Industrie- und Massengesellschaft sowie ihre Modernisierung als tiefste Ursache von Öffentlichkeitsarbeit und Wirtschaftskommunikation I

Globale Wirtschafts- und Gesellschaftsprobleme als tiefste Ursachen für Nachdenken über mehr und bessere Kommunikation

Hundhausens PR-Artikel von 1937/38 legen noch eine letzte, fünfte Schlussfolgerung nahe: Die tiefste Ursache für die intensivierte Diskussion um PR in den USA sah er in der „gegenwärtige(n) soziale(n) Unruhe (social unrest)“, also in einer (Vertrauens-) Krise des marktwirtschaftlichen Systems (Stichwort Weltwirtschaftskrise, Depression).1 Diese führe bei allen Akteuren zum Bedürfnis nach mehr „Sicherheit“ und insbesondere bei den Unternehmen nach „Good Will“ in der öffentlichen Meinung. Auch in Deutschland hatte diese Krise zu großen Veränderungen geführt, aber eben in eine andere Richtung, über einen anderen Weg.

Abb.: Ausriss einer Buchrezension (Auszug) über einen Vergleich zwischen Krisenbewältigungsstrategien in den USA und Deutschland aus: Die Zeit, Ressort Literatur, März 2005, S. 15.

Damit problematisierte Hundhausen eine Ursachenschicht für PR, die nicht im politischen System (Demokratie – Diktatur) lag, sondern tiefer, in den sozialökonomischen Verhältnissen. Das nationalsozialistische Deutschland kann – wie die USA – als eine Variante der auf Massenproduktion, Massenkonsum und Massenkultur – einschließlich Massenmedien – beruhenden Industriegesellschaft bzw. als Form ihrer Modernisierung verstanden werden.

Mit solcherlei Analyse von Parallelen zwischen Deutschland und den USA stand Hundhausen seinerzeit nicht allein – und auch heute wird in Wirtschafts- und Kulturwissenschaften sowie Modernisierungstheorie derart argumentiert.

Abb.: Das Verständnis des NS-Regimes von der eigenen Wirtschaftsordnung kommt u.a. in diesem Textausschnitt zum Ausdruck: Auszug aus: Canzler, Hermann: Wirtschaftswerbung im neuen Reich. Stuttgart 1935. S. 17.

Hinzu kommt, dass sich das ökonomische Grundmodell einer auf Privateigentum basierenden, unternehmerisch organisierten Waren- und Marktwirtschaft im nationalsozialistischen Deutschland nach 1933 nicht änderte.2

Historisch gesehen geriet nach der Etablierung von Massenproduktion und Massenmedien (zunächst als Literatur/Presse, Film …) auch Massenkonsum ins Zentrum alles Sinnens und Trachtens: Dies führte zu einem Aufschwung von kommerzieller Kommunikation und Werbung, geprägt „von der fordistischen Konsumeuphorie und de(m) Glauben an die planbare Welt des Konsums“. (Day 2004, S. 49, unter Rückgriff auf Westphal 1989)

Mit der Weltwirtschaftskrise von 1929 brach das bisherige (fordistische) Weltbild zusammen. Die „marktschreierische Werbung des Wirtschaftsliberalismus“ (Westphal 1989, S. 18), das bisherige Leitbild unternehmerischer Kommunikation stand nun am Pranger – die „Heilsbotschaften der radikalen politischen Parteien von ‚Arbeit und Brot‘ trafen auf starke Resonanz“ (Day 2004, S. 50).3

Krise des alten Fordismus

Der alte Fordismus und das kapitalistisch-marktwirtschaftliche Versprechen vom Konsum für alle büßten durch die Weltwirtschaftskrise „erheblich an Glaubwürdigkeit ein (…)“, da „aus Sicht der Bevölkerung das freie Spiel der marktwirtschaftlichen Kräfte in die Katastrophe geführt hatte. Die Krise wurde als unmenschliche Folge einer Modernisierung erlebt, die aus dem Ruder gelaufen war und sich von der schwachen Regierung und ihren sozialpolitischen Instrumenten nicht mehr steuern ließ.“ (Day 2004, S. 90)

Liberaler Kapitalismus und Demokratie als sein politisches Regulationssystem waren weltweit in eine Wirtschafts- sowie Vertrauens- und damit Existenzkrise geraten. Zudem hatte die Weltwirtschaftskrise die schon nach dem Ersten Weltkrieg aufgetretene „Technikphobie“ nochmals gesteigert (Day 2004, S. 154). Politik und Wirtschaft mussten darauf eine Antwort geben. Ausgehend von einer fundamental ähnlichen Problemlage geschah dies durchaus unterschiedlich. Was nicht ausschloss, dass national-politisch verschiedene Strategien ihre Legitimation dadurch zu erhöhen versuchten, indem sie auf tatsächliche oder vermeintliche Gemeinsamkeiten mit anderen Lösungsansätzen verwiesen. Insbesondere auch, da diese globale historische Problem- und Gemengelage der 1930er-Jahre seinerzeit zu einem Schub für Public Relations – direkt in den USA, in Deutschland eher indirekt und auf die Fachdiskussion beschränkt – geführt hat, lohnt es sich darauf näher einzugehen.

 

Autor(en): T.L.

Anmerkungen

1 Vgl. auch –ch. (1940). Warum die Krise von 1929ff. erst 1937/38 zum Aufschwung der PR-Diskussion in den USA führte, dazu Argumentationen aus der Literatur bei Liebert 2003, S. 103.

2 Vgl. dazu auch die umfangreiche Argumentation bei Lange 2010.