Werksjournalist bei Henkel (1959-1962)
Erste Arbeitsstätte in der Bundesrepublik: die Henkel-Werke
Im Juni 1959 verließ Günter Thiele die ostdeutsche DDR und übersiedelte in die westdeutsche Bundesrepublik. Nach seinem Umzug arbeitete er als Werksjournalist in der internen Kommunikation der Henkel-Werke in Düsseldorf (Thiele 2001, GT-Stiftung).1 Dort blieb er bis 1962.
Henkel, u. a. mit seiner Marke Persil, befand sich seinerzeit in einer dynamischen, aber auch schwierigen Phase seiner Unternehmensgeschichte.
Die Phase 1953 bis 1962 war durch den Ausbau des Markenartikel-Geschäfts sowie des chemisch-technischen Sektors durch den Zukauf von Firmen wie Collardin 1956 und Sichel 1962 gekennzeichnet. (…) Im Waschmittelgeschäft waren Henkel die Märkte in den USA, Frankreich und Großbritannien, wo die Wettbewerber über erhebliches Kapital und Know-how verfügten, bislang verschlossen geblieben.
(Feldenkirchen/Hilger 2001, S. 119)
Und:
Bis 1955 herrschten die Persilwerke unangefochten in deutschen Waschküchen. Dann griff die Unilever-Tochter Sunlicht an mit dem ersten synthetischen Waschmittel, Sunil, und überrundete bis 1958 Persil.
(Zeit 1969/26 27.06.1969)
Henkel als „Kommunikations-Schule“
Kurz vor Thieles Eintritt in die Firma startete Henkel „die längst fällige Revanche“ (Zeit 1969/26 27.06.1969). Dadurch erhöhten sich die Kommunikationsaufgaben von Henkel stark. Direkt oder indirekt konnte man dort als Kommunikationsfachmann also viel lernen.
Persil war (…) 1950 ein Seifenwaschmittel geblieben, das mit der ‚klassischen Waschmethode‘ (…) warb. Henkel wagte es zunächst noch nicht, sein Spitzenprodukt auf synthetischer Basis herzustellen. (…) Die Umsätze und Marktanteile gingen deutlich zurück. (…) So bereiteten auch bei Henkel die Chemiker im anwendungstechnischen Labor die Umstellung des Seifen-Persil auf ein synthetisches Produkt vor. Erwin Stapf, seit 1957 in der Geschäftsleitung, übernahm mit seinem Marketing-Team – dabei auch der im März 1957 in die Firma eingetretene Dr. Dr. Helmut Sihler – die strategischen Vorbereitungen. Sein Geschäftsleitungs-Kollege Josef Leopold trug die Verantwortung für den Vertrieb. (…) Persil 59, ‚das beste Persil, das es je gab‘, wurde im Januar 1959 in den Handel und an die Verbraucher gebracht. Der Erfolg war überwältigend; die Marktführerschaft in der Bundesrepublik Deutschland wurde zurückgewonnen. Mit dem synthetischen Persil hatte Henkel zugleich den Anschluss an die internationale Entwicklung gefunden und das Fortbestehen der Firma gesichert.
(Feldenkirchen/Hilger 2001, S. 125)
Bemerkenswert an der Kampagne für Persil 59 war u. a., dass „eine alte Henkel-Tradition, die Werbung im eigenen Haus zu konzipieren, durchbrochen“ wurde. Der Auftrag ging an eine externe Werbeagentur. (Feldenkirchen/Hilger 2001, S. 125)2
Der Bereich der internen Kommunikation, in dem Thiele speziell tätig war, und das Recruiting standen ebenfalls vor großen Herausforderungen:
Vergeblich versuchte die Firma, Arbeitskräfte über die eigenen Mitarbeiter anzuwerben. Daher begann die Unternehmensleitung bereits 1959 mit der Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte. Henkel war eines der ersten Unternehmen im Düsseldorfer Raum, das ausländische Arbeitnehmer einstellte (…)
(Feldenkirchen/Hilger 2001, S. 125).
Verfasser von Beiträgen in Haus- bzw. Mitarbeiterzeitschriften
Die Tätigkeitsbezeichnung als „Werksjournalist“ war seinerzeit üblich, wenngleich sie aus heutiger Sicht – unterschiedliche Funktionen von Journalismus und PR berücksichtigend – problematisch erscheinen muss.
Thiele schrieb Artikel in der Hauszeitschrift – genauer gesagt: der Monatsschrift der Werksgemeinschaft Henkel „Blätter vom Hause“ – und im Vertriebsorgan – den Mitteilungen für den Reisestab der Henkel & Cie. GmbH „Unser Verkauf“. Beide Periodika standen unter der Redaktion von Dr. Friedrich Bohmert. Dieser Journalist und Autor sollte später wieder – nachdem er zwischenzeitlich beim Publikumsblatt „Hör zu!“ arbeitete – als PR-Chef von Henkel zum Ende der 1960er-Jahre und in den 1970ern von sich reden machen. (Feldenkirchen/Hilger 2001, S. 266f.; Hilger 2004, S. 263f.; Wagner u.a. 2014, S. 80)3
Aus der werkjournalistischen Tätigkeit sind einige Beiträge, die von Günter Thiele unterzeichnet und teilweise auch mit selbstgeschossenen Fotos illustriert wurden, bekannt.
Im Hausorgan erschien beispielsweise unter der Überschrift „Vom Mischen, vom Mahlen, vom Mengen“ eine dreiseitige, auch stark bebilderte Reportage über die so genannte „P3-Produktion“, eine von vier Produktionssäulen der Henkel-Werke. Günter Thiele beschreibt dabei konkret, verständlich und anschaulich Güter und Herstellungsvorgänge sowie alltägliche Herausforderungen bei der Produktion. (Blätter 1960/4, S. 3-5)4
Für die plastische Darstellung von technischen Vorgängen und wirtschaftlichen Produktionsthemen dürften ihm seine eigenen Erfahrungen als Schmelzer in DDR-Hüttenwerken und die journalistische Ausbildung sowie Praxis zugutegekommen sein, die in der DDR prinzipiell stark auf die materielle Produktion und Arbeitswelt fokussiert war.
Verfasser von Beiträgen in der Zeitschrift zur Vertriebsförderung
In der Vertriebszeitschrift berichtete Thiele beispielsweise auf drei Seiten von mehrtägigen Arbeitstagungen „der Herren des Klebstoffwerkes und der P3-Abteilung“ im November/Dezember 1960. Er gibt einen Überblick über die vielfältigen Programmpunkte und Themen der Vorträge von Wissenschaftlern und Praktikern. Mit flotter Feder versucht er, die komplexen und meist sachlich-nüchternen Gegenstände aufzulockern. Als Beispiele:
Nebenbei gesagt, es wurde nicht nur gearbeitet, aber dieses doch in erster Linie. (…) Am zweiten Abend ging es übrigens ins Theater. ‚Ehekarussell‘. Die Herren unisono: ‚Mal was anderes. Hat man ja sonst nicht.‘ (…) Einen Strich unter das alte Jahr ziehen, dabei die Höhen und Tiefen noch einmal durchmessen, dankbar alles Schöne und Wertvolle in der Erinnerung notieren, dann behutsam zu Flasche und Glas greifen und allen Ärger und Kummer mit einem kräftigen Schluck hinunterspülen, auf Kater achten!
(Verkauf 1961/1-2, S. 9-12)
Mehrere Male schrieb Thiele über Henkel-Auftritte auf auswärtigen Ausstellungen. So berichtete er vom Stand des Bereiches P3 auf der Wanderausstellung 1960 in Köln der Deutschen-Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG). Der Autor, hier in Reporterfunktion, zeigt dabei, wie die „moderne Chemie“, also „Düngemittel, Reinigungs- und Desinfektionsmittel und Pflanzenschutzmittel“, von den Landwirten nachgefragt werden. (Verkauf 1960/5-6, S. 14f.)
Unter dem Titel „An den Quellen des ‚weißen Stromes‘“ – gemeint ist der Milch-Fluss – reportierte er über eine Landwirtschafts- und Technikausstellung in Oldenburg. Dabei wählte er einen „natürlichen“, lebensweltlichen Zugang über den Nutzen der Milch für den Menschen und die Milchkuh als eine Haupteinnahmequelle des Landwirtes, ehe er dann auf die „Bedeutung von Technik und Chemie“ eingeht.
Auch Henkel-Erzeugnisse haben dazu beigetragen, Fortschritt und Erleichterung für die Arbeit des Bauern zu bringen. (…) Die freudige Beachtung, die auch der Stand der Waschmittel-Abteilung in Oldenburg gefunden hat, spricht für sich selbst.
(Verkauf 1961/8, S. 11)
Dabei scheut er auch politische Anspielungen nicht, die er aber elegant auflöst. Bevorstehende Bundestagswahlen führt er wie folgt in seinen Text ein:
Dabei sagte mir ein alter Bauer im Gespräch, und der Schalk stand ihm in den Augen geschrieben: ‚Wissen Sie, was wir in unserem Dorfe wählen? – Wir wählen P3!‘ Das zu sagen, will bei einem niedersächsischen Bauern schon etwas heißen.
(Verkauf 1961/8, S. 11)
Situation zum Ende seiner Zeit bei Henkel
1962 – also in dem Jahr, in dem Thiele Henkel wieder verließ – änderte sich die Firmenstrategie des Unternehmens:
Ab 1962 ging Henkel in der Unternehmenspolitik mit der Ausweitung des weltweiten Wettbewerbs neue Wege: (…) Um im Wettbewerb mit den ‚ganz Großen‘ erfolgreich zu bestehen, sah sich das Unternehmen einem ‚Zwang zur Größe‘ gegenübergestellt. Da die Option nicht auf ‚wachsen oder bewahren, sondern wachsen oder schrumpfen‘ lautete, wurde insbesondere das externe Wachstum forciert. Mit den steigenden Umsätzen auf den einheimischen und internationalen Märkten etablierte sich Henkel ab Mitte der 1960er Jahre unter den weltweit größten Chemieanbietern.
(Feldenkirchen/Hilger 2001, S. 119)
Anmerkungen
1 In den meisten Quellen ist von „Übersiedelung“, „Umzug“ od. dgl. die Rede. Formulierungen wie „Flucht“ finden sich selten und auch Günter Thiele selbst spricht nicht von „Flucht“, vgl. dazu PR-Magazin 1991/1, S. 27.
2 „Wie immer bei Persil, so spielt auch (…) der human-touch eine gewichtige Rolle. Die Vorläuferin des (später in der Werbung auftretenden – T.L.) Photomodells Dagmar Peters ist eine Erfindung des Agenturchefs Troost aus dem Jahre 1959. Damals wurde die strahlende junge Frau, die sich mit ausgestrecktem Arm nach einer Packung Persil redet, geboren. 1959 kam die Persil-Frau auf Plakaten groß heraus.“ (Zeit 1969/26 27.06.1969)
3 Bohmert hat 1949 in Freiburg i. Br. promoviert (Thema: Joachim von Sandrart: Teutsche Akademie der Bau-, Bild- und Mahlerey-Künste. 1675-1679). 1978 erschien von Bohmert im Econ-Verlag: Die Öffentlichkeitsarbeit muss neu beginnen. Konsequenzen für das Management. „Angesichts (… der zwischenzeitlichen – T.L.) Entwicklung klingt der plakative Titel des (…) Buches von Dr. Friedrich Bohmert, der seit den späten 1960er Jahren die Abteilung ‚Public Relations‘ im Henkel-Konzern leitete, prophetisch. In dieser Position legte er die Grundlagen der modernen ‚Corporate Image‘ und Markenführung von Henkel und wurde für seine ‚wegweisende Kommunikationsarbeit‘ 1974 mit dem ,Goldenen Brücke‘-Preis der Deutschen Public Relations-Gesellschaft ausgezeichnet.“ (Wagner u.a. 2014, S. 80)
4 Die „Blätter vom Hause“ gliederten sich 1960 in folgende Rubriken: Werksgeschehen, Zeitfragen, Wirtschaft, Wie die anderen leben, Jugend, Ratschläge und Für eilige Leser. Die Hauszeitschrift erschien im bereits stattlichen 38. Jahrgang.