Biografie von Horst Avenarius (III): PR-Chef von Unternehmen
Avenarius bei WMF (1969-1973)
Von 1969 bis 1973 arbeitete Horst Avenarius bei der WMF-Unternehmenskommunikation in Geislingen als „Pressechef“ bzw. als „Leiter Unternehmenskommunikation“. Die Abteilung hatte seinerzeit vier Positionen (2-mal Pressearbeit, Fotografie / Design sowie Werkzeitung). Er hatte wesentlich für „Product Publicity“ zu sorgen. Noch zwei Jahrzehnte später, als BMW-Mann, wird er sagen:
Diese ist eine der wichtigsten Aufgaben industrieller Pressearbeit. Für manche Firmen stellt sie den einzigen Teil ihrer Pressearbeit überhaupt dar. Das heißt, es werden Journalisten eingestellt, um genau das zu liefern: gute Publicity (…).
(Avenarius 1988, S. 125)
So sei es bei der Württembergischen Metallwarenfabrik – wie ein Journalist despektierlich formulierte – Avenarius‘ Aufgabe als „Kommunikationschef“ gewesen, „Blattmacherinnen Kochgeschirr anzudrehen“ (Driesen 2005, S. 24). Darüber findet sich in der fachjournalistischen Berichterstattung eine hübsche Szene, die mit der Schilderung eines Telefongesprächs („Flirts und Plaudereien“) zwischen Avenarius und der Redakteurin eines „bunten Frauenblattes“ beginnt und „Spätfolgen“ zeitigt:
Monate danach ist die redaktionelle Fotostrecke über den ‚festlich gedeckten Weihnachtstisch‘ im Heft – und das ‚WMF‘ auf Töpfen und Bestecken gut sichtbar. Kosten für die Geislinger Messerschmiede: null. Beziehungsweise ‚nur ein Lächeln‘, wie sich der Anrufer kokett erinnert.
(Driesen 2005, S. 24)
PR bei WMF: Product Publicity und Ethik
Egal, ob sich das nun genau so zugetragen hatte oder nicht: Mit Produkt-Publicity und „Product Placement“ konnte Avenarius bei der WMF vielfältige Erfahrungen sammeln, auch was die Reaktionen und Anforderungen der journalistischen Gegenseite betrifft. Die kommunikative Tätigkeit bei der WMF prägte seine Persönlichkeit nicht unwesentlich1, erklärt viele seiner späteren (kritischen) Einschätzungen der Medienbranche bzw. des Journalismus und entfachte sein Interesse für ethische Fragen.
Genau damals, in jener lang verflossenen Zeit, als übrigens so mancher Wettbewerber auch schon mal den Geldbeutel für die redaktionelle Platzierung seiner Produkte öffnete, wurde Avenarius‘ Interesse für die Ethik der Public Relations geweckt.
(Driesen 2005, S. 24)
Und das ermöglichte auch eine professionelle Beurteilung des Vorganges: Die geschilderte WMF-Episode stellte „eine ‚unentgeltliche Beistellung von Requisiten‘“ dar, „die nach allen geltenden Codes of Conduct nicht anrüchig ist“ (Driesen 2005, S. 24).
Nach eigener rückblickender Einschätzung begann eine teils auch selbstkritische Reflexion seiner Product-Publicity-Tätigkeit bei WMF aber nicht explizit unter dem Stichwort „Ethik der PR“, sondern eher unter dem „manipulativer Potenziale“ von öffentlicher Kommunikation generell. Die kommunikationskritische Stoßrichtung der damaligen Studentenbewegung (1968f.), der er prinzipiell fern stand, zielte auf die Presse. PR sei seinerzeit noch kein wahrnehmbarer Gegenstand von Kritik gewesen. Während seiner WMF-Zeit hielt Avenarius an der Volkshochschule Ulm Vorträge über Manipulation in Kommunikation und Medien und setzte sich dabei auch mit der Frage auseinander, inwieweit (eine extensive) Produkt-PR (übersteigertes) Konsumdenken befördert. Hier der themenrelevante Video-Ausschnitt aus: Avenarius 2010-II, 00:04-03:42.
Avenarius bei BMW (1973-1989)
Obwohl ihm von verschiedenen Seiten von der Annahme des „Schleudersitzes“ bei BMW abgeraten worden war (Avenarius 2012, 01:02:25), leitete Horst Avenarius letztlich von 1973 bis 1989 die Bereiche „Unternehmenskommunikation und Politik“ des BMW-Konzerns2 in München. Bei Vorträgen wurde er ebenso als „Leiter der Informations- und Öffentlichkeitsarbeit der BMW AG“ angekündigt (Avenarius 1988, S. 124), er selbst bezeichnete sich auch als „PR-Chef des Konzerns“ (Avenarius o. J.).
Bei BMW begann Avenarius in einer schweren Zeit:
Im Herbst 1973 stand alles auf der Kippe. (…) Eine Krise war angesagt: Durch die kriegerischen Auseinandersetzungen im Nahen Osten geriet die Versorgung der westlichen Welt mit Rohöl ins Stocken. Rigorose Maßnahmen waren die Folge: Sonntagsfahrverbote für Kraftfahrzeuge jeglicher Art und an den Werktagen ein Tempolimit von 100 km/h auf Autobahnen. Die Gazetten nährten plötzlich Zweifel am Sinn des Autofahrens. Erste Bürgerbewegungen gegen das Automobil wurden gemeldet. Das Wort von der ‚Autofeindschaft‘ machte die Runde und in etlichen Feuilletons wurden die Stunden der Autowerke angezählt.
(Avenarius 2011; zitiert nach Avenarius 2019, S. 345)
Avenarius fand Antworten auf die Krise. In dem großen Automobil- und Motorradkonzern brachte er „eine exponierte PR-Karriere“ hinter sich, wie ein freier Journalist über ihn schrieb (Driesen 2005, S. 24).3
„Dort war er wesentlich für den positiven Imagewandel von BMW mitverantwortlich, u. a. durch die Kulturaktivitäten, auch neue, avantgardistische Kultur, zu fördern, eine frühe Form von unternehmerischer CSR.“ (DRPR 2015. CSR = Corporate Social Responsibility) Nicht von ungefähr bildet „Image“ auch eine wichtige Kategorie der von ihm herausgegebenen und verfassten wissenschaftlichen Publikationen (siehe weiter hinten).
Allerdings spielten auch Zeitumstände eine Rolle, die nicht alles von damals auf heute übertragbar machen – wie Avenarius selbst reflektiert:
Damals bewegten Technik- und Autofeindschaft die Gemüter. (…) Es waren politisch-ideologische Auseinandersetzungen und sie forderten intellektuelle Rechtfertigungen heraus. Heute ist die Automobilbranche von Manipulationen und Täuschungen gezeichnet. Erwartet wird nicht mehr das agonale [kämpferische, streitbare – T.L.] Disputieren in beliebigen Öffentlichkeiten, sondern Redlichkeit. Redlichkeit unter Wettbewerbern und gegenüber Kunden und Behörden. Da ist eine neue Generation am Zuge.
(Avenarius 2019, S. 395)
Automobilindustrie und PR im Wandel der Zeiten
Generell kann die Kraftfahrzeugindustrie in Deutschland aufgrund ihrer Bedeutung als wichtiger historischer und aktueller Träger und Treiber von Public-Relations-Arbeit bzw. Unternehmenskommunikation angesehen werden (vgl. dazu auch weitere Beiträge im PR-Museum). Traditionell setzten Autounternehmen vor allem auf den Rennsport als Publicity-Bringer und Marken-Träger.
In der Ölkrise von 1973 stand auch das zur Disposition, zumal Rennsport-PR auch ambivalent wirken konnte:
(…) in Zeiten der Autofeindschaft mochte man sich eher von solchen Welten trennen als in normaleren. Hinzu kam dieses ständige Risiko, nur als Zweiter durchs Ziel zu fahren und trotz aller Anstrengung keine einzige Schlagzeile zu bekommen. BMW, so formulierte ich es später in Vorträgen, vielleicht auch schon damals intern, stellte sein Image Sonntag für Sonntag zur Disposition. Aber so sei Sport, und dieses agonale Prinzip, nach dem wir angetreten seien, zeichne uns als Marke aus, reiße hoch motivierte Kundenkreise mit und wirke tief in die Belegschaften hinein.
(Avenarius 2011; zitiert nach Avenarius 2019, S. 346)
PR musste künftig umfassender, breiter verstanden werden. Avenarius (1988, S. 126) führt mehrere Gründe an, die auch in der gesellschaftlichen, journalistischen und individuellen Grundaufmerksamkeit für diese Branche liegen:
(…) (K)eine Industrieprodukte (sind) so sehr der vergleichenden Kritik ausgesetzt (…) wie die unseren, (…) keine anderen Produkte (stoßen) auf so viel kenntnisreiche Kritik (…), was natürlich auch daran liegt, dass es so viele kenntnisreiche Leser von Automobilkritiken gibt. Was ist die Folge? Die Automobilindustrie ist vielleicht mehr als alle anderen Branchen gezwungen, Produkte zu schaffen, die jeder Kritik standhalten. Es kommt sicher nicht von ungefähr, dass das Land mit der größten Auflage an Motorfachzeitschriften pro Kopf der Bevölkerung und dem dichtesten Netz von Tageszeitungen mit Motorseiten zugleich auch das Land ist, das anerkanntermaßen die besten Automobile der Welt baut.
(Avenarius 1988, S. 126)
Avenarius als wichtiger „Kopf“
Über die Öffentlichkeitsarbeit bei BMW, ihre Struktur und Beurteilung aus Sicht des PR-Chefs Horst Avenarius liegt ein verschriftlichter Vortrag aus dem Jahre 1988 vor. In teilweise launigem Ton, konkret-anschaulich, aber dennoch systematisch und substanziell gehalten, werden Breite und wichtige Ziele der Unternehmenskommunikation des Münchner Autokonzerns sichtbar.
Zugleich offenbart er professionell-persönliche PR-Prinzipien des obersten Kommunikators. Biografiegeschichtlich ist dies auch deshalb interessant, weil sich darin bereits vor seiner Tätigkeit für die Herbert-Quandt-Stiftung (und seiner systematischen Zuwendung zur Wissenschaft) zentrale Prinzipien erkennen lassen. Beeindruckend ist die Dualität von offensiver Verteidigung der Produkt-PR4 (bei klaren ethischen Regeln!) und einem weit darüber hinausgehenden, breiten PR-Verständnis. Deshalb beginnen wir die Darstellung mit der CEO-Kommunikation.
Siehe dazu in den nächsten Kapiteln.
Anmerkungen
1 Ein fachjournalistischer Beitrag attestiert Avenarius – unter Anspielung auf seine WMF-Tätigkeit – angenehme Umgangsformen: „Den Edelstahl-Charme des Gentlemans hat Avenarius sich bewahrt.“ (Driesen 2005, S. 24)
2 Aktuell schreibt der Konzern auf seiner Website über sich: „Die BMW Group ist mit ihren Marken BMW, MINI, Rolls-Royce und BMW Motorrad der weltweit führende Premium-Hersteller von Automobilen und Motorrädern und Anbieter von Premium-Finanz- und Mobilitätsdienstleistungen. Dabei beschäftigt das Unternehmen weltweit rund 125.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.“ https://www.bmw.de/de/topics/faszination-bmw/unternehmen/bmw-group.html (Abruf am 15.6.2020)
3 Seine Identifikation mit den „Bayerischen Motoren Werken“ zeigte sich auch im persönlichen Mobilitätsverhalten: Noch im Alter von 75 stieg er „in Ledermontur“ auf eine „schwere(n) BMW 1150 GS, die er sich mit seinem Sohn teilt“ (Driesen 2005, S. 24).
4 Vgl. zur Produkt-PR: Szyszka/Einwiller 2015, S. 855f. und 860ff., insbesondere 862.