Baran 1966 (II)

Existenzkrise des Kapitalismus und New Deal in den USA: mehr Staat bzw. Regulierung

Abb.: Titel der deutschen Ausgabe Baran 1966 aus dem Luchterhand-Verlag. Das Buch kann u.a. in der Universitätsbibliothek Leipzig ausgeliehen werden.

Baran diagnostiziert, dass sich im Laufe der kapitalistischen Entwicklung, insbesondere in den USA, die Stellung des Staates geändert habe. Ursprünglich pries das Unternehmertum „Marktautomatik und Nichteinmischung des Staates“. Vor allem deshalb, „weil diese Vorstellungen, solange sie von der Kapitalistenklasse als Ganzer und von der Mehrheit der Bevölkerung bereitwillig akzeptiert wurden, einen bequemen Schutz für alle Bemühungen boten, die Regierungen dem Einfluss der gigantischen Kapitalgesellschaften mehr und mehr zu unterwerfen.“ (S. 179)

Abb.: New-Deal-Politik von US-Präsident Roosevelt, hier am 14.8.1935. President Roosevelt signs Social Security Act. Foto: Social Security Online. Quelle: Wikimedia Commons / Public Domain

Nach dem Ersten Weltkrieg sei der Kapitalismus in seinen „Nachsommer“ – in Form des „Traum(es) vom ‚organisierten Kapitalismus“ – eingetreten. Dieser versprach „Stabilität und wirtschaftlichen Wohlstand“ (S. 60) und wurde zunächst durch die „Selbstzufriedenheit der ‚Goldenen Zwanziger-Jahre‘“ bestätigt (S. 63). Kern dieses ‚Traumes‘ war die „kurzlebigste(n) Utopie der Geschichte“, nämlich die Vorstellung „von der ‚Ford‘- statt der ‚Marx‘-Lösung aller wirtschaftlichen und sozialen Übel sowie einer ‚Wirtschaftsdemokratie‘, die allen Gerechtigkeit und Wohlergehen zusicherte“ (S. 60).

Dieses Konzept ging durch die Weltwirtschaftskrise in den späten 1920er-/frühen 30er-Jahren zu Bruch. Der Kapitalismus geriet in eine Existenzkrise, es „musste ein mit der Aufrechterhaltung des kapitalistischen Systems zu vereinbarender Ausweg geschaffen werden.“ (S. 178)

Das New Deal in den Vereinigten Staaten löste diese Aufgabe vollkommen. Zu dem sehr geringen Preis der Anerkennung und Protektion der Gewerkschaften durch die Regierung, der Einführung planmäßiger Unterstützungen der Bauern, eines gewissen Maßes an gesetzlicher Regelung sozialer Fragen und einer zurückhaltenden Kontrolle des Kapitalmarktes gelang es Präsident Roosevelt in seiner ersten Amtsperiode, politischen und sozialen Unruhen vorzubeugen, die die Grundfesten des Kapitalismus hätten erschüttern können. Die Krise war so ernst und der Bankrott der Prinzipien von der Marktautomatik und der Nichteinmischung des Staates so tiefgehend, dass selbst das monopolistische Unternehmertum seine öffentlich verkündete Lehre dieser Situation anpassen musste. (…) Der Übergang wurde durch die bemerkenswerte Tatsache erleichtert, dass er kaum eine echte Veränderung des Bewusstseins mit sich brachte.

(Baran 1966, S. 178)

Die Rolle des Volkswirtschaftlers Keynes

Eine wissenschaftlich-theoretische Antwort auf die damaligen Herausforderungen habe die bürgerliche Volkswirtschaftslehre in Form der Auffassungen von John Maynard Keynes geliefert (S. 61).

Noch einmal versorgte sie, nicht unähnlich der Hegelschen Philosophie in ihrer ‚linken‘ Interpretation, eine Reformbewegung mit geistigen Waffen, die noch einmal glaubte, die Gegensätze des Kapitalismus durch eine Änderung der jeweiligen Einkommensverteilung und einen wohlwollenden Staat zu lösen, der künftig die stetige ökonomische Expansion und eine Steigerung des Lebensstandards garantieren werde.

(Baran 1966, S. 62)

Abb.: John Maynard Keynes 1933. National Portrait Gallery. Quelle: Wikimedia Commons / Public Domain.

Der Zweite Weltkrieg, seine Bewältigung und die „Konjunktur der Nachkriegszeit“ ließen schließlich das Interesse an Keynes zurücktreten und die „Keynessche ‚Revolution‘“ wurde rückabgewickelt (S. 62f.) – Lobeshymnen auf die „Vorteile des Marktmechanismus, des Monopols und des ‚Big Business‘“ kehrten zurück (Baran 1966, S. 63).

 

Bedeutung für die PR-Geschichte

Abb.: Faksimile der Deutschen Werbung von 1937 mit dem Titel des Hundhausen-Beitrages.

Zur Ursachenforschung für das in den 1930er-Jahren gewachsene Interesse in den USA für „Public Relations“ ist die geschilderte Konstellation dennoch sehr geeignet, so unsere Feststellung. Hinzu kommt, dass sie ebenfalls erklärt, warum dieses Interesse auch und gerade von Fachleuten im nationalsozialistischen Deutschland aufmerksam beobachtet und insbesondere von Carl Hundhausen in seinen deutschen PR-Fachaufsätzen von 1937/38 thematisiert wurde.

Denn – so Baran – die „Logik des Monopolkapitalismus“ habe sich als weit stärker erwiesen „als es Keynes und selbst seinen radikalen Nachfolgern je bewusst war; er machte ihre theoretischen Leistungen Zwecken dienstbar, die ihnen ganz fremd waren“ (S. 62):

Der nach den Prinzipien von Keynes‘ Lehre und den Geboten der ‚Functional Finance‘ gelenkte ‚Wohlfahrtstaat‘ blieb im Wesentlichen auf dem Papier. Das faschistische Deutschland hat Keynes‘ Erkenntnisse bislang am meisten benutzt, indem es eine Wirtschaftsmaschinerie aufbaute, die es ermöglichte, den Zweiten Weltkrieg zu entfesseln.

(Baran 1966, S. 62)

Damit werden Parallelen zwischen den USA des New Deals und Hitler-Deutschland gezogen, die auf der Anwendung von Keynes‘ Lehren beruhen.

Autor(en): T.L.