Von Eggerts Agentur-Duo zum Marktführer ABC
Thieles „Superschreibe“ hilfreich bei der Ausdifferenzierung der PR aus der Werbung
Günter Thiele wechselte 1962 in die Düsseldorfer Werbeagentur R. W. Eggert1 als Werbetexter. Rolf Eggert machte „den früheren Henkel-PR-Mann Thiele wegen dessen ‚Superschreibe‘“ bald sogar zum Cheftexter. (Middelkamp 2002; vgl. auch Bentele 2001)
Die Düsseldorfer Firma betreute u. a. die Getränkemarken Pott-Rum und Hohes C, im Jahr 1967 arbeitete sie auch für das Bundespresseamt. Gemeinsam mit der Facta Werbegesellschaft in Köln und dem Hamburger Werbeunternehmen Dr. Reiner Schulze van Loon realisierte Eggerts Werbeagentur Konjunktur-Anzeigenkampagnen für die Bundesregierung. Das Dienstleister-Trio hatte „rund eine Million Mark aus dem Etat des Bundespresseamtes zur Verfügung“, die „während sechs Wochen aus(ge)geben“ werden sollten (Spiegel 1967/39, S. 55).
Mit solcherlei Aufträgen für Marken- und Kampagnenkommunikation war das Übergangsfeld zwischen Werbung und PR beschritten. Zudem kamen die Marken- und politischen Botschaften nicht ohne pointiert informierende und anschaulich argumentierende Texte aus. Damit waren zentrale Kompetenzen des Texters Thiele gefragt.
Und auch institutionell war insbesondere die „erste Hälfte der 60er Jahre“ durch „viele PR-Gründungsinitiativen etablierter Werbeagenturen“ gekennzeichnet. Tebrake (2019, S. 172) nennt für diese Zeit mindestens fünf Ausgründungen von PR-Ablegern aus bekannten Werbefirmen. 1965 schließlich wurde in Düsseldorf die ABC Presse-Information GmbH „als PR-Tochter der Werbeagentur R. W. Eggert gegründet. (…) Beabsichtigt war in erster Instanz, den Kunden der Werbeagentur PR-Beratung anzubieten.“ (Tebrake 2019, S. 172)
Anfangsjahre von Eggerts PR-Tochter ABC ab 1965
„Gründungsgeschäftsführer und Gesellschafter“ von ABC „waren Ralf Eggert und Peter Hoenisch, der zuvor Geschäftsführer der PRO Public Relations in Frankfurt war“ (Tebrake 2019, S. 172). Am PR-Vorjob von Hoenisch – der später u. a. auch Kommunikationsdirektor von RTL (1988-1996) werden sollte – ist zu erkennen, dass es in den 1960ern sehr wohl schon eine originäre PR-Dienstleisterszene gab. PR-Ausgründungen aus der Werbebranche waren also nur eine, aber durchaus wichtige „Wurzel“ der PR-Branche.
Generell ist aber für die PR der 1960er bezeichnend, dass sie – im Unterschied zum vorherigen Jahrzehnt – stark als integrativer Bestandteil bzw. sinnvolle Erweiterung von Marketing gesehen wurde. „Im Wandel von Nachfrage- zu Angebotsmärkten etablierte sich die aufstrebende Absatzpolitik (Marketing) als eine Funktion moderner Unternehmenspolitik.“ Als Produkt-Publizität bzw. Produkt-PR erlebte Öffentlichkeitsarbeit eine „Renaissance“. Auch wenn die PR dabei durchaus Spezifika ausprägte, nennt Szyszka – der ein Entwicklungsmodell der PR in der Bundesrepublik Deutschland vorlegte – die Jahre von 1961 bis 1972 Phase der „Fremd-Positionierung“. (Szyszka 2015, S. 502f.)
Bentele (2017, S. 41), der ebenfalls für ganz Deutschland eine etwas andere Einteilung vorlegte, fasst die Phase weiter und bezieht die nachfolgenden zehn bis fünfzehn Jahre mit ein. Er spricht für die Zeit 1960 bis 1985 von einer „Konsolidierung des Berufsfeldes“ und verweist auf die Selbstreflektion des Berufsfeldes beispielsweise in der DPRG, aber auch auf die Entstehung einer „sozialistischen Öffentlichkeitsarbeit“ in der DDR.
Die 1960er-Jahre können PR-historisch also ambivalent gesehen werden. Dies zeigte sich auch konkret: Der Erfolg war den PR-Ablegern von Werbeagenturen nicht unbedingt in die Wiege gelegt.
Zwar vermeldeten Kommunikationsfachmedien erste Aufträge, so 1966: ABC „erhielt den PR-Etat des Zentralverbandes der deutschen Augenoptiker (…) zur Imagebildung der Berufsgruppe“ (Kress-Report 30.06.1966, S. 10).
Doch es gab beträchtliche Anfangsschwierigkeiten. Die 1965 gegründete ABC Presseinformation wollte „auch nach Jahren nicht recht Tritt fassen“, so schätzt es Middelkamp ein. ABC verschliss bis 1968 fünf Geschäftsführer (PR-Magazin 1991/1, S. 27). Schließlich besann sich Eggert auf seinen Cheftexter: „Thiele (ließ) sich breitschlagen – halb zog es ihn, halb sank er hin –, bei der ABC Presseinformation das Heft in die Hand zu nehmen“. (Middelkamp 2002) Dies geschah 1968.
Unter Thiele ab 1968 entwickelte sich ABC zur führenden PR-Agentur in Deutschland
Ab 1968 war Günter F. Thiele „Mitinhaber und Geschäftsführer der PR-Agentur ABC Presse-Information. Diese Agentur baute er in den folgenden Jahrzehnten zum damals größten und marktführenden Kommunikations-Dienstleister in Deutschland aus.“ (GT-Stiftung) ABC („heute Havas PR“) entwickelte sich „in den 80er und 90er Jahren“ zum Marktführer unter den PR-Agenturen (Tebrake 2019, S. 172), insbesondere ab 1983 (Middelkamp 2002).
In der „früheren Vorzeige-Agentur ABC“ lernten viele spätere PR-Agenturchefs „das Laufen“, so zum Beispiel Jörg Middelkamp (von 1985 bis 2003 bei ABC), Andreas Severin (1994-99) oder Heinz-Georg Tebrake (1990-93 und 1998/99) (PR-Report 29.11.2012). Letzterer ist auch wissenschaftlich aktiv und promovierte 2017 über die bundesdeutsche Geschichte von PR-Beratung und Agenturen bis 1974, wir zitieren ihn hier mehrfach (Tebrake 2019).2 Weitere Beispiele sind Ralf Hering, Bernd Schuppener und Egbert Deekeling (Bentele 2019).
Agenturchef Thiele hat seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nachhaltig geprägt:
Es ging hart, aber herzlich zu, und die ABC erarbeitete sich den Ruf einer ‚Eliteschmiede‘ der Branche.
(Middelkamp 2002)
Und:
Während seiner aktiven Zeit hat er nicht nur den PR-Beratern, Junior-Beratern und seiner Agentur entscheidende Kenntnisse vermitteln können – ich habe mir sagen lassen, dass auch in den heutigen Nachfolgeragenturen oder in den Agenturen seiner Schüler (Deekeling Image & Change, GCI Hering Schuppener) nicht selten noch über den ‚Geist von Günter Thiele‘ – obwohl Thiele selbst ja noch quicklebendig ist – gesprochen wird.
(Bentele 2002)
ABC als Dienstleister moderner PR in einem integrativen Kommunikationsverständnis
Als Thiele von Eggerts Werbeagentur in die PR-Tochter ABC wechselte, konnte er weiterhin von seinen Kundenbeziehungen profitieren. Denn die potenziellen PR-Auftraggeber waren – zumindest anfangs – die Gleichen, die er bereits als Werbekunden kannte. Es war durchaus bereits üblich, dass ein Wirtschaftsunternehmen zwischen Werbe- und PR-Etats unterschied. Zunehmend gelang es Thiele aber auch, die Kompetenz als PR-Agentur auf Leistungen auszudehnen, die weit mehr als Pressearbeit bedeuteten und bislang eher als Domäne von Werbung und Marketing galten.
Die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit alter Schule wandelte sich zur modernen Public Relations (…). Was heute als Event-PR und Big Pictures in den Marketing-Kommunikationsstrategien als unverzichtbar gilt, nannten ‚die von der ABC‘ PR-Aktionen – für Camel, Coca Cola und viele andere.
(Middelkamp 2002)
Dies brachte auch neue Kunden und schärfere Konkurrenz zu klassischen Werbefirmen.
So mussten die großen Werbeagenturen zuschauen, wie die ABC Presseinformation ihnen die begehrtesten Imagekampagnen abjagte, etwa die der Deutschen Bundespost. Und als es erst einmal lief, folgten weitere Kunden: Das Bauhandwerk, das Bäckerhandwerk, BHW …
(Middelkamp 2002)
Damit schärfte Thiele das Bild moderner PR, schälte ihre spezifischen Kompetenzen heraus – und verschaffte ihr zugleich einen unverzichtbaren Platz auch in der Marketing-Denke und bei der Etat-Vergabe der Unternehmen.
Anmerkungen
1 Rolf Eggert starb im Alter von 94 Jahren am 26. Oktober 2019. „Der gelernte Kaufmann prägte wie kein anderer die Werbelandschaft in Düsseldorf wie auch bundesweit. Rolf Eggert gründete 1961 die Werbeagentur R. W. Eggert und baute diese im Laufe der nächsten Jahrzehnte zur größten deutschen unabhängigen Werbeagentur aus. 1965 gründete er die ebenfalls sehr erfolgreiche PR-Agentur ABC-Presse-Information. Neben seinen beruflichen Verpflichtungen engagierte sich Rolf Eggert für die regionale sowie für die Werbe- und Kommunikationswirtschaft. Von 1980 bis 1995 war er Mitglied der Vollversammlung der IHK Düsseldorf, die ihn 1981 zum Vizepräsidenten wählte. Seit 1995 war Eggert Ehrenmitglied der Vollversammlung und engagierte sich von 1996 bis 2007 im IHK-Finanzausschuss. Er wurde 1993 mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse ausgezeichnet.“ (IHK 2019, S. 15)
2 Seit April 2019 arbeitet Tebrake als Hochschullehrer für Unternehmenskommunikation an der Hochschule für Medien, Wirtschaft und Kommunikation (HMWK) in Köln. Vgl. https://www.hmkw.de/hochschule/lehrende/fachbereich-journalismus-und-kommunikation/heinz-georg-tebrake/