Einführung (II)
Theorie und Praxis: Avenarius als ausgewogener Vermittler
Horst Avenarius versteht sich als Vermittler zwischen Praxis und Theorie. „(V)or allem war er immer am Dialog interessiert“ (Günter Bentele in Avenarius 2019, S. V). Als gestandener Kommunikationsmanager eines Auto-Weltkonzerns hat er gewiss keine Veranlassung zu genereller Praxisschelte oder übertriebener Ehrfurcht vor der Wissenschaft. Ein Grundzug seines Wirkens vor allem nach 1989 ist das ausgewogene Problematisieren von Vorzügen und Grenzen sowohl von Berufspraxis als auch Wissenschaft und das Begreifen ihres Verhältnisses als „Disput“. „Jede Seite will die andere für sich eingespannt sehen“, schreibt er 1994.
Für die Praxis konstatiert Avenarius „Theorieskepsis“. „Die PR-Praktiker zeigen sowohl in den USA wie in Europa nur wenig Interesse für die wissenschaftliche Seite ihrer Tätigkeit.“ (Avenarius 1994a, S. 271)
In der zunehmenden „Verwissenschaftlichung“ der PR (und PR-Ausbildung) sieht er gewiss nicht den einen Königsweg. Wohl auch wegen seiner breiten Einblicke in die (amerikanische und deutsche) PR-Forschung während seiner Tätigkeit für die Herbert-Quandt-Stiftung bewahrt er gegenüber der Wissenschaft eine kritische, problembewusste Haltung. Dies zeigen schon Überschriften aus seinem Aufsatz: „Akademische Emsigkeiten“, „Zweifelhafte Forschungsmethoden“, „Die Malaise der Kommunikationswissenschaftler“ u. a. (Avenarius 1994a).
So müssen alle Seiten helfen zu sagen, was PR ist. Aber es kommt nicht nur darauf an, was über PR gesagt wird, sondern wie es gesagt wird. Die Praktikerliteratur schwankt zwischen Jammern und Schwärmen, zwischen handfesten, bisweilen schlitzohrigen Gebrauchsanweisungen und faustdicken Erfolgsstorys (im Original: -stories) in saloppem Stil. Die Wissenschaftler sprechen eine komplizierte Sprache, die den schwierigen Denkprozess spüren lässt, dem sie sich unterziehen.
(Avenarius 1994a, S. 284)
Kritik gegenüber beiden Seiten: Avenarius als auch geistig provozierender Autor
„Avenarius hat sich auch in kontroverse Diskussionen mit anderen kritischen Geistern aus Wissenschaft und Praxis eingelassen (…)“, schreibt Günter Bentele in seinem Vorwort zu Avenarius 2019 (S. V). Kontroverse Thesen enthält vor allem auch sein Hauptwerk 1995.
Diese sehr grundsätzliche Buchpublikation (siehe im zweiten Teil) ist einerseits als Zusammenfassung und Schlussfolgerung seiner Beschäftigung in Praxis und mit Theorien zu sehen, insofern steht sie in Kontinuität zu seiner vorherigen Vermittlerrolle zwischen Berufstätigkeit und Wissenschaft. Andererseits haben wohl seine lebenslange Kommunikatortätigkeit und der damit verbundene Realitätssinn – vor allem die Einsicht in Bedingungen und Zwänge, unter denen Menschen und Organisationen kommunizieren – dazu geführt, gegenüber berufsständischen und theoretischen Interpretationen der Praxis stärker kritisch und „eigensinnig“ aufzutreten. Dies mag einerseits den Absatz des Buches von 1995 gefördert haben (immerhin ist es seitdem in drei Auflagen erschienen), andererseits aber die Rezeption mancher seiner Botschaften und die allseitige Würdigung der fachlich-intellektuellen Reflexionsleistung erschwert haben.
Das Buch unterscheide sich von anderen „durch seine durchgängig kritische Betrachtung der PR-Welt“, ließ der Verlag in der Pressemitteilung kund tun und kann dazu auch die Süddeutsche Zeitung vom 5. April 1995 zitieren: „Horst Avenarius hat die Public Relations auf den Prüfstand gestellt“. Avenarius – man kann wohl davon ausgehen, dass der Verlag nicht ohne Billigung oder gar auf Initiative des Autors das Buch in einer bestimmte Weise bewarb – teilte in beide Richtungen aus:
Die PR-Praxis wird an ihren Verhaltensweisen und Erfolgen, aber auch an ihren Sprüchen, Ansprüchen und Normen gemessen. Skeptisch ist der berufserfahrene Autor vor allem gegenüber dem von den Berufsverbänden propagierten ‚Dialog‘, den es in der rauen Wirklichkeit nur selten gäbe. (…) Erstmals werden Maßstäbe für ein PR-Verhalten formuliert und begründet, die weniger den Wunschbildern der Zunft als ihren Arbeitsweisen Rechnung tragen. (…) Wie der Berufsstand die PR in Richtung ‚Dialog‘ ideologisiere, so dämonisiere die Theorie die PR häufig in Richtung ‚Propaganda. Auch den Kommunikationswissenschaftlern gilt die Kritik des Autors.
(WBG 1995)