Biografie von Horst Avenarius (II): erste berufliche Station

Avenarius bei Mannesmann (1957-1969)

Abb.: Richard von Weizsäcker als Bundespräsident 1984. Quelle: Bundesarchiv, Bild 146-1991-039-11, CC-BY-SA 3.0 / Wikimedia Commons, Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Germany license (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)

Von 1957 bis 1969 war Horst Avenarius1 bei der Mannesmann AG in Düsseldorf tätig.2 Zunächst arbeitete er dort in der „Wirtschaftspolitische(n) Abteilung (…) unter Richard von Weizsäcker“ (DRPR 2015; vgl. auch Avenarius-Herborn 1965, S. 1428), dem späteren Bundespräsidenten. Von Weizsäcker war seinerzeit Prokurist und als Leiter der Wirtschaftspolitischen Abteilung hatte er zwei promovierte Philosophen und zusätzlich Avenarius als promovierten Historiker eingestellt, um dort eine Art „Think Tank“, eine Gruppe von Leuten zu haben, die etwas grundsätzlicher über das Unternehmen nachdachten (vgl. Raulf 2012, S. 55f.).

Diese Konzern-Abteilung hatte mit „gesellschaftspolitischen Strukturfragen“ zu tun. „Vielfach waren es Streitthemen zwischen Unternehmen, Tarifpartnern und politischen Parteien.“ Deshalb ging es darum, „bei den Konflikten Brücken zu bauen zwischen Unternehmensleitung und Gewerkschaften, zwischen Wirtschaft und Politik“, erinnerte sich später der Chef von Weizsäcker (2010), der Mannesmann allerdings bereits im Sommer 1958 (also ein Jahr nach dem Eintritt von Avenarius) verließ.3

Auf der bereits mehrfach erwähnten Podiumsdiskussion in Leipzig 2010 ging Avenarius auch auf seine Zeit bei Mannesmann bzw. unter von Weizsäcker ein und erläuterte, welche Rolle damals PR in der Wirtschaftspolitischen Abteilung spielte. Hier der themenrelevante Video-Ausschnitt aus: Avenarius 2010-I, 20:54-22:17.

Von den Erfahrungen damit wird Avenarius später bei BMW mit seiner ‚agonalen‘ Diskussionskultur (Avenarius 2019, S. 395) zehren können.

Dass die Tätigkeit bei Mannesmann auch ausgeprägt analytischen und prognostisch-planerischen Charakter trug, zeigt ein von Avenarius verfasster Aufsatz in einer ökonomischen Fachzeitschrift 1965:

Abb.: Beitragstitel von Avenarius in: Die Absatzwirtschaft. Jg. 1965, 1. Novemberausgabe. S. 1427f.

Im vorliegenden Beitrag beschäftigt sich der Verfasser mit zwei Phänomenen, die heute in wachsendem Maße die Züge der Wirtschaftspolitik allgemein und besonders die Entschlüsse des Unternehmers prägen: Planung und Prognose. Warum muss, wie soll geplant werden? Mit welchen Schwierigkeiten hat der Prognostiker zu kämpfen und welche Erfolge zeitigt eine langfristige Vorausschau selbst dann, wenn ihre Ergebnisse letztlich nicht der Realität entsprechen? Diese Fragen finden hier eine grundsätzliche Antwort.

(Avenarius-Herborn 1965, S. 1428)

Kommunikation bei Mannesmann: Werkredakteur

Abb.: Autorenvorstellung des jungen Dr. Horst Avenarius 1965 mit Foto in: Die Absatzwirtschaft, S. 1428.

Im Kern wirkte Avenarius beim Mannesmann-Konzern als „Leiter Mitarbeiterkommunikation“4, „Werkredakteur“ (Avenarius o. J.) bzw. als „Chefredakteur von Werk- und Aktionärszeitschrift“ (Armbrecht/Zabel 1994, Autorenvorstellung).

Die Werkzeitschrift war „Der Werktag“, Erscheinungsweise monatlich, Auflage ca. 50.000 bis 60.000, sie erschien im DIN-A-4-Format. Die Information für die Aktionäre hieß „Rohr-Post“ (Auflage ca. 150.000, Erscheinungsweise 4-mal jährlich), eine damals einmalige Zeitschrift in Deutschland, für die Avenarius auch als Chefredakteur ab 1959 zuständig war. Die teilweise recht anspruchsvollen Themen wurden von Avenarius selbst ausgewählt, geplant und teilweise in Text umgesetzt.

Auch in dieser Funktion war er organisatorisch eng an den Vorstandsvorsitzenden angebunden. Alle Texte der „Rohr-Post“ wurden dem Vorstandsvorsitzenden vorgelegt, Avenarius pflegte auch ein enges Vertrauensverhältnis zu den Vorstandsmitgliedern. PR-Instrumente, die bei Mannesmann stark eingesetzt wurden, waren die Messekommunikation und Unternehmensanzeigen, die nicht Produkte, sondern das Unternehmen selbst in den Vordergrund stellten (vgl. Avenarius 2012 und Raulf 2012, S. 56f.).

Über seine damalige Wahrnehmung von Werkzeitschriften und seine eigene „Redaktionsphilosophie“ gab Horst Avenarius Auskunft auf der Leipziger Podiumsdiskussion 2010. Hier der themenrelevante Video-Ausschnitt aus: Avenarius 2010-I, 17:17-19:05.

Zum Ende seiner Zeit bei Mannesmann hielt er einen Vortrag vor hessischen Redakteurs-Kollegen, der dokumentiert ist. Daraus geht zunächst einmal hervor, dass er die Tätigkeit beim „WERKTAG“ von Mannesmann – später unter dem Titel „Unser Werktag“5 – bzw. generell einer „Werkzeitschrift“ stark als redaktionell-journalistische auffasste. Der Vortrag – von ihm selbst als „WERKTÄG-liche(s) Testament“ bezeichnet – stellt ein mutiges Plädoyer für eine attraktive und moderne, dialogische und innerhalb der Organisation vergleichsweise unabhängige Betriebspresse dar.6

Man müsse aufpassen, „dass einem die ganze Zeitschrift“ nicht zum „Amtsblatt“ degeneriert und sich auch sprachlich davon distanzieren:

Natürlich bringen auch wir, was amtlich ist (…). Aber wir versuchen, die Amtlichkeit aufzulösen, lesbar zu machen und sogar zu veräppeln. (Es folgt ein Beispiel über eine 17-seitige Richtlinie über die Ausbildung, Auswahl und Arbeitsweise der Meister im Konzern.) Wir nehmen damit die Funktion jedes freien Presseorgans gegenüber einem entstehenden Gesetzesentwurf wahr, nur leider auf eine einzige Seite konzentriert und praktisch erst im Nachhinein veröffentlicht. (…) ‚Wir‘! Damit meint der WERKTAG konsequent nur die Redaktion, nicht Mannesmann!

(Avenarius 1969, S. 11)

„Das Unternehmen vertrauenswürdiger7 und seine Zeitschrift glaubwürdiger zu machen, das ist unser Ziel.“ (Avenarius 1969, S. 16)

Er berichtete von diesen und anderen Redaktionsprinzipien sowie -erfahrungen und leitet daraus eine mögliche, aber durchaus problematische – weil mit dem Risiko des Scheiterns behaftete – Entwicklungsrichtung ab. Diese übernahm er auch – mit Fragezeichen – in die Überschrift: „Werkzeitschrift – auf dem Weg zum illustrierten Massenblatt?“8

Frühe Auffassungen zum Verhältnis von Unternehmens- und journalistischen Medien

Avenarius sah in seinem Vortrag vor Werkredakteuren 1969 den ‚echten‘ Journalismus – hier sogar die „Massenpresse“ – als Vorbild bzw. Orientierung an. Aus dem folgenden Zitat ist zu schließen, dass er sich nicht so sehr auf der „PR“-Seite, sondern auf der der „Blattmacher“ positionierte. Auch die Werkzeitschrift solle das „Leserinteresse“ an erste Stelle und zwar „über das Interesse der behandelten Objekte“ setzen sowie „marktgerecht“ vorgehen (Avenarius 1969, S. 4 und S. 7).

Die Objekte: Das sind alle Personen, Personengruppen, Abteilungen, Werke, die in einer Zeitschrift abgehandelt werden. Sie alle haben bestimmte Eigeninteressen und sind daher auf eine bestimmte Art der Präsentation in einem Blatt bedacht: Sei es ganz groß (…) oder ganz bescheiden (…), sei es gediegen oder flott, seriös oder aufgelockert, selten aber gerade so, wie es dem Charakter des Artikels oder der Seite oder des ganzen Blattes entspricht.

Aus diesem Eigeninteresse der Objekte an einer bestimmten Präsentation, wir können auch sagen: an einem bestimmten ‚Image‘, entstand gegenüber der öffentlichen Presse das Arbeitsgebiet der Public Relations.

Das Eigeninteresse der Blattmacher hingegen besteht darin, alle Objekte nur so zu bringen, wie sie sich am besten verkaufen lassen. Von daher rühren auch die wichtigsten Gravamina (Einwände, Vorwürfe – T.L.), die man so landauf, landab der Massenpresse entgegenhält (…).

(Avenarius 1969, S. 4. Kursiv – T.L.)

Die gesamte Argumentation seines Vortrages zeugt davon, dass er zwischen Medien von bzw. in Unternehmen (wie Mannesmann) und (journalistischen) Medien von Verlagen keine wesentlichen Unterschiede sieht, sondern vor allem Gemeinsamkeiten. Unternehmens- und gesellschaftliche Kommunikation stehen auf einer Augenhöhe.

Für sachliche, intellektuelle oder moralische Minderwertigkeitskomplexe auf Seiten der Organisations- bzw. Unternehmenskommunikation gibt es keine Veranlassung, eher im Gegenteil: Mitunter hält Avenarius den Unternehmens-„Journalismus“ sogar für besser9 und ursprünglicher als den „echten“ Journalismus. Diese ‚agonale‘ (streitbare) Argumentationslinie wird sich später – in etwas abgewandelter Form – in seinem Hauptwerk von 1995 („PR als Grundform gesellschaftlicher Kommunikation“) wiederfinden.

Autor(en): T.L.G.BE.

Anmerkungen

1 In jener Zeit trat er auch unter dem Namen Horst Avenarius-Herborn auf.

2 Vgl. Avenarius o. J.

3 Vgl. Wikipedia (2020) unter https://de.wikipedia.org/wiki/Richard_von_Weizs%C3%A4cker (Abruf am 15.6.2020).

4 Vgl. https://www.pr-journal.de/index.php?option=com_content&view=article&id=8982:pr-grandseigneur-avenarius-wird-80&catid=67:personalien&Itemid=42 (Abruf 15.6.2020)

5 Vgl.: Thommes, Joachim: In jeden dieser Filme wollte ich Kunst reinbringen, soviel ich nur konnte. Hugo Niebeling, die Mannesmann Filmproduktion und der bundesdeutsche Wirtschaftsfilm 1947-1987. Norderstedt: Books on Demand, 2008. S. 51f. und 109.

6 Wohl wissend und berücksichtigend, dass die „alte, rappelige“ Werkspresse im Allgemeinen „bei der eigenen Leserschaft und draußen im Lande“ ein „miserable(s) Ansehen“ habe (S. 2). Den „WERKTAG“ sah er allerdings auf einem guten Weg: Dieser habe „zurzeit eine gute Presse (…). Die Leserzuschriften nehmen von Jahr zu Jahr zu. Auch bei den Betriebsräten steht unsere Zeitschrift zurzeit und anders, als noch vor Jahresfrist, wieder in hohem Ansehen.“ (Avenarius 1969, S. 1)

7 „Jede Werkzeitschrift, die auch außerhalb des eigenen Hauses verteilt wird. repräsentiert dieses Haus. Manche meinen, sie müssten deshalb einen gepflegten Stil schreiben und einen schönen Umbruch machen. Das verstehen nämlich auch die Herausgeber meist unter einer repräsentativen Zeitschrift. (…) Ich glaube, dass Zeitschriften in der Art des WERKTAG in einem viel besseren Sinn das Unternehmen repräsentieren. Es hat einen frischen Geist, es ist unkompliziert, spricht eine direkte Sprache (…)“. (Avenarius 1969, S. 15)

8 Er wolle aber „niemanden dazu ermuntern, dieses Testament aufzugreifen“. Dieser Weg könne „in den Abgrund führen, an dem Sie stets entlanglaufen müssen“ (Avenarius 1969, S. 1)

9 Avenarius berichtete davon, dass der WERKTAG sich auch „selbst verhohnepipelt“ und auch „miese Leserbriefe“ veröffentliche – „und dies ohne eine nachgeschobene Rechtfertigung seitens der Redaktion. Seitdem ich versucht habe, der Zeitschrift CAPITAL mit einem Leserbrief eines heimzuzahlen, und erleben musste, wie zwei kleine Randbemerkungen über CAPITAL selbst herausgestrichen wurden, weiß ich, dass die normale ‚freie Presse‘ selten so weit geht. Da wird für sie die Sache vermutlich geschäftsschädigend.“ (Avenarius 1969, S. 13)