Baran 1966 (III)
Kommunikation von Ideologie wird durch Herstellung von Anpassung ersetzt
Baran geht quasi selbstverständlich davon aus, dass von den kapitalistischen Akteuren „ideologische Positionen“ kommuniziert werden – jedenfalls im Kapitalismus vor Eintritt in sein monopolistisches Stadium bzw. bis zum „Erdbeben der dreißiger Jahre“ (S. 178). „Ideologie“ bedeute im wissenssoziologischen Sinne eine „unangemessene, parteiische und befangene Vorstellung von der Realität“, die durch die Struktur der Gesellschaft und den Platz einer bestimmten Klasse darin geprägt wird (S. 178, Fußnote 11).
Ihre Unzulänglichkeit, Parteilichkeit und Befangenheit machen sie (die Ideologie – T.L.) zu einer Halbwahrheit und lassen sie gleichzeitig an der Wahrheit selbst teilhaben. (…) (Es) glauben diejenigen, die eine ‚Ideologie‘ zu ihrer eigenen machen, fest an deren Wahrheit; es handelt sich nicht um etwas, das sie nach Belieben abstreifen, verändern oder ihren Bedürfnissen anpassen können. In diesem Sinne ist der Begriff ‚Ideologie‘ dem Freudschen Begriff ‚Rationalisierung‘ verwandt, mit der Einschränkung, dass die Ideologie der Gesellschaftsstruktur entspringt, die Rationalisierung aber der psychischen Struktur des Individuums (…).
(Baran 1966, S. 178, Fußnote 11)
Für die Phase des Monopolkapitalismus stellt Baran jedoch die Anwendbarkeit des Ideologiebegriffes in Frage (S. 178, Fußnote 11), was wiederum Schlüsse auf eine neue Rolle von (manipulativer) Kommunikation nahelegt. Um „einen völlig anderen Vorgang“ (im Unterschied zu Ideologie) handele es sich, (…)
(…) wenn durch die Manipulationen einer sozialen Klasse ein System unangemessener, parteiischer und befangener Vorstellungen bewusst vorbereitet wird, um bestimmte Ziele dadurch zu erreichen, dass diese Vorstellungen allgemein akzeptiert werden. Auf diese Weise tritt im Zeitalter des Monopolkapitalismus, in dem Meinungen, Werte und Überzeugungen mehr und mehr der pragmatischen Kritik erliegen, Massenbeeinflussung, Anpassung usw. schnell an die Stelle der Ideologie; was einmal Gegenstand der Wissenssoziologie war, rückt immer mehr in den Bereich der Erforschung von Meinungen und Meinungsmanipulation.
(Baran 1966, S. 179, Fußnote 11 Fortsetzung)
Baran regt damit eine Unterscheidung von Kommunikation im Vormonopolismus (Kommunikation von Ideologie und damit ihre Auseinandersetzung mit anderen) und im Monopolkapitalismus (Massenbeeinflussung und Anpassung der gesamten Gesellschaft) an. Zugleich ist damit eine größere Rolle von Kommunikation, im Sinne ihrer bewussten Steuerung und Gestaltung, vermutet: Ist Ideologie – so interpretieren wir Baran – aus Sicht der sie vertretenden Klasse wahrhaftig und bedarf also bei ihrer Verbreitung keiner künstlichen Unterstützung oder gar bewussten Täuschung, bedeuten Massenbeeinflussung und Anpassung einer ganzen Gesellschaft einen analytischen, konzeptionell-programmatischen und operativ-manipulativen Aufwand.
Im Monopolkapitalismus wird das Volk u.a. durch Propaganda in Schach gehalten
Im Stadium des Monopolkapitalismus, dessen Stabilität „in hohem Maße gefährdet“ sei, brauche es „immer dringender“ eine „systematische ideologische ‚Bearbeitung‘ der Bevölkerung, um sich ihrer Treue zum Monopolkapitalismus zu versichern“. (S. 220) Zwar steht die Verwendung von „ideologisch“ im Widerspruch zur obigen Infragestellung dieses Begriffes für die Phase des Monopolkapitalismus, aus der nachfolgenden Beschreibung kommen die oben erwähnten Aspekte von Anpassung und Massenbeeinflussung zum Zwecke der Übereinstimmung von Meinungen aber gut zum Ausdruck:
Um die günstige Aufnahme des Rüstungsprogramms zu garantieren, muss dem Volk das Vorhandensein einer äußeren Gefahr systematisch eingehämmert werden. Ein unaufhörlicher Feldzug offizieller und halboffizieller Propaganda, der von der Regierung und vom Big Business finanziert wird, soll eine beinahe vollkommene Übereinstimmung der Meinungen in allen bedeutsamen Fragen bewirken. Ein sorgfältig ausgearbeitetes System wirtschaftlicher und sozialer Druckmittel entsteht, um unabhängige Meinungen zum Schweigen zu bringen und alle ‚unerwünschten‘ wissenschaftlichen, künstlerischen oder literarischen Äußerungen zu unterdrücken.
(Baran 1966, S. 220)
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Immer dann, wenn es nicht gelingt, das Volk durch Propaganda, Schulung und gesellschaftlichen oder behördlichen Druck von der Richtigkeit der imperialistischen Idee zu überzeugen, werden Zwischenfälle inszeniert, um der künstlich erzeugten Furcht Nahrung zu geben und um der systematisch aufrechterhaltenen Hysterie Substanz zu verleihen.
(Baran 1966, S. 221)
Unklar muss bleiben, ob der Begriff „Propaganda“ von Baran für die Phase des Monopolkapitalismus reserviert ist oder ob auch Ideologieverbreitung im vormonopolistischen Stadium damit zu bezeichnen wäre.