Medialisierungsschub und Grenzen zentraler Mediensteuerung boten Chancen für dezentrale Presse- und Medienarbeit I

Medienrevolution begünstigte NS-Herrschaft, machte totale Medienkontrolle zugleich aber unmöglich

Abb.: Propagandaminister Goebbels (mit Hakenkreuz-Binde) vor einem Volksempfänger des Typs VE 301 Dyn, rechts Reichsrundfunkkammer-Präsident Hans Kriegler, bei der Funkausstellung am 5. August 1938. Das Gerät kostete 65 Reichsmark. Fotograf unbekannt. Quelle: Bundesarchiv Bild 183-H10252 / Wikimedia Commons, Attribution-Share Alike 3.0 Germany license (CC-BY-SA 3.0) https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/legalcode

Parallel zum Aufstieg des Rundfunks (zunächst als Radio) als reichsweiter Echtzeitkommunikation wurde der Nationalsozialismus zur Massenbewegung und errang die Herrschaft. Ebenso begleitete und – wie sich mit guten Argumenten behaupten lässt – beförderte die Ausweitung und Professionalisierung visueller Kommunikation mit ihren Möglichkeiten auch emotionaler Ansprache oder der Verbindung von Dokumentarität und Fiktionalität den Masseneinfluss der NS-Propaganda. Diesbezüglich kann durchaus von einer Medienrevolution in den 1930ern mit immensen Auswirkungen auf Alltag und Lebenswelt der Menschen gesprochen werden.1

Unbestritten etablierte die NS-Diktatur einen großen und ausgeklügelten Apparat der Medienlenkung und -beeinflussung sowie Medien, die als unmittelbare Instrumente ihrer Herrschaft dienten. Mit der Ausweitung und Differenzierung medialer Programme – auf der Basis eines ohnehin schon vielfältigen Presse- und Literatursystems2, entwickelter kommerzieller Werbung3 sowie Unternehmens- bzw. Organisationskommunikation und massenkultureller Angebote4 – musste die NS-Kommunikationspolitik und -Mediensteuerung auch an Grenzen stoßen.

Die NS-Medienpolitik habe „ihr Oberziel einer gleich geschalteten, durchgehend kontrollierten Medienindustrie und eines reibungslos arbeitenden Propagandaapparates nicht erreicht(e)“. „Die Nationalsozialisten standen sich aufgrund ihrer polykratischen Strukturen in Organisation und Lenkung der Presse5 selbst im Wege, was nicht zuletzt beabsichtigter Teil von Hitlers Herrschaftstechnik war.“ (Day 2004, S. 37, unter Bezugnahme auf Storek 1972 und Thamer 1998)

Differenzierung und Variation der Medienangebote und ihrer Kontrolle boten Einflussmöglichkeiten für externen Input

Presse

Eine zu gleichförmige Presse erzielt bei ihren Lesern zudem nicht nur die von ihren Lenkern gewünschten, sondern auch kontraproduktive Wirkungen, was zumindest die Raffinierteren und Medienerfahrenen unter den Autokraten und Despoten wissen oder fühlen. Ein allgemeingültiges Maß inhaltlicher und formaler Variation lässt sich in einer Diktatur nicht festlegen, weil das Diktat des Diktators die letzte Instanz sein muss.

Das konkrete Maß hängt aber auch von den jeweiligen Lesern und Situationen, Stimmungen und Kräfteverhältnissen ab. Mindestens in zweierlei Richtung (nämlich thematisch-strukturell und chronologisch-zeitlich) lassen sich unter dem NS-Regime Differenzierungen eines solchen Maßes in der Presse erkennen: a) Unterschiede zwischen unmittelbar politischen und kulturell-unterhaltenden (einschließlich sportlichen) Inhalten, zwischen aktueller Tagespresse einerseits und Massenillustrierten, Frauen-, Haushalts- sowie Modeblättern etc. andererseits. b) Im Zeitverlauf der zwölf Jahre des „tausendjährigen Reiches“ kam es durchaus zu unterschiedlichen, strengeren oder lockeren Handhabungen von Propaganda und Zensur.6

(Fortsetzung nächste Seite)

 

Autor(en): T.L.

Anmerkungen

1 Zum Beispiel: „Technik und Massenmedien drangen tief in den Alltag der Menschen und ihre Mentalität ein. Für Peukert führte der Siegeszug von Rundfunk und Film in ländlichen und kleinstädtischen Gegenden zu längerfristigen Umwälzungen der Freizeitgewohnheiten.“ (Day 2004, S. 16)

2 Vgl. u.a. Aust/Aust 2008 und Häse 2010.

3 Vgl. u.a. Schöning 1975 und Westpahl 1989.

4 Vgl. u.a. Bokel 1997 und Kirchberg 1984.

5 Auf zentraler Ebene kam es zu Kompetenzüberschneidungen und unterschiedlichen Selektionsfiltern zwischen Propagandaminister und NSDAP-Reichspropagandaleiter Joseph Goebbels, dem obersten NS-Pressemanager und Verleger Max Amman und „Reichspressechef“ Otto Dietrich. Außerdem galt es Sonderinteressen der einzelnen Ministerien, insbesondere des Auswärtigen Amtes, zu berücksichtigen. Regional verfolgten die 40 Gaupropagandaämter auch eigene Medienpolitiken, orientiert an den jeweiligen Gauleitern. Vgl. Day 2004, S. 38. Vgl. auch Sösemann 2003, S. 407.

6 Vgl. u.a. Day 2004, S. 39f.