Das „Rauhe Haus“

Sozial-Projekt

Abb.: Das Rauhe Haus in Hamburg-Horn. Lithografie von 1834 (gemeinfrei). Quelle: http://www.aref.de/kalenderblatt/2008/turnKB.php?kw=17&year=2008 (ursprünglich www.rauheshaus.de).

Nach einem mitreißenden Vortrag vor öffentlichem Publikum erhielt Wichern 1832 eine große Finanzspritze und einen Bauernkaten1 mit Acker- und Gartenland – das so genannte Rauhe Haus in Horn bei Hamburg. Der Name ist eine Abwandlung aus „Ruges Haus“, benannt nach einem früheren Bewohner. Ende Oktober 1833 zog Wichern mit seiner Mutter in das mit Stroh gedeckte Gebäude, in welches er sofort 14 verwaiste Jungen aufnahm. Er selbst bezeichnete die Anstalt als „das kleine Paradies“ und plante die Errichtung „einer kleinen christlichen Kolonie“. Die Anfänge waren jedoch primitiv – Wicherns Mutter lehrte „das Flicken und Reinemachen“, während er mit den Jungen aufs Feld ging.

Geprägt von den Erziehungsgedanken des deutschen Idealismus, den Ideen Pestalozzis und Goethes („Wilhelm Meisters Lehrjahre“), entwarf Wichern ein eigenes pädagogisches System. Das Leben fand in christlicher Gemeinschaft mit familienähnlichen Strukturen statt. Im Unterricht lernten die Jugendlichen vor allem Handfertigkeiten, die sie für den späteren Beruf brauchten. Für die Entlassenen sorgte Wichern durch Vermittlung von Lehrstellen und anderen Erleichterungen durch regelmäßige Treffen. Nach anfänglichen finanziellen Schwierigkeiten kam es ab 1839 zu einem Entwicklungsboom. Über die Jahre hinweg und mit der Unterstützung eines Fördervereins entwickelte sich die Kinderanstalt, es entstand eine Brüderanstalt zur Ausbildung weiterer Erzieher, ein Verlag, welcher ein eigenes Mitteilungsblatt herausgab, und eine Druckerei, die Wicherns Schriftstücke publizierte.2

Kommunikations-Programm

Abb.: Betsaal des Rauhen Hauses (ca. 1845), aus Illustrirte Ztg. 7/1846, S. 237. Quelle: Wikimedia Commons (gemeinfrei).

Wichern betrieb durch unterschiedliche Instrumente PR für sein Anliegen und die Anstalt. Sein Ziel war die Konfrontation der Öffentlichkeit mit den Missständen in den Elendsvierteln und dadurch die Initiierung von karitativen Handlungen. Dafür wählte er zunächst den Weg direkter, personaler Kommunikation und berichtete in Vorträgen über seine Eindrücke. Seine große Redebegabung und Überzeugungskraft half ihm, bekannte Persönlichkeiten für die Erziehungsanstalt zu gewinnen.3

Er betrieb jedoch auch intensive Pressearbeit. Im Bergedorfer Boten informierte er regelmäßig über seine Vorhaben und konnte weitere Zeitungen für diesen Zweck gewinnen. Weiterhin berichteten auch die zu seinen öffentlichen Veranstaltungen eingeladenen Journalisten meist positiv über seine Arbeit. Mit jährlichen Rechenschaftsberichten verpflichtete sich Wichern zur Offenlegung der Geschehnisse und Pläne für die Anstalt.4

Neben diesen Maßnahmen kreierte er ein Signet, das im Giebel der Anstaltsgebäude und auf allen Schriftstücken ab 1834 zu finden ist, und durch seinen Wiedererkennungseffekt den Bekanntheitsgrad steigerte. Außerdem publizierte er ein eigenes Mitteilungsblatt Die Fliegenden Blätter, welches über die Entwicklung im Rauhen Haus regelmäßig und kontinuierlich berichtete.5

Autor(en): L.L.

Anmerkungen
Rauhes_Haus_um_1850_farbig

Abb.: Rauhes Haus um 1850. Quelle: ursprünglich www.rauheshaus.de; Wikimedia Commons (gemeinfrei).

1 Norddeutscher Begriff für kleines Haus oder Hütte.

2 Vgl. Döring 1997b, S. 284 und 286.

3 Vgl. Döring 1997b, S. 283.

4 Vgl. Döring 1997b, S. 284.

5 Vgl. Döring 1997b, S. 284 und 286.