Wirtschaftliche und institutionelle Aspekte der ABC-Geschichte (II)
Das „Wendejahr“ 1991: personelle Veränderungen
Im Jahr 1991 wurden bei ABC/Eurocom „Weichen für die Zukunft gestellt“. Darüber und ihre Ursachen schrieb die Fachpresse:
Die Veränderungen sind einschneidender als erwartet: Bereits zum Jahreswechsel (also 1991/92 – T.L.) scheiden Günter F. Thiele und Hannsjörg Dehner als Geschäftsführer und Gesellschafter aus. (…) Beide rücken in einen noch zu gründenden Beirat, in dem beide klar umrissene Aufgaben wahrnehmen sollen. (…) Die Entwicklung der letzten Jahre sei so schnell verlaufen, dass nun jüngere Leute in die Geschäftsführung nachdrängten, denen man den Weg nicht versperren dürfe. Zudem könnten Thiele und Dehner durch ihr Ausscheiden aus dem operativen Geschäft nun andere wichtige Aufgaben angehen. (…) Günter Thiele wird die Repräsentation der Agentur nach außen übernehmen, sich um das Neugeschäft kümmern sowie als Coach der Geschäftsführung fungieren.
(PR-Magazin 1991/11, S. 55)
Thieles bisherige Stellung übernahm zum 1. Januar 1992 Rolf Hering, der damit „vom Mit-Geschäftsführer zum Agentur-Chef befördert wurde“ (Schumacher 1992, S. 92). Das neue, künftige „Geschäftsführungstrio“ bestand aus Michael Trost, „der auch weiterhin für den Geschäftsbereich Düsseldorf zuständig ist“, Egbert Deekeling und Dr. Bernd Schuppener, der für das Frankfurter Geschäft verantwortlich zeichnet“. „Alle drei berichten an Ralf Hering“. Letzterer, als Eurocom-Geschäftsführer, „bemüht sich darum, Gelassenheit an den Tag zu legen“. (PR-Magazin 1991/11, S. 55)
Die Eurocom S. A. wird von Januar an der alleinige Gesellschafter der ABC/Eurocom sein, da auch Rolf Eggert seine Gesellschaftsanteile abgeben will. Alleingesellschafter will die Eurocom S. A. aber nur für eine Übergangszeit sein. (…) Schon bald sollen ‚signifikante Verkäufe‘ an das tätige Management‘ erfolgen.
(PR-Magazin 1991/11, S. 55)
Das „Wendejahr“ 1991: wirtschaftliche Herausforderungen
Die personell-institutionellen Weichenstellungen für die Zukunft waren von einer Stagnation des Umsatzes 1991 begleitet, wohl auch mitverursacht oder zumindest beschleunigt.
Auftragsstornos und Etatkürzungen häufen sich. Wichtige Kunden wie die TDK Europe GmbH und die Peugeot Talbot Deutschland GmbH sind abgesprungen. Der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr GmbH will seinen Jahresvertrag mit ABC nicht verlängern.
(Schumacher 1992, S. 92)
Und:
Auch wenn zwölf Etatabgängen 23 neue Kunden gegenüberstehen, so war das (…) Jahr (1991) für ABC/Eurocom ein Jahr der Konsolidierung.
(PR-Magazin 1992/5, S. 10)
Zwar war bei der deutschen Eurocom-Holding der Honorarumsatz 1991 gegenüber 1990 weiter angestiegen: von 30,75 Mio. Mark auf 32,13 Mio. Mark, aber eben nur um 4,5 Prozent. Im Unterschied dazu konnten Leipziger & Partner um 30,3 Prozent wachsen (von 23,2 Mio. Mark auf 32,7 Mio. Mark) und zudem ihre Mitarbeiterzahl von 159 auf 210 steigern. Zu berücksichtigen ist auch, dass die leichte Steigerung der Eurocom-Holding nicht durch ABC/Eurocom in Düsseldorf, sondern durch PR&O in Hamburg verursacht worden war. (PR-Magazin 1992/5, S. 15)
Nach einer anderen Quelle im gleichen Fachmagazin kam die deutsche Eurocom 1991 auf 32,535 Mio. Mark. Damit bleibe „Eurocom Corporate & PR die größte Agenturgruppe in Deutschland“. Die Leipziger Kommunikationsgruppe liege „mit rund 30 Millionen Mark auf Platz zwei der deutschen Rangliste“. (PR-Magazin 1992/5, S. 10)
Die schwierigen Jahre der Konsolidierung ab 1992
Für das Jahr 1992 hatten sich „(d)ie Chefs der ABC/Eurocom GmbH, Deutschlands bis jetzt größter PR-Agentur, (…) viel vorgenommen. Einen ‚Schritt in die Zukunft‘ versprachen sie für 1992 ihren Mitarbeitern und Kunden.“
Doch nun mussten etwas kleinere Brötchen gebacken werden. Denn „das neue Jahr begann nicht mit Aufbruch-, sondern mit Krisenstimmung. Im März (1992), wenn turnusgemäß vom PR-Verband GPRA die neue Branchenübersicht (zum Vorjahr 1991 – T.L.) veröffentlicht wird“, verlor ABC/Eurocom – wie bereits obige Zahlen zeigten – „den imageträchtigen ersten Platz und ist, nach acht Jahren an der Spitze, nur noch zweiter hinter dem Frankfurter Konkurrenten Leipziger & Partner.“ (Schumacher 1992, S. 92)
Hering versucht nun der irritierten Belegschaft beizubringen, dass es auf den Branchen-Spitzenplatz, der Jahr für Jahr mit Champagner begossen wurde, gar nicht ankommt – und weiter abwärts gehen könnte. Dem 35-Jährigen (…) reicht es plötzlich, dass ABC in der deutschen PR-Branche ‚immer zu den großen Dreien gehören‘ wird. Sein Vorgänger Günter F. Thiele ist noch bescheidener: ABC werde im PR-Markt unter den Top five bleiben.
(Schumacher 1992, S. 92)
Branchen-Krise 1992
Allerdings traten branchenweit – gerade auch bei den international aufgestellten Networks – Krisensymptome auf, das Wort vom „Krisenjahr 1992“ der PR machte die Runde. Thomas Rommerskirchen diagnostizierte im Editorial seines PR-Magazin (1993/1) das „Ende der Etat-Saurier“.
Die internationalen Agenturketten wurden kräftig durchgerüttelt, Shandwick, WPP, Hill and Knowlton, Burson-Marsteller – kaum einer blieb ungeschoren. (…) Auch ABC/Eurocom, als einziges internationales PR-Network aus Deutschland gesteuert, verkleinert und intensiviert die Arbeit in spezialisierten Beratungseinheiten. (…) In den kommenden Jahren werden die Agenturen reüssieren, die auf die differenzierten Wünsche der Kunden eingehen. In Zukunft werden verstärkt Einzelaufträge und Projektaufträge von den Auftraggebern koordiniert und an konkurrierende Agenturen vergeben.
(PR-Magazin 1993/1, Edit.)
Für 1993 sah Rommerskirchen – trotz allgemein „düsterer Wirtschaftsprognosen“ – einen Aufschwung vorher, wenn man erkennt (…)
(…) dass die bequeme Zeit millionenschwerer Gesamtetats, die Heere von Beratern, Unterberatern, Kreativen, Organisatoren und Konzeptioner bestens fütterten, vorbei ist. (…) Das bedeutet aber auch, dass sich die Branchen-Struktur ändern muss. Kommunikationsdienstleistung erhält Managementfunktion. Public Relations werden entmystifiziert, qualifizierbar, vergleichbar. Der Berater wird so gut sein wie sein Team (…).
(PR-Magazin 1993/1, Edit.)
Eurocom wurde 1992 zu Euro RSCG und später zu Havas
Abgesehen von solchen branchenübergreifenden Wandlungen hatte Eurocom aber auch hausgemachte Probleme zu bewältigen: „externes Wachstum belastet“.
Mit der Übernahme der drittgrößten französischen Werbeagentur RSCG im Januar (… des) Jahres (1992) hat die ehemalige Eurocom nicht nur ihren Namen in ‚Euro-RSCG‘ geändert. Sie hat sich mittelfristig auch einige Probleme eingekauft.
(PR-Magazin 1992/11, S. 74)
Hierbei spielt eine wichtige Rolle, dass Eurocom – wie auch einige andere internationale Kommunikationsnetzwerke – an der Börse gehandelt werden. Aber die Zukunftsaussichten wurden als gut eingeschätzt:
(Die) Marktstellung und die zu erwartenden Synergieeffekte werden die Gewinnmargen nach den anfänglichen Reorganisationsproblemen wieder anwachsen lassen.
(PR-Magazin 1992/11, S. 74)
Da Günter Thiele seine aktive Agenturtätigkeit 1994 beendete (u. a. Bentele 2001), schließen wir hier die detaillierte Darstellung der Entwicklung von ABC/Eurocom bzw. Eurocom. Später wurde die Übernahme von RSCG durch Eurocom auch als „Fusion“ bezeichnet. Zur Entwicklung von Euro RSCG finden sich auch Ausführungen im Museumsbeitrag über die Agentur Schulze van Loon.1
2012 verschwand der Name Euro(com), Euro RSCG2 als Tochter des französischen Konzerns Havas wurde zu Havas Worldwide. (PR-Report 05.03.2012)
Anmerkungen
1 Siehe unter: https://pr-museum.de/organisationen/unternehmen/projekt-in-vorbereitung-agentur-ii/die-1990er-jahre-zeit-wechselnder-chancen-und-allianzen-i/
2 „Die Geschichte von Euro RSCG: 1970 gründeten Bernard Roux und Jacques Séguéla ihre Agentur namens Roux Séguéla. Zwei Jahre später kam Alain Cayzac hinzu: Roux Séguéla Cayzac entstand. 1975 nannte sich Havas Conseil in Eurocom Holding um. 1976 machte Jean-Michel Goudard die vier Buchstaben der Agentur RSCG vollständig. Im Jahr 1991 kaufte Eurocom RSCG – es entstand Euro RSCG. 2004 kaufte Vincent Bolloré die Holding Havas.
Havas war ursprünglich eine Nachrichtenagentur, die 1835 von Charles-Louis Havas gegründet wurde. Die Werbeagentur entstand ursprünglich als Tochter der Nachrichtenagentur, die wiederum 1944 ihren heutigen Namen AFP (Agence France Presse) erhielt.“ (Herrmann 2012)