen über die angeblich – und anscheinend tatsächlich – ‚schlechten public relations‘ der Baugesellschaft vorgebracht wurden. Die direkte Kritik also, die die unmittelbaren Wünsche und Ansichten der Einwohner aussprach, war gedämpft; statt dessen kritisierte man die ‚die da oben‘, weil sie ihre ‚Beziehungen‘ (public relations) zu der Einwohnerschaft derart vernachlässigten, dass sie den Leuten – der Sprecher schien sich nicht dazuzurechnen – Gelegenheit zur Kritik geben. Tatsächlich beklagten sich die Leute also nicht über irgendwelche Missstände, sondern darüber, dass man sie nicht so manipuliert und beeinflusst hatte, dass ‚ihnen alles gefiel‘. Ihre Wünsche und Ansprüche (in Bezug auf konkrete Einrichtungen der Wohnung) traten hinter dem zurück, was ihnen am ‚anderen‘ gefiel (in diesem Fall etwa das Maß an Geschicklichkeit in der Menschenbehandlung, das man von einem großen Unternehmen erwartete).

(Riesman u.a. 1958, S. 203)

Abb.: David Riesman auf dem Titelblatt des Time-Magazins vom 27. September 1954. Aus: Ken Tompkins: The Bjork-Riesman Correspondence: 1972-1973. Im Internet unter: https://stockton.edu/stories/bjork-and-riesman.html

Generell würden – so Riesman u.a. – das „eigentliche Fachkönnen“ von dem „Verhandlungs- und Organisationsgeschick in den Hintergrund gedrängt“ (S. 147). PR sind also – so unsere Interpretation von Riesman u.a. – eine Äußerungsweise von Organisationen bzw. Unternehmen, die nicht den Inhalt der Information, nicht ihren Gegenstandsaspekt, sondern die Form, die Aufmachung, also den Gestaltungsaspekt, bzw. den Stil, ihren Beziehungsaspekt, in den Mittelpunkt rückt. Es geht also um kommunikative, nicht fachlich-inhaltliche Qualitäten. Sie dienen primär dazu, den PR-Treibenden als aufrichtig und überzeugend bzw. als attraktiv-glamorös erscheinen zu lassen.1

PR übernimmt zudem für die politischen, wirtschaftlichen etc. Akteure die Aufgabe – so unser Schluss –, „sich (…) der typisch außen-geleiteten Beschäftigung (zu) widmen, die Reaktionen der anderen zu registrieren – ihrer Wähler, ihrer Journalisten, ihrer Freunde und Feinde innerhalb einflussreicher Interessengruppen.“ (S. 225)

Durch die Revolution in den Kommunikationsmitteln bieten sich dieser Beschäftigung Mittel und Wege, die dem ebenso emsigen ‚Kundenwerber‘ früherer Zeiten nicht zugänglich waren, der höchstens ein paar Redakteure kaufen konnte, um sich in ein günstiges Licht zu stellen. Und die ehemalige Gefolgschaft hat inzwischen die Kunst erlangt, in den Vorzimmern und Wandelgängen des Parlaments bei den Abgeordneten zu intervenieren und Druck auf die Massenkommunikationsmittel auszuüben.

(Riesman u.a. 1958, S. 226)

Da dies alles kaum noch von den Akteuren selbst bewältigt werden kann, rückt eine „Reihe von Halbintellektuellen und Akademikern“ an:2

Direktoren für die ‚Industrial Relations‘-Abteilung, (…) für die Sozialabteilung. Eine Werkzeitung erscheint, es gehen Aufträge an Marktforschungs- und Betriebsplanungsinstitute heraus (…). Das alles zeugt von dem Bestreben, das Ansehen der Firma zu heben. Der Gewinn ist hierfür nur eines unter vielen anderen nützlichen Mitteln, er wird vor allem dafür verwendet, die von außen (!) diktierten Geschäftserweiterungen durchzuführen, durch die allein das Ansehen der Firma aufrechterhalten werden kann.

(Riesman u.a. 1958, S. 146)

PR – Kommunikationsform unter außen-geleiteten Verhältnissen

Insoweit können Public Relations als typische Erscheinung der außen-geleiteten Gesellschaftsphase verstanden werden. Dafür sprechen auch andere Textstellen aus dem Riesmann-Werk: Wurde die innen-geleitete Welt vor allem durch „Bargeld“ oder „Moralität“ geregelt, so spielt in der außen-geleiteten Welt „good will“ eine zentrale Rolle (S. 222).3

Diese neue Haltung kommt zum Ausdruck, wenn Geschäftsleute von sich als von Vertretern oder Vertrauensleuten öffentlicher Interessen reden. (…) Während sie auf diese Art und Weise versuchen, die Öffentlichkeit zu beeinflussen und sich durch die verschiedenen Interessengruppen hindurchzulavieren, werden sie dann selbst ebenso wie die Politiker zum Spielball der Erwartungen der Öffentlichkeit, die die Öffentlichkeit an sie stellt oder die zumindest ihrer Meinung nach von der Öffentlichkeit an sie gestellt werden.

(Riesman u.a. 1958, S. 147)

Zwar seien „Opportunismus und das Manipulieren (…) keine Erfindungen des 20. Jahrhunderts. Aber der innen-geleitete Mensch wusste, dass und in welchen Punkten seine Meinung von der der anderen abwich, und wenn er seinen Kurs änderte, so blieb es doch immer sein Kurs. (…) Auf jeden Fall bedurfte er nicht der Zuneigung aller, sondern lediglich jener, von denen sein zukünftiges Schicksal abhing.“ (S. 266) Die „neuen Industriekapitäne“ hingegen, innerhalb der „Grenzen und Möglichkeiten des harmonisierten, kooperativ-geselligen Wirtschaftslebens“, seien im Unterschied zu den alten „Würdenträgern“ „von der öffentlichen Meinung und folglich auch von der Einstellung der Regierung weit abhängiger“ (S. 223).

Zu diesem Zweck nutzen sie entweder selbst ihre Persönlichkeit aus oder erlauben anderen, sie auszunutzen, wobei die Phantasie der Propaganda- und Pressechefs die merkwürdigsten Blüten treibt.

(Riesman u.a. 1958, S. 223)

Trotz oder gerade wegen einer alles in allem toleranten und harmoniesüchtigen Gesellschaft hätten „(v)erschiedene Gruppen (…) entdeckt, dass sie sich unter den unklaren Machtverhältnissen Amerikas ziemlich viel herausnehmen können, ohne dass sie jemand daran hindert. Der Verhaltensspielraum unserer Gesellschaft ist derart groß, dass eine beträchtliche Schar von Gangstern unter einer Vielfalt von parteipolitischen Verfahrens- und Verhaltensweisen ein geruhsames Leben führen kann. Da diesen Männern der Sinn für ‚public relations‘ mangelt, sind sie sozusagen verspätete ‚Kapitalisten‘. (…) Ebenfalls glückt es manchmal einer aggressiven Gruppe, auch wenn diese nicht zu den in ihren Positionen fest verschanzten Mannschaften der ‚Veto-Mächte‘ gehört, ein Gesetz durchzupauken.“ (Riesman u.a. 1958, S. 230)

 

Autor(en): T.L.

Anmerkungen

1 Im Kontext der zentralen Argumentationen von Riesman u.a. kann dies durchaus als Kritik an gängigen PR-Verständnissen aufgefasst werden. Hier lassen sich auch Parallelen zu späteren bzw. heutigen neoinstitutionalistischen PR-Auffassungen erkennen (PR als Konstrukteur von Rationalitätsmythen und Legitimationsfassaden).

2 Der außen-geleitete Unternehmer vom Typ des „Informationssammlers“ hat da durchaus ein Problem: „soll er sich einen Anwalt oder einen geschulten ‚Public Relation‘ (sic!)-Mann beschaffen, sich eines Marktforschungsinstitutes oder vielleicht besser eines Betriebsberaters bedienen?“ (Riesman u.a. 1958, S. 146)

3 Oder plastisch an zwei politischen Führerpersönlichkeiten, die ihre Nationen in den Krieg führten (bzw. führen mussten), dargestellt: Der Engländer Churchill tat dies als „Moralist“ entsprechend den Maßstäben der Innen-Lenkung, er mobilisierte „Pflichtgefühl“ und „Arbeitswillen“ des Volkes. Der Amerikaner Roosevelt „dagegen blieb während des ganzen Krieges genau wie zuvor ein mächtiger und dabei toleranter Überredungskünstler. Wandlungen in der öffentlichen Meinung, die er zu allen Zeiten mit größter Aufmerksamkeit verfolgte, wusste er auf der einen Seite mit einem Augenzwinkern zu übergehen und auf der anderen Seite anzuregen und zu bekräftigen. Was Churchill mit seiner Entrüstung zuwege brachte, schaffte Roosevelt mit seinem Charme. (…) Führertum besteht (…) bei Roosevelt in der mit Toleranz geübten Fähigkeit, Koalitionen zu schaffen und mit ihnen zu manipulieren.“ (Riesmann u.a. 1958, S. 225) Heute würde man Beziehungs- und Dialogmanagement dazu sagen.