PR-Kritik (EN) der 1950er bis 1970er (I)

PR-Kritik der 1950er- bis 1970er-Jahre: Englischsprachige Autoren mit deutscher Resonanz (Teil I)

Einführung: Amerikanische „PR“ als Vorbild?

Vorbemerkungen: Erkenntnisziele und Vorgehen

Im Folgenden stellen wir Auffassungen von englischsprachigen Autoren vor, die allgemeinhin als PR-kritische Ansätze klassifiziert werden. Mitunter wäre auch der Begriff „gesellschaftskritisch“ passender. Wobei die Spanne der kritischen Perspektiven breit ist: Sie reicht von systemimmanent-reformerischen bis zu systemüberwindend-revolutionär argumentierenden Ansätzen. Dass es aber PR-kritische (oder eben gesellschaftskritische) Ansätze sind, war primär gar nicht beabsichtigt. Vielmehr lag der ursprüngliche Antrieb darin, ins Deutsche übersetzte englischsprachige Ansätze mit Einfluss auf die frühe (west-) deutsche gesellschaftspolitische und Fachdiskussion – also bis spätestens 1970er-Jahre – vorzustellen, wobei deren Auswahl vergleichsweise einfach anhand weniger einschlägiger deutscher Überblicksdarstellungen erfolgen sollte.

Abb.: Buchdeckel von Fröhlich/Szyszka/Bentele (Hg.): Handbuch der PR. Springer/VS 2015 (3. Aufl.). Darin auch die Aufsätze von Westerbarkey und Botan/Trowbridge.

Eine umfassende Primär-Analyse amerikanischer Quellen war weder beabsichtigt noch möglich. Die genutzten Überblicke von Kunczik (zuerst 1993) und Westerbarkey (aktuell 2015) brachten dann die kritische Perspektive mit sich. Werden in Kunczik zur Darstellung gängiger PR-Theorie-Ansätze englischsprachige Quellen herangezogen, so geschieht dies – mit gewisser Ausnahme systemtheoretischer bzw. kybernetischer (S. 121ff., 166ff.) und spieltheoretischer (S. 206ff.) Vorgehensweisen – überwiegend mit Publikationen ab bzw. nach den 1980er-Jahren.1 Pauschal kann dies auch für Fröhlich/Szyszka/Bentele (2015) festgestellt werden, was nicht verwundert, soll doch in solchen Hand- und Fachbüchern vor allem der aktuelle Forschungs- bzw. Praxisstand widergespiegelt werden. Aber Botan/Trowbridge (2015) liefern für die USA auch eine theoriegeschichtliche Begründung:

The period extending from roughly the creation of the U.S. Government’s Creel Committee to influence U.S. public opinion regarding American participation in the First World War to the mid-1980’s was dominated by naked functional models that were not yet real theories. (…) Public relations theory began to come into its own in the U.S. in the late 1970s and early-to-mid 1980s, sparked in part by the work of Scott Cutlip and his students coming out of the University of Wisconsin. These scholars produced some of the first real theory work in public relations (…) Drawing mostly on existing social science and mass communication theories, these and other scholars began to develop a recognized area of theoretic work in public relations in the 1980s and 1990s.

(Botan/Trowbridge 2015, S. 360)

Die Darstellung im PR-Museum haben wir in zwei Teile gegliedert. Hier, im ersten Teil, stellen wir nach einer Einführung die Auffassungen von David Riesman u.a. (1958) und von Paul Baran (1966) vor. Der zweite Teil widmet sich weiteren Autoren (Galbraith 1968, Sweezy 1970, Hirsch 1980, Lindblom 1980). Beide „Hälften“ werden durch ein Teilfazit abgerundet.

Vorliegen einer deutschen Ausgabe als Relevanz-Indiz für hiesiges Selbstverständnis

Abb.: Hierbei handelt es zwar nicht um das Cover des oben erwähnten Theorie-Überblicksbuches von Kunczik (zuerst 1993), aber um das einer anderen interessanten Publikation von Kunczik und zwar zur Geschichte der Öffentlichkeitsarbeit in Deutschland (1997).

Was haben überhaupt englischsprachige, zumeist US-amerikanische Autoren im Deutschen Online-Museum für Public Relations zu suchen? Zunächst einmal geht es „nur“ um solche Verfasser, deren Werke auch in die deutsche Sprache übersetzt wurden und von denen also ein Einfluss auf die hiesige gesellschaftspolitische und Fachdebatte sicher vermutet werden kann. Durch diese Beschränkungen liegt der Fokus nicht auf originalsprachlicher PR-Fachliteratur im engeren Sinne, die aber durchaus in damaligen deutschen Literaturverzeichnissen auftaucht.2 Zeitlich haben wir uns – wie gesagt – auf die 1950er- bis 1970er-Jahre konzentriert.3

Dies ist nicht nur PR-theoretisch interessant. PR-historisch – und damit auch für das PR-Museum – ist dies u.a. deshalb relevant, weil vor allem in den 1950er-Jahren die PR-Fachautoren der westdeutschen Bundesrepublik die Frage umtrieb, was von (US-) amerikanischem Verständnis und Diskussion über PR übernehmenswert sei bzw. ob nicht gar Öffentlichkeitsarbeit/PR für Deutschland etwas völlig Neues sei.4

Kann oder muss man gar von den Amerikanern lernen?

Diese Frage wies mindestens zwei Aspekte auf, die für das (west-) deutsche Selbstverständnis entscheidend sein mussten:

a) Unterscheiden sich „amerikanische“ Public Relations von dem, was in Deutschland als „Pressearbeit“, Tätigkeit von „literarischen Büros“, „Propaganda“ etc. von Unternehmen, Organisationen etc. schon lange gang und gäbe war? Wenn ja, was sind die Ursachen für dieses amerikanische Interesse an Public Relations?

Dies hatte sich Carl Hundhausen bereits in seinen Fachartikeln von 1937/38, also in der NS-Zeit, gefragt, als er den „neuen“ Begriff aus den USA „Public Relations“ vermeldete und hinterfragte.5 Die Ursache für das „Neue“ in der Situation sah Hundhausen in der „gegenwärtige(n) soziale(n) Unruhe (social unrest)“, also in einer (Vertrauens-) Krise des marktwirtschaftlichen Systems. Diese führe bei allen Akteuren zum Bedürfnis nach mehr „Sicherheit“ und insbesondere bei den Unternehmen nach „Good Will“ in der öffentlichen Meinung, so Hundhausen 1938. Indem er PR zum einen stark auf die USA bezog und ihr zugleich das grundsätzlich (!) Neue absprach, ließ Hundhausen mögliche Schlussfolgerungen für Deutschland – unter der NS-Herrschaft –  in der Schwebe.

Wenn man diese Fülle von Überlegungen betrachtet, dann kann man nicht gerade sagen, dass sie neu sind. Man kann auch nicht gerade sagen, dass sie für die deutschen Industrieunternehmungen, die ja alle Werbeabteilungen, Pressebüros, literarische Büros oder besondere Mitarbeiter haben, neu sind. Neu ist nur die isolierte Fragestellung überhaupt. Die Heraushebung einer einzigen Funktion und Aufgabe der Werbung, ja ihre zentrale Überordnung. Unbedingt neu aber ist die Ursache, aus der heraus alles dies geschieht; ferner der Anlass zu dieser ernsthaften und über das ganze Land reichenden Diskussion.

(Hundhausen 1938, S. 60)

b) Gibt es soziologische, kulturelle etc. Unterschiede zwischen den USA und (West-) Deutschland/Europa, die möglicherweise die Frage der Übernehmbarkeit wesentlich beeinflussen (sollten)?

Autor(en): T.L.

Anmerkungen

1 Amerikanische PR-Nestoren wie Edward L. Bernays und Ivy Ledbetter Lee – die von Kunczik (1993, S. 90ff. und 106ff.) auch referiert werden – bleiben hier ebenfalls bewusst außer Betracht. Vgl. dazu auch Kunczik/Szyszka in Fröhlich/Szyszka/Bentele 2015, S. 126f. Nicht behandeln wir auch die Publikation von Vance Packard „The Hidden Persuaders“, die 1958 in einer deutschen Ausgabe erschien (Die geheimen Verführer. Der Griff nach dem Unbewussten in Jedermann. Düsseldorf) und z.B. von Steybe (1958, S. 31) als „Aufsehen erregende(s) Buch(…)“ bezeichnet wurde. Zur Einordnung siehe Kunczik 1993, S. 141f. Explizite US-Editionen zur Geschichte der amerikanischen PR, von denen es originalsprachige beispielsweise von 1945 und 1948 gibt, wurden ebenfalls hier nicht einbezogen. Vgl. dazu Kunczik 1997, S. 3.

2 Vgl. dazu Tebrake  2019, S. 140-146.

3 Deutschsprachige Publikationen mit dem Erscheinungsjahr 1980 haben wir noch einbezogen, weil die amerikanischen Originalausgaben in der Regel früher erschienen waren.

4 Vgl. Schelsky 1952, S. 164, und Kunczik 1997, S. 1ff. Dazu hält das PR-Museum auch weitere Beiträge vor. In den 1950er-Jahren wurden im deutschsprachigen Raum mehrere Entwürfe für ein modernes Verständnis von Public Relations vorgelegt. Ernst Vogel beispielsweise ging in seiner wirtschaftswissenschaftlichen Dissertation von 1951 (als Buch 1952 erschienen) theoretisch-systematisch vor und betrachtete in einer sachlich-objektivierten Perspektive Public Relations als grundsätzliches Phänomen von Wirtschaft und Gesellschaft. Herbert Gross hingegen sah sich mit seinem Plädoyer von 1951 für „moderne Meinungspflege“ (2. Auflage 1952) in einen weltanschaulich-politischen Kontext gestellt. Weitere Beiträge auch über Friedrich Mörtzsch und Ernst Sodeikat.

5 Vgl. auch Liebert 2003, S. 102-105, auch 66f.

 

Bildnachweis für Beitragsfoto (ganz oben): Rechts David Riesmann, links Paul A. Baran. David Riesman. Aus: Riesman memorial set for November. In: The Harvard Gazette. October 17, 2002. Im Internet unter: https://news.harvard.edu/gazette/story/2002/10/riesman-memorial-set-f…; Paul A. Baran 1957. Aus: Back cover, paperback edition of „The Political Economy of Growth“. The purpose of this image is purely educational, to illustrate an encyclopedia article about the subject. Quelle: https://en.wikipedia.org/wiki/File:Baran-paul-a-1957.jpg