PR-theoretische Ansätze

PR-theoretische Ansätze aus den 1970er- bis 1990er-Jahren

Politikwissenschaftlich-demokratietheoretischer PR-Ansatz

Abb.: Carl Hundhausen (links) und Franz Ronneberger bei einer Tagung der Deutschen Public Relations Gesellschaft in Frankfurt/Main, Hotel Intercontinental, Mai 1976. Quelle: Privat-Archiv Prof. Dr. Manfred Rühl, Nürnberg.

Durch Carl Hundhausen 1975 prinzipiell angeregt, wandte sich Ronneberger verstärkt auch der umfassenden wissenschaftlichen Begründung von Public Relations zu. Bedeutsam für die Entwicklung eines modernen PR-Verständnisses ist Ronnebergers Aufsatz „Legitimation durch Information“ von 1977. Er entwickelte darin einen gesellschaftsorientierten, politikwissenschaftlich und demokratietheoretisch basierten Ansatz. Ronneberger nahm dabei sein Leitthema „Integration von Gesellschaft“ (vgl. Kunczik 1997, S. 18) auf und ging von einem konsequent pluralistischen Gesellschaftskonzept aus. PR sind für ihn öffentliche Darstellung der partialen Interessen, die auf Gemeinwohlfindung und gesellschaftlichen Minimalkonsens ausgerichtet sind, und damit ein konstitutiver Faktor eines demokratischen politischen Systems (Kunczik 1993, S. 125-133)1.

Diese frühe gesellschaftstheoretische Verortung von Public Relations als „demokratiekonstitutiv“ innerhalb eines pluralistisch organisierten, parlamentarisch-demokratischen politischen Systems muss heute als wichtige theoretische Leistung und als wichtiger theoretischer Beitrag von Ronneberger zu einer PR-Theorie betrachtet werden. Es war wohl auch international gesehen der früheste PR-theoretische Beitrag, der nach gesellschaftlichen Funktionen von Public Relations fragt und den „Mechanismus“ beschreibt, wodurch Public Relations für die Öffentlichkeit und in der Gesellschaft wirksam wird. Einige Grundgedanken dieses Ansatzes kommen in folgendem, längeren Zitat gut zum Ausdruck:

Wenn also PR-Aktivitäten intentional auf die Geltendmachung der eigenen Interessen gerichtet sind und diese eine möglichst große Resonanz erstreben, so bedeutet dies funktional für das demokratische System, dass die Denkgewohnheiten, sozialen und kulturellen Normen einer Gesellschaft in ihren Teilöffentlichkeiten ständig geprüft, durch Prüfung bestätigt oder gewandelt, jedenfalls ständig in Erinnerung gebracht werden. Das alles geschieht im durchaus partikularen Interesse. Doch in dem Maße, wie um Verständnis geworben wird, wirken die Verhältnisse der Öffentlichkeit auf die partikularen Interessen im Wege der Rückkopplung, des Feedbacks zurück und beeinflussen die Zielsetzung. Auch dieses gehört zum funktionellen Beitrag von PR unter den Bedingungen des Pluralismus. Selbst wenn der PR-Treibende überhaupt nicht an die Konsequenzen seines Handelns denkt, was durchaus die Regel sein dürfte, unterliegt er den Gesetzen des Öffentlichkeitsprozesses. Er muss sich so äußern, dass er von möglichst vielen verstanden wird, und dass seine Äußerungen gebilligt werden können. Dabei muss er sich an vorhandenen Meinungen, Strukturen, Einstellungen, Rollen und vor allem sozialen und kulturellen Normen orientieren. Und dadurch entsteht jener Kreislauf, jene Selbstkorrektur des Interesses, auf die ein pluralistisches System angewiesen ist, will es nicht degenerieren (…).

(Ronneberger 1977, S. 21f.)

Rummelsberger Gespräche

Zunächst einmal war Franz Ronneberger an der Institutionalisierung PR-theoretischer und PR-bezogener Reflexion in Deutschland entscheidend beteiligt. An den „Rummelsberger Gesprächen“ nahmen neben Kommunikationswissenschaftlern (wie Manfred Rühl) und Wissenschaftlern verschiedener anderer Disziplinen auch eine Reihe von wissenschaftlich interessierten PR-Praktikern wie Albert Oeckl, Günther Petersen oder Heinz Flieger teil. Damit können die „Rummelsberger Gespräche“, deren Ergebnisse meist im „Verlag für deutsche Wirtschaftsbiographien Heinz Flieger“ publiziert worden waren, als erste kooperative Anstrengungen in Deutschland gelten, PR-Themen systematisch-wissenschaftlich und nicht nur praktizistisch (How-to-do-Literatur) anzugehen.

Die Rummelsberger Seminare waren somit zehn Jahre früher als die 1992 anlässlich der DGPuK-Jahrestagung in Bamberg ins Leben gerufene Fachgruppe PR und Organisationskommunikation PR-forscherisch aktiv, sie haben einige Forschungserträge erbracht und können in der deutschen „Reflexionsgeschichte“ (Manfred Rühl) zur PR-Forschung ihren Platz beanspruchen. Themen waren u.a. die Public Relations des politischen Systems, der öffentlichen Verwaltung, die Public Relations der Verbände und die PR der Non-Profit-Organisationen.2

Systemtheoretischer und soziohistorischer PR-Ansatz (gemeinsam mit Rühl)

Abb.: Titel der „Theorie der Public Relations“ von Franz Ronneberger und Manfred Rühl 1992, Westdeutscher Verlag Opladen.

Auch nach seiner Emeritierung im Jahr 1980 blieb Franz Ronneberger weiter am Lehrstuhl aktiv.3 Im Jahre 1992 veröffentlichte Franz Ronneberger gemeinsam mit seinem Schüler und Schwiegersohn Manfred Rühl eine „Theorie der Public Relations“, allerdings mit dem etwas relativierenden Untertitel „Ein Entwurf“. Darin erfolgt auch eine gesellschaftshistorische Begründung von PR in der Entwicklung der modernen Industriegesellschaft (vgl. Kunczik 1993, S. 237f.). Theoretisch noch bedeutsamer ist allerdings die systemtheoretisch-äquivalenzfunktionalistische Sichtweise (vgl. Kunczik 1993, S. 235-245). Für eine kurze und prägnante Erklärung und Einordnung des anspruchsvollen Theorie-Entwurfs der PR sei auf einen Aufsatz von Otfried Jarren und Ulrike Röttger im Handbuch der Public Relations verwiesen. Hier nur eine bewusst knappe Darstellung:

Ronneberger und Rühl beschreiben […] (PR) als Teilsystem des gesellschaftlichen Funktionssystems öffentlicher Kommunikation (Publizistik): PR ist ein sich selbst erzeugendes, selbst organisierendes, selbsterhaltendes und selbstreferentielles System im Sinne der Autopoiesis. Die Autoren identifizieren drei relevante Strukturdimensionen (Makro-, Meso- und Mikro-Ebene – d.A.), die je spezifische Intersystembeziehungen zwischen Public Relations und anderen Sozialsystemen implizieren. […] PR stellt eine Möglichkeit dar, öffentliche Kommunikation (Publizistik) herzustellen. Ihr Ziel ist es, durch Thematisierung Anschlusskommunikation und -handeln zu ermöglichen.

(Jarren/Röttger 2005, S. 24f.; 2015, S. 34)

Auf der Makroebene wird PR als eigenständiges gesellschaftliches Funktionssystem beschrieben, dessen gesellschaftliche Funktion in der Herstellung und Bereitstellung durchsetzungsfähiger Themen für die öffentliche Kommunikation liegt.

Auf der Meso-Ebene erbringt das PR-Teilsystem – unter den Marktbedingungen konkurrierender Interessen – Werte und Zielvorstellungen als spezifische Leistungen für andere gesellschaftliche Funktionssysteme: PR kreiert durchsetzungsfähige Themen, die soziales Vertrauen für Organisationen und ihre Leistungen in der Öffentlichkeit fördern sollen. ‚Gegenleistungen‘ erhält die PR in erster Linie in Form von sozialen und psychischen Ressourcen, also z.B. Aufmerksamkeit, Interesse und Zeit. Auf der Mikro-Ebene beschreiben Ronneberger/Rühl PR schließlich als ein Analyse- und Handlungssystem: PR als Teilorganisation in Organisationen hat die Aufgabe, PR-Handlungsbedarf zu ermitteln und entsprechende Lösungsvorschläge anzubieten. Ziel von PR-Kommunikationsangeboten ist es, Anschlusskommunikation zu einem Thema auszulösen bzw. spezifische Einstellungs- und Verhaltensänderungen bei den Zielpublika zu bewirken.

(Jarren/Röttger 2005, S. 24f.; 2015, S. 34)

Natürlich hat diese Konzeption auch verschiedene Kritik erfahren, so u. a. wegen der Konzeptionierung von PR als funktionales Teilsystem der Gesellschaft oder der Gemeinwohlfunktion. Was diese anbelangt, so ist es auf der Mikroebene und auch Mesoebene durchaus so, dass PR wegen ihrer Interessenabhängigkeit natürlich nicht automatisch gemeinwohlorientiert sein kann. Aber auf der Makroebene ist die Sichtweise eine andere: Jegliche PR kommt auf der Makroebene der Gesamtgesellschaft zugute und nicht nur einzelnen Bereichen. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass diese Theorie einen einigermaßen konsistenten, systemtheoretisch fundierten Ansatz bereitstellt, der Public Relations gesellschafts- und nicht nur organisationstheoretisch fundiert und rekonstruiert.

Fazit

Franz Ronneberger hat als Kommunikationswissenschaftler nicht nur das Fach sehr breit vertreten, obwohl er natürlich auch Forschungs- und Publikationsschwerpunkte wie die Sozialisationsforschung, die Kommunikationspolitik (der Begriff stammt wohl von Ronneberger) oder auch Public Relations entwickelt hat. Er setzte darin, aber auch z. B. im Bereich Kommunikationsraumforschung und zum generellen Verhältnis von Politik und Kommunikation, wichtige Impulse.

Abb.: Titel der „launigen Broschüre“ anlässlich des 80. Geburtstages von Franz Ronneberger. Mit handschriftlicher Bemerkung von G.BE.

Er war ein im Fach sehr geschätzter Kollege der Nachkriegsgeneration, Gründungsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Publizistik und Kommunikationswissenschaft und er hat – von seinem Nürnberger Lehrstuhl ausgehend – eine Denkschule mit Schülern in Wissenschaft und Praxis begründet. Diese zeigte sich u. a. bei jährlichen Treffen seiner Schüler, noch als Ronneberger schon seinen 80. Geburtstag begehen konnte. Zu diesem Geburtstag gratulierten in einer launigen Broschüre (vgl. Abb.) u. a. Hartmut Großhans, Thomas Gruber, Ingrid Hamm, Ragnwolf H. Knorr, Manfred Scholz, Ulla Meister, Udo Rödel, Manfred Rühl, Wolfgang Friedrich, Jürgen Walchshöfer und Heinz-Werner Stuiber.

Wolfgang Bergsdorf (1993) hat Ronneberger in einem Beitrag zu seinem 80. Geburtstag im Rheinischen Merkur wie folgt charakterisiert.

Er ist ein Mensch, der sich nie selbst inszeniert, aber jeden Kommunikationspartner durch sein Wissen, seine Aufrichtigkeit und seine gelassene Heiterkeit für sich gewinnt. Als engagierter Protestant lebt Ronneberger einen Optimismus vor, der mit dem heute so gängigen Kultur- und Zivilisationspessimismus nichts anzufangen weiß.

(Bergsdorf 1993)

Autor(en): G.D.G.BE.T.L.

Anmerkungen

1 Kunczik widmete bereits in der ersten Auflage seines Theorie-Überblicksbuches zur PR von 1993 Ronnebergers Ansatz aus den 1970ern neun Seiten.

2 Vgl. z.B. Ronneberger 1981, Ronneberger/Rühl 1982, Rühl 1981.

3 1983 wurde der Lehrstuhl mit Winfried Schulz besetzt (bis 2003). Vgl. Hagen, Lutz: Personalien. Christina Holtz-Bacha, Universität Erlangen-Nürnberg. In: Publizistik. März 2005. S. 108.