Baran 1966 (I)

Zu Baran und seinem Buch

Abb.: Buchtitel der amerikanischen Ausgabe The Political Economy of Growth von Januar 1957. Aus: Monthly Review. Im Internet unter: https://monthlyreview.org/product/political_economy_of_growth/

Paul A. Baran stammte aus Russland und war ursprünglich Anhänger des Kommunismus. Er distanzierte sich auch unter dem Eindruck von Auslandsaufenthalten im Westen vom Stalinismus und brach während seiner wissenschaftlichen Tätigkeit in Deutschland ab 1928 mit dem Kommunismus generell und wandte sich der Sozialdemokratie – beeinflusst durch Rudolf Hilferding – zu. Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung zog sich Baran von Parteipolitik ganz zurück und verstand sich als unabhängiger Marxist. 1939 ging er in die USA, wurde Wirtschaftsexperte und -wissenschaftler. Seine Arbeiten zur „Politischen Ökonomie“ waren insbesondere prägend für viele Ökonomen in unterentwickelten Ländern. Er starb 1964 in Kalifornien.1

Baran thematisiert nicht „Public Relations“ – wenn überhaupt Kommunikation, dann „Propaganda“ für die monopolkapitalistische Ordnung. Aber PR-historisch ist sein Buch außerdem deshalb interessant, weil er eine Interpretation von Weltwirtschaftskrise und „New Deal“ liefert. Diese Konstellation der 1920er-/30er-Jahre in den USA wurde von anderen, gerade auch deutschen namhaften PR-Fachautoren – z.B. Carl Hundhausen – als wesentliche Ursache für das seitdem starke amerikanische Interesse an Public Relations empfunden.

Die marxistische Grundposition von Baran und seine Haltung zur bürgerlichen Wissenschaft sowie Massenkommunikation

Abb.: Paul A. Baran 1957. Aus: Back cover, paperback edition of „The Political Economy of Growth“. The purpose of this image is purely educational, to illustrate an encyclopedia article about the subject. Quelle: https://en.wikipedia.org/wiki/File:Baran-paul-a-1957.jpg

Die „bürgerliche Volkswirtschaftslehre“ sehe sich, so Baran, verpflichtet, die „bestehende wirtschaftliche und soziale Ordnung als gegeben hinzunehmen“. Deshalb stehe sie unter dem Zwang, „dauernd zwischen zwei gleichermaßen fatalen Alternativen zu wählen“. Das „Problem der Herrschaft des Verbrauchers“ werde als die Frage aufgefasst, „ob es dem Konsumenten – wie sehr er auch der Werbung und konzentrierten Verkaufsmethoden ausgesetzt sein mag – überlassen werden solle, sein Einkommen so zu verbrauchen, wie es ihm gefällt, oder ob man ihn zwingen sollte, einen Warenkorb zu akzeptieren, den ein ‚Kommissar‘ für ihn am geeignetsten hält“. (Baran 1966, S. 10)

1 Konservative Problemsicht

Die eine Variante der „konservativen (Herv. – T.L.) Reaktion auf diese verwirrende Frage“ leugne die Existenz des Problems. Die andere Variante gebe „offen zu“, dass „die Macht der Riesenkonzerne so groß ist, dass sie den Geschmack und die Präferenzen zu ihrem Vorteil formen und dass sich all dies sowohl auf unsere Wirtschaft als auch auf unsere Gesellschaft ungünstig“ auswirke. (S. 11)

Der Einfluss der Wirtschaft auf den Geschmack reicht von der direkten Wirkung der äußeren Form der materiellen Güter bis zu der indirekten und subtileren Wirkung der durch die Massenmedien vermittelten Art zu sprechen und zu denken – eine Schule des Stils, an der wir alle jeden Tag teilnehmen (…)

(Carl Kaysen, zit. nach Baran 1966, S. 11f.)

2 Liberale Problemsicht

Die Antwort der Liberalen laute hingegen, sich „über den schädlichen Einfluss der Werbung, die betrügerische Differenzierung von Produkten (die sich in Wirklichkeit gar nicht unterscheiden) und das künstlich herbeigeführte Veralten von Produkten bestürzt“ zu zeigen (S. 12).

Er (der Liberale – T.L.) ereifert sich über das kulturelle Niveau der Schulen, Hollywoods, der Zeitungen, des Rundfunks und des Fernsehens. Diese Empörung lässt ihn zu dem Schluss kommen, dass ‚es nicht darum geht, ob die Verbraucher oder eine zentrale Planstelle souverän sein sollen, sondern ob und wie die Macht der Produzenten, gewisse Verbraucher zu ignorieren und die Präfenzen anderer zu beeinflussen, eingeschränkt, modifiziert oder in gewisser Weise geteilt werden sollte‘.

(Baran 1966, S. 12, unter teilweiser Zitierung von Tibor Scitovsky)

3 Wer sind die Realisten?

„So enttäuschend es auch für viele sein mag, es kann kein Zweifel darin bestehen, dass der konservative ‚Realist‘ im gegenwärtigen Stadium der kapitalistischen Entwicklung der Wahrheit häufig näher kommt als der liberale Weltverbesserer.“ (Baran 1966, S. 13) Baran hält den „Monopolkapitalismus“ für „krebsartig krank“ und diese Krankheit erwachse aus der „Grundlage“ (… der) Existenz und Lebensfähigkeit der kapitalistischen Ordnung“ (S. 17). Hier zeigt sich Baran ganz als Marxist:

Die entscheidende Tatsache unserer Zeit ist, dass das Institut des Privateigentums an Produktionsmitteln – einst mächtiger Antrieb für den Fortschritt – in unversöhnlichem Widerspruch steht zum wirtschaftlichen und sozialen Aufstieg der Menschen in den unentwickelten Ländern, zum Wachstum, zur Entwicklung und zur Befreiung der Menschen in den hochentwickelten Ländern.

(Baran 1966, S. 50)

Autor(en): T.L.

Anmerkungen

1 Vgl. Nachwort von Paul M. Sweezy zum Buch (Baran 1966, S. 444-446).