BMW-Kommunikation (IV): Kulturarbeit als Public Affairs und CSR-Kommunikation
PR bei BMW: „Politisches Mäzenatentum“ als Form von Public Affairs
Dialog mit Künstlern und Literaten
Unter „politischem Mäzenatentum“ versteht Horst Avenarius (1988, S. 132) „Mäzenatentum, das seine Auswirkungen in dem Bereich der Politik hat“. Damit ist „das Gespräch (…) mit den Intellektuellen“ gemeint, also mit Hochschulprofessoren, aber gerade auch mit Künstlern und Schriftstellern.
Diese leben zum Teil in einer industriefernen Welt. Das kann nicht auf die Dauer gut gehen.
(Avenarius 1988, S. 132)
Der „Kontakt mit dieser Kunst- und Literaturwelt“ sei eine wichtige Sache, „vornehmlich zur Klärung unserer eigenen Standpunkte“ bzw. um „uns selbstkritisch mit uns zu befassen“. Dies erläutert Avenarius (1988, S. 133) am Beispiel der Ausstellung des Designers Otl Aicher „Kritik am Automobil“.1 Sie konnte zunächst in Deutschland nirgendwo stattfinden, weil Organisator und Sponsor aus Angst vor der Kritik der Automobilindustrie „kalte Füße“ bekamen.
Was haben wir gemacht? Wir haben die Ausstellung bei BMW gezeigt, damit nicht der Schatten eines Verdachts auf uns fallen würde, wir seien gegen eine solche Kritik. Wir holten uns diese Kritik ins Haus, und Aicher hielt (bei der Eröffnung dieser Ausstellung) eine Brandrede gegen die Schlammschlachten der Werbung und gegen den Irrsinn hoher Geschwindigkeiten und er leitete des Ganze ein mit den Worten: ‚Ich weiß heute noch nicht, weshalb ich an den Tisch der Automobilindustrie gebeten worden bin: Nun, er weiß es vielleicht inzwischen, denn es tritt natürlich dadurch auch so etwas wie ein Läuterungsprozess innerhalb der Automobilindustrie selber ein.
(Avenarius 1988, S. 133)
BMW-Museum
Der Umgestaltung des BMW-Museums lag eine ähnliche Philosophie zugrunde. In einem Interview sagte Avenarius:
(… dazu) schrieb eine große Tageszeitung: ‚BMW leistet sich ein antikapitalistisches Anti-Automuseum für 2 Millionen Mark‘. Wir zeigten das Automobil nicht länger auf einem Podest, sondern in seiner historischen Gebrechlichkeit und machten auch klar, dass die Menschen, die es bedienen, keine Heroen, sondern oft ganz müde Krieger sind.
(Zitiert nach Avenarius 2019, S. 320)
PR-Chef setzte Akzente
Avenarius griff für den kulturellen Dialog über Auto und Mobilität auch selbst zur Feder, so zum Beispiel im Feuilleton großer überregionaler Zeitungen.2
Auch später hat sich Avenarius – nicht nur als Operngänger – gern mit Fragen von Kultur, Kunst oder Sport beschäftigt.3
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Das „kulturelle Interesse“ von BMW sei von der Person Avenarius unabhängig, erklärte dieser in einem Interview im FAZ-Magazin vom 19.2.1988. Aber:
Vielleicht würde ein Ingenieur als Leiter der Öffentlichkeitsarbeit andere Akzente setzen. Aber so ist ja überall im Kulturleben, ein Auf und Ab, ein Interessenwandel. Ob ein anderer genauso viel Neues riskieren würde, mag offen sein. Ich halte es durch. Diese Bereitschaft mag an meine Person geknüpft sein. Nicht jeder wird bei Produktvorstellungen den Journalisten ein Kontrastprogramm bieten, wie etwa ein Gespräch mit dem prononcierten Nichtautomobilisten Werner Schneyder oder skurriles Kabarett um Produktneuheiten von Otto Grünmandl.
(Zitiert nach Avenarius 2019, S. 322)
Kulturarbeit als Themenerweiterung und frühe CSR
Aus vorstehenden Überlegungen zum „politischen Mäzenatentum“ geht hervor, dass die kulturellen Aktivitäten von BMW auch als Teil dessen begriffen werden können, was später als „Corporate Social Responsibility“ (CSR) allgemeinhin zu einer zentralen Aufgabe von Unternehmenskommunikation wurde. BMW pflegte vor allem das Thema „Das Auto in der Kunst“.4
Auto in der Kunst und „Art Cars“
Einige malende Künstler entdeckten das Auto als Kunstobjekt:
Da und dort ruft Autoblech wieder positive Assoziationen hervor. Einige Amerikaner bemalen Rennwagen und verwirklichen nach sieben Jahrzehnten das Bildprogramm Marinetti ‚Seine Freude an der Farbe entspricht unsere Freude am Fahren‘ hieß es bei BMW über den von Alexander Calder bemalten 3.0 CSi. Eine erneute Daseinsfreude, die der Grundstimmung dieser Jahrzehnte noch keineswegs entspricht, deutet sich bei Künstlern an.
Hilft die Industrie dabei nach? Sie kann Aufträge vergeben wie FIAT (…). Sie kann einem Galeristen, der das 24-Stundenrennen in Le Mans fahren möchte, einen Wagen und den Boxenservice zur Verfügung stellen, wie BMW es tat, um als Gegenleistung der Künstler und des Galeristen die Autos bemalt zu bekommen.
(Zitiert nach Avenarius 2019, S. 327)
Die Kunst trat an die Seite und teilweise an die Stelle des traditionellen Automobil-PR-Themas (Renn-) Sport. Jochen Neerpasch, „Denker und Lenker des Motorsports“5 sowie „geniale(r) PR-Stratege“ fügte „die allmählich entstehende Art Car-Serie – ein Begriff, der sich erst später einbürgerte – in seine langfristigen Pläne zur Verankerung des Rennsports in elitären Kreisen ein.“ (Avenarius 2011; zitiert nach Avenarius 2019, S. 346)
In seinen Fahrerlagern kam es zum Stelldichein ungewohnter Besuchergruppen. Da glichen sie einer Galerie-Vernissage. Kunsthändler und Kunstkritiker mischten sich unter das streunende Volk der Marken-Fans. Ich selbst sah in unseren neuen Kunstwerken geeignete Sympathieträger auch in intellektuelle Zirkel hinein.
(Avenarius 2011; zitiert nach Avenarius 2019, S. 346)
„Können wir (…) davon ausgehen, dass die industriefremde Haltung der Künstler irgendwann einer verständnisvolleren weicht?“, fragt Avenarius. Seine Einschätzung:
(…) weder FIAT noch BMW vermöchten mit noch so vielen Mitteln den Zeitgeist zu bestimmen oder Wertvorstellungen zu ändern. Industrie hat nicht die Macht, die ihr allenthalben zugesprochen wird. Wo sie sich mit den Künsten verbindet, lässt sie sich auf Abenteuer ein.
(Zitiert nach Avenarius 2019, S. 327)
Verein „Spielmotor“ München
1979 wurde in München ein Verein als „paritätische Kulturgemeinschaft von Kommune und Unternehmen“ BMW AG gegründet6, um „ungewöhnliche“, „oft aufsehenerregende(n)“ kulturelle Ereignisse anzustoßen und zu ermöglichen.
Die Freiheit der Künste war (…) nie infrage gestellt. Daher konnten sich neue künstlerische Aktivitäten entfalten, die ungewöhnlich, geradezu legendär und weit über Münchens Grenzen hinaus bekannt wurden: die internationalen Theaterfestivals, die Alabama-Halle, der Start der Münchener Biennalen für modernes Musiktheater.
(Spielmotor 1999; zitiert nach Avenarius 2019, S. 353)
Die Vereinsarbeit ist in Avenarius (2019, S. 353-385) für die Jahre bis 1999 dokumentiert.
Anmerkungen
1 Der Ausstellung ging ein Buch voraus. Vgl. Avenarius in einem Beitrag von 1987, auch in Avenarius 2019, S. 309-312. Avenarius 2011 über Aicher: „(…) der berühmte Designer Otl Aicher, uns durch vielfältige Auftragsarbeiten verbunden, ein Motorsportfreund zudem, aber ein scharfer Kritiker der nach seiner Meinung nur dem Marketing geschuldeten Vermengung von gekaufter Kunst und ordentlichem Design.“ (Zitiert nach Avenarius 2010, S. 347)
2 Vgl. z. B. in der Süddeutschen Zeitung: Avenarius 1985. Auch in Avenarius 2019, S. 303-308. Dabei handelt es sich um eine Antwort auf zwei vorangegangene Artikel von Frederic Vester, Professor an einer Bundeswehrhochschule, auf den gleichen Seiten. Er geißelte darin das Auto als zukunftslos und die Automobilunternehmen als hormonell bedingt unbeweglich und verknöchert, falls nicht korrumpiert oder rechthaberisch („Auf tönernen Füßen“ 27.10.1984; „Die Angst vor dem Neuen“ 3.11.1984). Vgl. außerdem Avenarius 2019, S. 329ff.
3 Vgl. u. a. in Avenarius 2019, S. 226-243, 271-278, 313-337, 389-393. Avenarius ist Kuratoriumsmitglied und von 2009 bis 2012 Vorsitzender des Vereins der Freunde des Bayerischen Staatsschauspiels (Avenarius o. J.).
4 So auch der Titel eines Geleitwortes von Horst Avenarius zu einer Ausstellung über „Das Automobil in der Kunst“ im Haus der Kunst, München, vom 9. August bis 5. Oktober 1986, erschienen in einer Sonderauflage von 2000 Stück zur freien Verteilung durch die BMW AG. Vgl. in Avenarius 2019, S. 325ff.
5 Jochen Neerpasch war Rennleiter der 1972 gegründete BMW Motorsport GmbH, eines selbstständigen Motorsportunternehmens, das für BMW arbeitet. https://de.wikipedia.org/wiki/BMW_(Motorsport) (Abruf am 15.6.2020)
6 In Person von Jürgen Kolbe, Kulturreferent der Stadt München, und Horst Avenarius.