Zusammenfassung (I)

Aufschwung einer traditionsreichen Praxis der Organisations- bzw. Unternehmenskommunikation

Zweifellos bildete das Jahr 1945 in Deutschland keine „Stunde null“ für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit von Organisationen, Institutionen und Unternehmen.

Spätestens in der Zeit des Deutschen Kaiserreiches war eine Kommunikationspraxis vorhanden oder in Entwicklung, die man heute als Organisations- bzw. Unternehmenskommunikation bezeichnen würde, auch wenn sie seinerzeit längst noch nicht bei allen Organisationen und Unternehmen ausgebildet war. Zumindest bei den gesamtnationalen Interessenverbänden und Großunternehmen kann man dies aufgrund der bisherigen Erkenntnisse voraussetzen. Begünstigt durch die demokratischen Verhältnisse nach 1919 sowie konsumgesellschaftliche und massenkulturelle Trends hat sich diese Kommunikationspraxis in der Zeit der Weimarer Republik (vgl. dazu eigenen Beitrag im PR-Museum) gerade im Bereich der Wirtschaft sehr weitgehend auch in der Breite durchgesetzt und mannigfaltig ausdifferenziert. Unter der nachfolgenden NS-Diktatur (1933-1945) brach diese Tradition nicht ab, wenngleich sie teilweise auch staatlicher Propaganda dienstbar gemacht und/oder vor allem unter den Kriegsbedingungen ab 1939 eingeschränkt wurde (vgl. dazu eigenen Beitrag im PR-Museum).

Zwar waren 1945 mancherorts aufgrund der Kriegseinflüsse personelle, infrastrukturelle etc. Voraussetzungen aktuell nicht mehr gegeben und/oder Wissensbestände, Erfahrungen etc. (zeitweise) verloren gegangen – zu den konkreten und regional oder branchenbezogen spezifischen Umständen und Abläufen gibt es noch großen Forschungsbedarf. Und die Souveränität von Organisationen – und damit auch ihrer Kommunikationsaktivitäten – war zeitweise durch Besatzungsrecht und -regime sowie Zwangsbewirtschaftung eingeschränkt oder in manchen Fällen – der zerschlagenen (entflochtenen) Großindustrie – ganz aufgehoben. Dennoch nahm die Organisations- und Unternehmenskommunikation 1948 (Währungsreform) in den drei Westzonen und in den Folgejahren – ab 1949 unter neuer (wenn auch noch beschränkter) Eigenstaatlichkeit als Bundesrepublik Deutschland – schnell wieder an Fahrt auf.

In den 1950er-Jahren war – hier folgen wir einschlägigen Periodisierungsmodellen – Öffentlichkeitsarbeit primär gesellschafts- und wirtschaftspolitisch ausgerichtet (und dabei auf Konsens und gesellschaftliche Stabilisierung bedacht), wohingegen in den 1960er-Jahren die unternehmerischen Eigeninteressen (Produkt-Publizität, Positionierung im ökonomisch-konsumerischen Wettbewerbsumfeld, Integration in das Marketing) in den Vordergrund traten.

Gesellschaftliche Rahmenbedingungen zwischen Mitte der 1940er- und Mitte der 1960er-Jahre

Dimensionen, Vielfalt und Tempo des Aufschwunges von Presse- und Öffentlichkeitsarbeit wurden durch die marktwirtschaftlich-pluralistische Richtungsentscheidung im Westen Deutschlands begünstigt. Dass Unternehmen und andere Akteure prinzipiell in ein Wettbewerbsumfeld gestellt wurden, schuf Dynamik auch in der Kommunikation. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der Nazidiktatur (…)

(…) entwickelte sich das amerikanische Modell der politischen Demokratie und des freien Unternehmertums zum Maßstab für die westlichen Gesellschaften. Wollte man den Versuchungen des Kommunismus und des Nationalsozialismus etwas entgegensetzen, bedurfte es des Wohlstands für alle – ein wichtiger Impuls für den Aufbau des Versorgungsstaates in den westeuropäischen Ländern. Um den dafür erforderlichen Reichtum zu schaffen und die Wiederholung einer Wirtschaftskrise wie in den 1930er Jahren zu vermeiden, entwickelte man eine völlig neue Weltwirtschaftsordnung (…).

(Altena/van Lente 2009, S. 280; vgl. auch S. 344-358)

In der westdeutschen Bundesrepublik entwickelten sich Wirtschaft und konsumbasierter Lebensstandard bald sehr positiv, was auch zur Abschwächung der sozialökonomischen Probleme sowie weltanschaulich-ideologischen Zerrissenheit der Nachkriegszeit und zu politisch stabilen (oder kritisch formuliert: konservativ-restaurativen) Verhältnissen führte. Die innergesellschaftlichen bzw. innerdeutschen Auseinandersetzungen um das Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell zwischen Gemein- und Unternehmenswirtschaft bzw. zwischen Plan- und Marktwirtschaft wurden durch die Entscheidung für die „(soziale) Marktwirtschaft“ und Westintegration der Bundesrepublik gewissermaßen nach extern verlagert und als „Systemauseinandersetzung“ zwischen West und Ost ausgetragen.1

Die stabile Aufwärtsentwicklung bekam ab Mitte der 1960er-Jahren – so durch die Rezession von 1966/67 – erste Dämpfer, parallel dazu erhöhte sich auch wieder das gesellschaftliche Kritikpotenzial:

Eine zweite große Welle ideologischer Auseinandersetzungen durchzog den Westen in den 1960er Jahren, als eine junge Generation von Intellektuellen und ältere Kritiker den demokratischen und moralischen Gehalt der bürokratischen westlichen Staaten und deren Auftreten in der Dritten Welt anprangerten. Der Protest ging jedoch viel weiter: er galt dem gesamten traditionellen Lebensstil, der größtenteils bürgerlich geprägt war. Die junge, gut situierte Generation etablierte einen neuen, individualistischeren Lebensstil, der dank des zunehmenden Reichtums große gesellschaftliche Wirkungskraft entfaltete.

(Altena/van Lente 2009, S. 280f.)

Rege Diskussion um Organisations- bzw. Unternehmenskommunikation, aber in einem neuen Koordinatensystem

Im Unterschied zu überwiegenden Kontinuitäten in der entsprechenden deutschen Kommunikationspraxis fand die (fach-)öffentliche Diskussion unter vorwiegend neuen Denkprämissen und Sichtweisen statt. Begrifflich kulminierte dies im schillernden Terminus „Public Relations“ (und „Human Relations“), der für die Mehrheit von Fachwelt und Öffentlichkeit neu war. Zwar tauchten in der Fachpresse unter eher angewandten Gesichtspunkten altbekannte Probleme wie die Rolle von Unternehmensinformationen zwischen Text- und Anzeigenteil der Presse oder in Dissertationen eher grundlagentheoretische Erwägungen um Merkmale von Propaganda, Werbung etc. auf. Ein systematisches Anknüpfen an Diskurse in Deutschland vor 1945 – vor allem an solche unter demokratisch-pluralistischen Bedingungen der Weimarer Republik vor 1933 – erfolgte eher nicht.2 Dies lag an mindestens drei Gründen:

a) Die meisten Diskutanten wollten schon begrifflich-terminologisch und vom Sprachduktus her (selbst den bloßen Verdacht) vermeiden, an die Seite oder in die Nähe von Positionen gerückt zu werden, die (ggf. auch) die Nationalsozialisten vertreten hatten. Dabei gilt es zum einen zu berücksichtigen, dass es zwischen den 1920er- und 1940er-Jahren auch über alle politischen Lager hinweg, auch ungeachtet vom Unterschied zwischen Demokratie und Diktatur, Gemeinsamkeiten im politischen Sprachgebrauch und im gesellschaftlichen Denken gegeben hat, die nun durch ihren Missbrauch unter der NS-Diktatur als obsolet galten. Zum anderen dürfte eine Rolle gespielt haben, dass zwischen 1933 und 1945 tätigen Kommunikationspraktikern und Autoren in der Mehrzahl unterstellt werden konnte, dass sie sich mit dem NS-Regime zumindest arrangiert hatten.

b) Zwölf Jahre Diktatur und vor allem die letzten Kriegsjahre („totaler Krieg“) hatten dazu geführt, dass Denk- und Wissenskontinuitäten aus demokratisch-pluralistischen Zeiten und dann auch generell persönliche Kontinuitäten und damit verbundene handwerklich-professionelle Erfahrungsschätze auch verloren gingen. Unter Zwangswirtschaft und Kriegsbedingungen wichen in Unternehmen noch vorhandene Muster des Denkens in Wettbewerbsumfeldern zunehmend einem bürokratisch-formalisierten bzw. autoritär-einwegigen Verständnis von Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.

c) Die am meisten entwickelte Praxis der Unternehmenskommunikation – und damit das wichtigste Aufkommensfeld von Diskussionen über Probleme und Programmatik organisationeller Presse- und Öffentlichkeitsarbeit – existierte in der deutschen Großindustrie. Diese war aber ab 1945 für einige Jahre als gesellschaftlicher Akteur formal eingeschränkt bzw. besaß keine Autorität als Kommunikator.3

Zwar gerieten die neuen „Public Relations“ auch schnell zum Schlagwort und nicht wenige Diskutanten drangen nicht zum substanziellen Kern des „Neuen“ an PR vor. Sie verwandten den PR-Begriff als neues, zeitgemäßes „Etikett“ für die vorhandene Praxis und Tradition deutscher Organisations- bzw. Unternehmenskommunikation.4 Langfristig hat sich dieses Sichtweise auch durchgesetzt, was der heute übliche synonyme Gebrauch von Public Relations und Öffentlichkeitsarbeit bzw. Organisations- und Unternehmenskommunikation belegt.

Sichtweisen und erste Annäherungen

Im ersten Zugriff, liest man damalige PR-Definitionen nur halb oder oberflächlich, findet man Beschreibungen, die sich – wenn auch mitunter mit anderen Worten – heute noch finden:

Carl Hundhausen: Er titelte sein Buch von 1951 (…)

Werbung um öffentliches Vertrauen. Public Relations

(Hundhausen 1951).

Helmut Schelsky: Unter PR werde verstanden (…)

(…) die Pflege der guten Beziehungen eines Betriebes zur Öffentlichkeit der ihn umgebenden Gesamtgesellschaft (…).

(Schelsky 1955, S. 404)

Es lässt sich rekonstruieren, was damalige Treiber und Beobachter der Diskussion um PR unter dem funktional-substanziell Neuen dieser Kommunikationsdisziplin verstanden haben und worauf sie dieses gründeten. In den 1950er-Jahren wurde die Diskussion um PR von soziologischen Sichtweisen (so auch bei Carl Hundhausen und mehreren Dissertationen über PR) bzw. von Soziologen (v. a. Helmut Schelsky) bestimmt. Berief sich der deutsche PR-Nestor Hundhausen v.a. auf die Beziehungssoziologie Leopold von Wieses, so hatte Schelsky (und auch Herbert Gross) vor allem amerikanische Literatur um Public und Human Relations bzw. die Betriebssoziologie rezipiert.

Die deutsche Publizistik- bzw. Zeitungswissenschaft wurde in der öffentlichen Diskussion um PR kaum erkennbar. Allerdings bemühte sich zum einen Hundhausen (1957) über den Begriff der „Publizität“ um Anschlussfähigkeit an den publizistikwissenschaftlichen Diskurs. Und zum anderen schlug das wertfreie Propaganda-Verständnis von Emil Dovifat auf viele PR-Dissertationen durch. Der Propagandabegriff wurde durchaus gebraucht, um zu sagen, was PR nicht ist – aber in einer anderen Weise als das heute üblich ist.

Public Relations ist nicht jede Presse- und Öffentlichkeitsarbeit von Unternehmen und zugleich mehr als Kommunikation

Public Relations (wie auch Human Relations) wurden primär vom „Industriebetrieb“ und seinen sozialen Beziehungen her gedacht (dies ist auch der Fokus mehrerer Dissertationen5). Eine Übertragbarkeit auf andere Institutionen der Industriegesellschaft scheint möglich, steht aber nicht im Vordergrund der Herleitungen.

In der Lösung der ‚sozialen Fragen‘ sahen auch die PR-Theoretiker jener Zeit die Hauptaufgabe (Gross 1952; Vogel 1952). Sie räumten der Relation Unternehmen-Mitarbeiter die Priorität ein. (…) Das Unternehmen wurde somit als soziale und nicht nur ökonomische oder rechtliche Einheit gesehen.

(Haedrich/Barthenheier/Kleinert 1982, S. 10f.)

PR ist nach damals vertretener Meinung (…)

  • erstens nicht nur Kommunikation, nicht nur „Äußerung(en) in der Öffentlichkeit“ (Hundhausen 1957, S. 110). Sie erschöpft sich nicht in publizistischen Mitteln, sondern es geht um die tatsächliche Politik und Haltung des Unternehmens (vgl. Hundhausen und Schelsky);
  • zweitens ist sie systematischer angelegt als die frühere Unternehmenskommunikation (vgl. Kropff);
  • drittens ist PR nicht jegliche betriebliche bzw. unternehmerische Kommunikation, nicht jegliche Presse- und Öffentlichkeitsarbeit von Industriebetrieben. Sondern sie bezeichnet eine bestimmte Qualität bzw. Ausformung von Organisations- bzw. Unternehmenskommunikation, die allerdings für ein Glied der industriellen Gesellschaft – kraft deren Existenz – notwendig und sinnvoll ist.

Diese Feststellungen treffen, wenngleich in unterschiedlicher Ausprägung, für die PR-Auffassungen des Soziologen Schelsky, des PR-Nestors Hundhausen, des „Marktwirtschaftlers“ Gross, der Promovenden zum Thema PR und selbst für die gewerkschaftliche Kritik an PR (vgl. hier z.B. Nicklas) zu.

 

Autor(en): T.L.

Anmerkungen

1 „(Die) Versuche zur besseren Organisierung der Welt wurden (…)  nach dem Zweiten Weltkrieg (…) durch den Kalten Krieg erschwert, in dem sich der scharfe Gegensatz zwischen kapitalistischen und kommunistischen Staaten ausdrückte. Der Erfolg des Versorgungsstaates in den westlichen Gesellschaften verminderte die Attraktivität der kommunistischen Alternative. Nach und nach verstummte im Westen die politische Debatte, welche die erste Hälfte des Jahrhunderts dominiert hatte. Es bildete sich ein breiter Konsens über das freie Unternehmertum und einen säkularen, auf ökonomisches Wachstum gerichteten Versorgungsstaat.“ (Altena/van Lente 2009, S. 280)

2 Am meisten gelang dies noch Carl Hundhausen, aber auch nur, weil dieser sich schon 1937/38 mit dem PR-Begriff auseinander und die Frage nach seinem Neuigkeitswert gestellt hatte.

3 „So waren (…) die in früheren historischen Phasen wichtigen Initiatoren von Öffentlichkeitsarbeit wie die Stahlindustrie, die Großbanken und der bis dahin größte Chemiekonzern der Welt, I.G. Farben, von den 1945 auf der Potsdamer Konferenz durch die alliierten Besatzungsmächten beschlossenen Dekartellisierungs- und Entnazifizierungsmaßnahmen betroffen. Diese Unternehmen, die wesentlich an der Absicherung der Hitlerschen Expansionspolitik beteiligt gewesen waren und eng mit der SS-Vernichtungsmaschinerie zusammengearbeitet hatten, wurden entflochten und in kleinere Konzerne zerlegt; erst im Laufe des folgenden Jahrzehnts wurden diese Schritte größtenteils wieder rückgängig gemacht.“ (Nöthe 1994, S. 103)

4 Dazu Schelsky (1955, S. 405): Es gebe eine Neigung, „die Bemühungen der Unternehmen um P.R. mit einer neuen Art der Firmenpropaganda und -werbung zu verwechseln“.

5 Vgl. insbesondere den Bezug auf Partnerschafts- bzw. Beziehungs-Pflege bei Ludemann (1952), Löckenhoff (1958) und zusätzlich „Human Relations“ bei Steybe (1958).