Politisch-ideologisch ambitionierte PR-Verständnisse (II)

Ideologischer Charakter des PR-Verständnisses: historisch-situative Bedingtheit

b) Ein solches – wie bei Herbert Gross – weltanschaulich-wirtschaftspolitisch gebundenes Funktionsverständnis von PR ist als ideologisch einzustufen.1 Zunächst einmal realhistorisch unter der damaligen Situation, als die (soziale) Marktwirtschaft noch nicht unumstrittenes bzw. etabliertes Modell, sondern Gegenstand des politisch-pluralistischen Wettbewerbs war:

Grundlegend war die Währungsreform (von 1948 …) für die Frage der Wirtschaftsordnung. Die mit ihr verbundene Freigabe der Preise, die Verschonung der Sachmittelbesitzer, das Hinausschieben des Lastenausgleichs und die Politik der Unterstützung unternehmerischer Selbstfinanzierung präjudizierten die Entscheidung für die ‚soziale Marktwirtschaft‘ bereits vor den Wahlen zum ersten Bundestag (im August 1949). Diese die Bundesrepublik bis heute prägende Rekonstruktion einer in ihren Grundelementen kapitalistischen Wirtschaftsordnung stand im Gegensatz zu weit verbreiteten, oft aber sehr vage und unterschiedlich ausgeprägten antikapitalistischen Vorstellungen. Die Konzentration der Gewerkschaften auf die aktuellen Wiederaufbau- und Versorgungsprobleme, die Hoffnung der Sozialdemokratie auf einen Sieg bei den ersten Bundestagswahlen, das frühzeitige Scheitern einer konsequenten Dekartellisierung, die Sozialisierungsversuche untersagende amerikanische Besatzungsmacht waren neben der konsequent marktwirtschaftlichen Politik des Frankfurter Wirtschaftsrates (der Bi-Zone ab 1947 – T.L.) wesentliche Ursachen für diese Weichenstellungen.

(Mickel 1986, S. 63; vgl auch S. 397 und 562)

Es lässt sich sogar feststellen, dass anfänglich eine marktwirtschaftliche Wirtschaftsordnung nicht nur umstritten war, sondern sich innerhalb der öffentlichen Meinungsbildung in der Defensive befand:

Unmittelbar nach Kriegsende setzte eine kontrovers geführte Diskussion um die zukünftige Ausgestaltung der westdeutschen Wirtschaftsordnung ein. (…) Für eine kapitalistische Marktwirtschaft bestand in der Bevölkerung keine Vertrauensbasis, zumal man eine der Hauptursachen für den Aufstieg des Nationalsozialismus – die Weltwirtschaftskrise – nicht vergessen hatte. Hinzu kam die historische Tatsache, dass gerade deutsche Unternehmer Hitlers Weg zur Macht und deren Stabilisierung nicht unbeträchtlich unterstützt hatten. Für die deutsche Sozialdemokratie, für die Gewerkschaften und Teile der CDU existierte für die Restauration eines kapitalistischen Systems keine diskutable Basis.

(Henning 1988, S. 352)2

Insofern ist die Einschätzung, dass in „der ersten Phase des Wirtschaftswunders“ PR in Westdeutschland „ausgesprochen sozialkonservative Züge“ aufgewiesen habe (Jarchow 1992, S. 14), zutreffend.

Die PR-Konzeption jener Zeit diente der Befestigung der bestehenden gesellschaftlichen Machtverhältnisse. Dis Diskussion über die Ziele der Gesellschaft und damit über soziale Reformen sollte verhindert werden.

(Günther Barthenheier in Haedrich/Barthenheier/Kleinert 1982, S. 12. Zitiert nach Jarchow 1992, S. 14)

PR als offensive Kommunikationsstrategie der Unternehmerschaft aus der Defensive heraus

Aus der geschilderten historischen Situation im Nachkriegsdeutschland – vor allem dem damit verbundenen Vertrauensverlust des marktwirtschaftlich-kapitalistischen Wirtschaftssystems und seines Hauptakteurs, der Unternehmerschaft – erschienen „Public Relations“ als ein modernes Kommunikationsprogramm, um dieser Wirtschaftsordnung und den Unternehmen wieder Gehör zu verschaffen.

Angesichts der Ausgangslage machte es dabei wenig Sinn, Akzeptanz für einzelne Unternehmen zu schaffen, solange das, den unternehmerischen Aktivitäten zugrundeliegende, Wirtschaftssystem nicht akzeptiert wurde (…). Im Vordergrund stand hierbei das Ziel, eine Interessenidentität zwischen Wirtschaft und Bevölkerung herzustellen und die Grundwerte der neuen wirtschaftlichen Konzeption zu verankern.

(Nöthe 1994, S. 105)

c) Diese Bindung der Funktion von „Public Relations“ an Interessen der Unternehmerschaft findet sich nicht nur als gegnerische Unterstellung bei ihren Antipoden, der Arbeitnehmerorganisation (dazu später mehr) bzw. der (anfänglich noch marxistischen) Sozialdemokratie, sondern wird auch in zeitgenössischer sozialwissenschaftlicher Literatur artikuliert:

Zu Anfang der fünfziger Jahre bestanden in der Tat einmal günstige Bedingungen für einen Export der Public Relations amerikanischer Prägung. Damals standen die westdeutschen Unternehmer noch im Schatten der Beschuldigung, an Deutschlands Niedergang mitschuldig zu sein. Noch fehlte ihnen der Glanz des Wirtschaftswunders und in der organisierten Arbeiterschaft, die damals Mitbestimmung und Betriebsverfassungsgesetz durchbringen konnte, besaßen sie einen starken Rivalen. Erschüttert durch eigene Unsicherheit und geblendet von dem Erfolg und Prestige der amerikanischen Wirtschaft mussten sie damals in den Public Relations ein Mittel sehen, das den Status des deutschen Unternehmens und Unternehmers methodisch heben würde.

(Hartmann 1963, S. 144)

Ideologischer Charakter des PR-Verständnisses: allgemeine Aspekte

d) Ein auf die Etablierung und Aufrechterhaltung der „(sozialen) Marktwirtschaft“ verpflichtetes PR-Verständnis ist prinzipiell als ideologisch, also als Ausdruck eines auf bestimmten sozialen und ökonomischen Interessen beruhenden Normen- und Ideensystems, zu betrachten.

Zwar erlangte dieses Modell bald eine hohe allgemein-gesellschaftliche und schichten- bzw. gruppenübergreifende Akzeptanz. Es stellt aber auf dem Boden des Grundgesetzes (Verfassung) nicht das allein mögliche Wirtschaftssystem dar und ist also im Rahmen der demokratisch-freiheitlichen Grundordnung nur eine Alternative unter mehreren (vgl. Hennig 1988, S. 356f.).3

Historische Parallelen

e) Die direkte Funktionszuweisung an PR, eine bestimmte wirtschafts- bzw. gesellschaftspolitische Ordnung – hier die (soziale) Marktwirtschaft – zu fördern und damit eine existenzielle Krise – hier der von der NS-Diktatur entfesselte zweite Weltkrieg und seine Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft – bewältigen zu helfen, ist historisch nicht neu.

Mindestens ein Teil des PR-Diskurses in den USA der 1930er-/1940er-Jahre, der vom Deutschen Carl Hundhausen (siehe weiter vorn) auch beobachtet und hinterfragt wurde, setzte die Notwendigkeit von PR (teilweise gar ihre Entstehung im modernen Sinne) in Beziehung zu einer globalen Systemkrise und ihrer Bewältigung durch bestimmte ökonomische Lehren bzw. politische Doktrinen: Public Relations wurden als Mittel gesehen, um den fundamentalen Vertrauensverlust des politischen und ökonomischen Systems im Zuge der Weltwirtschaftskrise zu kompensieren.

Je nach Perspektive der Akteure konnte dies bedeuten, entweder die eingeleiteten Bewältigungsstrategien der „Keynes’schen Revolution“ und „New Deal“-Politik in den USA unter Präsident F. D. Roosevelt kommunikativ zu stützen oder aus Sicht der Unternehmerschaft die Wirtschaft gegenüber Staat und Gesellschaft aus der Defensive zu führen. (Vgl. dazu auch die Behandlung englischsprachiger Autoren im PR-Museum und Oeckl 1987, S. 25f.)

Vor allem für die erste Perspektive steht auch ein deutscher Fachlexikon-Artikel von 1955, der von einer soziologischen Begründetheit und gesamtgesellschaftlichen Bedeutung der PR ausgeht: „In der sozialen Politik der Roosevelt-Ara und in der Produktionssteigerung des Krieges gewannen diese Erkenntnisse große soziale und wirtschaftliche Bedeutung und breiteten sich nach dem Kriege unter den von der amerikanischen Wissenschaft geprägten Bezeichnungen auch auf die europäische sozialökonomische Praxis und Wissenschaft aus.“ (Schelsky 1955, S. 404)

Eher die zweite Perspektive thematisierte ein deutscher Fachartikel von 1956, der dabei einen amerikanischen Fachautor wie folgt zitierte:

In seinem Buch ‚Profitable Public Relations‘ von 1938 – also sehr früh für deutsche Verhältnisse – sagte H. R. Batchelor: ‚Die Tätigkeit der Wirtschaftsunternehmen steht jetzt nicht nur unter der Kontrolle der Regierung, sondern einer weit wichtigeren Kraft, die als öffentliches Interesse bekannt ist, die ihrerseits wiederum anderen unsichtbaren Einflüssen unterliegt – der allmächtigen öffentlichen Meinung‘.

(Kropff 1956-II, S. 80, unter Zitierung von Batchelor 1938)

Eine historische, wenn auch zeitversetzte, Parallelität zwischen den USA und Deutschland sah auch damalige sozialwissenschaftliche Literatur so. Obiges Zitat aus Hartmann (1963) setzt sich wie folgt fort:

Erschüttert durch eigene Unsicherheit und geblendet von dem Erfolg und Prestige der amerikanischen Wirtschaft mussten sie (die westdeutschen Unternehmer – T.L.) damals in den Public Relations ein Mittel sehen, das den Status des deutschen Unternehmens und Unternehmers methodisch heben würde. Diese Vermutung war um so verständlicher, als die Public Relations nach der Depression der dreißiger Jahre der amerikanischen Wirtschaft ähnliche Dienste geleistet hatten.

(Hartmann 1963, S. 144)

Autor(en): T.L.

Anmerkungen

1 Das sahen auch schon Zeitgenossen so. Bei Gross‘ Buch handele es sich „um eine wirtschaftspolitische Programmschrift“, die vor allem „zur Unterrichtung der Unternehmerschaft und Schulung junger Unternehmer“ diene (Neesse 1956, S. 188).

2 „Die“ Marktwirtschaft sowieso und auch die „soziale“ Marktwirtschaft erschienen seinerzeit durchaus nicht alternativlos. Die SPD (Sozialdemokratische Partei Deutschlands) verabschiedete sich erst 1959 auf dem Godesberger Parteitag von ihrem marxistischen Erbe. Bevor sie 1956 verboten wurde, war die KPD (Kommunistische Partei Deutschlands) immerhin bis 1953 im ersten Deutschen Bundestag sowie in fast allen Landtagen vertreten. Sogar das von der CDU (Christlich Demokratische Union Deutschlands) der britischen Zone 1947 verabschiedete „Ahlener Programm“ verkündete – angelehnt an die katholische Soziallehre – de facto sozialistische (gemeinwirtschaftliche) Ziele. Vgl. auch: „Die Entscheidung zugunsten der Sozialen Marktwirtschaft war keineswegs unumstritten und fest verankert, so dass also durchaus die Notwendigkeit der Sicherung und Legitimierung des Systems und der Position der Unternehmen bestand.“ (Nöthe 1994, S. 105)

3 Vgl. auch: „Das im Mai 1949 verabschiedete Grundgesetz beinhaltet keine ausdrücklich geregelte Wirtschaftsverfassung. Dementsprechend war auch die eingeführte Wirtschaftsordnung nur eine der möglichen Formen zwischen den verfassungsrechtlich ausgeschlossenen Systemen der totalen Planwirtschaft und des totalen wirtschaftlichen Liberalismus, so dass der Legislative ein breiter Ausgestaltungsspielraum gegeben worden war. Die innerhalb der relevanten Parteien diskutierten Gestaltungsalternativen reichten von einer stärkeren Orientierung an einer marktwirtschaftlichen Leitperspektive bis zu einer Umgestaltung mit sozialistischen Elementen.“ (Nöthe 1994, S. 105)