Fach-Wissenschaft(en) und -autoren über PR (II)

Wissenschaftliche Autoren: Dissertationen über PR von 1952

Ernst Vogel (1922-2007; siehe eigenen Beitrag im PR-Museum) ging in seiner wirtschaftswissenschaftlichen Dissertation über „Öffentliche Beziehungspflege (PR)“ von 1951 (als Buch 1952 erschienen) theoretisch-systematisch vor und betrachtete in einer sachlich-objektivierten Perspektive Public Relations als grundsätzliches Phänomen von Wirtschaft und Gesellschaft. PR ziele auf Interessensausgleich, nicht – wie bei Gross (siehe weiter hinten) – auf Interessensidentität. Allerdings war auch Vogel nicht frei von einer Überschätzung der sozialen Gestaltungskraft persuasiver Kommunikation.

Everhard Ludemann (1922-vermutl. 1973; siehe spezielle Unterseiten im PR-Museum) dissertierte 1952 über „betriebliche Partnerschaftspflege (business public relations)“ und versucht eine Integration soziologischer (Beziehungssoziologie Leopold von Wieses, siehe auch weiter vorn bei Hundhausen), sozialpsychologischer (u. a. „Soziale Technik [social engineering]“) und wirtschaftswissenschaftlicher Betrachtung. Ludemann brachte das Konzept der „betrieblichen Partnerschaftspflege“ von seinem USA-Aufenthalt 1943-1946 mit. Er verwies aber auch auf die „werbende Führung im Betrieb“ bzw. „innerbetriebliche Werbung“ (S. 44), die in der NS-Zeit in Deutschland praktiziert wurde.

Presse- und Medienarbeit von Unternehmen fasste Ludemann als eine Art der Partnerschaftspflege auf, nämlich mit „Publizitätsinstituten“ (S. 120f.; Medien). „Publizität“ oder „publicity“ sieht Ludemann (1952, S. 104) als Gegenstück zur „bezahlten Bekanntgabe“, also zur „Werbung (… im) engeren Sinne“. Die „moderne Publizität“ – im Unterschied zu unseriösen historischen Vorformen noch bis ca. 1900 (S. 104f.) – beruhe auf der freien Entscheidung von Medienmitarbeitern, die die Unternehmens-Mitteilungen „nur dann wiedergeben, wenn sie deren Inhalt als für ihr Streufeld bemerkenswert halten“ bzw. sich auf „das wachsende öffentliche Interesse an jedem einzelnen Betrieb“ beziehen (S. 105).

Artikelserie zur PR von 1956 in einer Werbefachzeitschrift

Verhältnis von PR und Werbung

Die traditionsreiche Werbefachzeitschrift Die Anzeige veröffentlichte 1956 eine Artikelserie von Hanns Ferdinand Josef (H.F.J.) Kropff über Public Relations. Der aus Österreich-Ungarn stammende Kropff (1882-1963) war Werbepraktiker bzw. -berater und einer der ersten Vertreter der Werbelehre an deutschen Hochschulen.1 Der Untertitel „Wesen, Aufgaben, Ziele“ deutet bereits den grundsätzlichen Anspruch an, den der Autor kenntnisreich, literaturgestützt und auch polemisch durchaus einlöst. Am Anfang gerät der erste Artikel zu einer „Brandrede“ gegen die Kollegen der eigenen Zunft, die Werbefachleute und Berater, weil sie aus geschäftlichen Gründen – wie bei anderen Begriffen auch – Public Relations zum „unverdauten Schlagwort“ gemacht hätten.2 Im zweiten Artikel argumentiert er Potenziale und Grenzen, gar Gefahren (1956-II, S. 90), von Methoden der Wirtschaftswerbung bei der Unterstützung der PR-Arbeit aus. Alles in allem entwickelt er dabei ein – wie man heute sagen würde – integratives Kommunikations- und Unternehmensverständnis:

Die Wirtschaftswerbung kann ihrem Wesen nach nicht direkt für eine Verbesserung der öffentlichen Beziehungen eines Unternehmens wirken, sondern nur auf indirektem Wege, über die Zufriedenheit der Verbraucher.“ (1956-II, S. 84) (…) „Die Quintessenz lautet (…): Die Wirtschaftswerbung eines Unternehmens kann auf seine öffentlichen Beziehungen einen günstigen Einfluss haben, wenn ihre Mittel psychologisch entsprechend geplant und gestaltet sind und ihre Streuung soziologisch zielgerecht erfolgt. Dies muss in voller Harmonie mit der Geschäftspolitik geschehen und im engsten Zusammenhang mit allen Maßnahmen von Vertrieb und Verkauf stehen.

(Kropff 1956-II, S. 94)

Kropff fasst PR als ein wichtiges und besonderes Phänomen auf, dass nicht „unter dem Dach“ von Werbung erklärbar ist:

Die Erkenntnisse im Käufermarkt lassen den Schluss zu, dass die Wirtschaftswerbung zwar nicht eine primäre, aber doch eine starke sekundäre Bedeutung bei der Pflege der öffentlichen Beziehungen haben kann. Es wäre jedoch grundfalsch, die Public Relations mit einer neuen Art der Firmenpropaganda und -werbung zu verwechseln, wie dies noch oft geschieht.

(Kropff 1956-II, S. 81)

PR als soziologisches Phänomen

Substanziell geht Kropff schon im ersten Artikel vom Phänomen der „öffentlichen Meinung“ (einschließlich „Masse“) und ihrer Beeinflussbarkeit aus, akzentuiert für PR die Identifizierung der „Meinungsbildner“ und betont die Notwendigkeit der Berücksichtigung von Erkenntnissen der modernen Psychologie und Soziologie. Im zweiten Teil seiner Artikelserie differenziert er „Kreise der Öffentlichkeit“. Als knappeste Definition von PR gelingt ihm:

Alles in allem bedeutet Public Relations Pflege der guten Beziehungen eines Unternehmens zur Öffentlichkeit, zu der sie umgebenden Gesamtgesellschaft.

(Kropff 1956-II, S. 82)

PR sieht er vor allem als ein „Phänomen der Soziologie“ an:

Aus einem wirtschaftlichen Unternehmen wird (…) eine ‚soziale Institution‘ im allgemeinen gesellschaftlichen Sinne. (…) Die gesamtgesellschaftliche Funktion des Betriebes zwingt heute zur ständigen Beachtung der öffentlichen Meinung, die auch von entscheidender Bedeutung für die Stellung und Geltung des Unternehmers im Markt ist. (…) In dem Maße, in dem Unternehmer und Betrieb selbst zu Bestandteilen des öffentlichen Lebens geworden sind, klärt sich geradezu automatisch der Begriff der Public Relations. Ihre Probleme enthüllen sich als soziologische Fragen und sind daher mit technischen oder organisatorischen Mitteln und mit werblichen Maßnahmen oder gar mit suggestiven Tricks nicht zu lösen. Sie sind eine Führungsaufgabe und können auf die Dauer erfolgreich nur aus dem Geiste einer zeitgemäß fortschrittlichen, d. h. sozialen Geschäftspolitik bearbeitet werden.

(Kropff 1956-I, S. 18)

Kropff weist darauf hin, dass es zwar erprobte Kommunikationsmethoden, aber keine Garantie für ihren Erfolg gibt, und sich insbesondere soziale Interessensunterschiede nicht einfach „wegkommunizieren“ lassen:

Die letzten Jahre mit dem tiefgreifenden Strukturwandel der westdeutschen Bevölkerung und der Erhöhung des Lebensstandards auf der Grundlage eines besseren Einkommens haben das soziologische und ökonomische Bild der Gesamtbevölkerung gründlich geändert. Aber trotz einer Hochkonjunktur im Rahmen der freien Marktwirtschaft sind starke soziale Spannungen geblieben, die sich nicht nur hinter den Türen der Verhandlungsräume, sondern auch in der Öffentlichkeit deutlich bemerkbar machen.

(Kropff 1956-I, S. 22)

„Goodwill“ als Ziel der PR

Im dritten Beitrag seiner Artikelfolge bringt Kropff (1956-III) PR mit „Prestige“ und vor allem „Goodwill“ – dazu auch schon Schelsky u.a. – zusammen.

Goodwill kann sowohl auf sachlichen Leistungen des Unternehmens beruhen, wie auch durch die öffentliche Meinung ohne sichtbaren Einfluss des Unternehmers geschaffen werden. Goodwill ist die Gesamtheit zwischenmenschlicher, imponderabler Beziehungen, die sowohl in Meinungen, Stimmungen und Vorstellungen zum Ausdruck kommen als auch in Vorurteilen und Gerüchten, die über eine Unternehmung umlaufen, über ihre Geschäftspolitik, Produkte und Leistungen, über innerbetriebliche Menschenführung und die soziale Einstellung der leitenden Persönlichkeiten. Der Sinngehalt des Wortes Goodwill ist also ‚Urteil der öffentlichen Meinung über eine Unternehmung‘: Es bezeichnet das Vertrauen, das sie in der Öffentlichkeit allgemein genießt. Damit bildet Goodwill das Fundament dessen, was über die amerikanische Wirtschaftssprache als Public Relations bekannt wurde und heute auch in Westdeutschland so vielfach genannt wird.

(Kropff 1956-III, S. 137)

PR ist nicht neu, wohl aber ihr systematischer Charakter

Public Relations seien „keine neue Aufgabe“.

In dem Maße, wie der engherzige Geist der Gilden und Zünfte verschwand, haben sowohl die mächtigen Kaufherrn mit ihren weitgespannten Interessen als auch die Krämer und Händler in den Städten die öffentliche Meinung belauscht und getrachtet, sie zu ihrem besten zu wenden.

In der liberalen Epoche des 19. Jh. war man nach dem Grundsatz ‚Laissez faire laissez passé‘ bemüht, die öffentliche Meinung für sich zu gewinnen, ohne dabei allzu wählerisch in den Mitteln zu sein. Aber auch die soliden Geschäftsleute in der Ära der industriellen Entwicklung, der Erfindung der Massenproduktion, des Aufstiegs der Massenartikel, der verschärften Konkurrenz und der Hochblüte der industriellen Reklame bewarben sich bewusst um die öffentliche Gunst. Repräsentation wurde Trumpf – sowohl in der Geschäfts-Architektur, im Gesellschaftsleben und in der Werbung. Bald gab es auch in Deutschland literarische Büros, Presseagenturen und Reklameabteilungen aller Größenordnungen, die sich auf ihre Art bemühten, der Öffentlichkeit die guten Seiten eines Unternehmens plastisch darzustellen.

Es gibt genug Beispiele von lokaler, nationaler und Weltgeltung deutscher Unternehmungen aus der Zeit vor den beiden Weltkriegen. Aber sehr selten lag solchen Bestrebungen um das öffentliche Vertrauen ein systematisches Programm zugrunde.

(Kropff 1956-II, S. 78)

Wissenschaftliche Autoren: Dissertationen über PR von 1958

Löckenhoff 1958

Helmut Löckenhoff (geb. 1932; siehe spezielle Unterseiten im PR-Museum) verfolgt in seiner Dissertation von 1958 über „Public Relations“ bzw. „öffentliche Meinungs- und Beziehungspflege (…) des Industriebetriebes“ soziologische, wirtschaftswissenschaftliche und publizistische Perspektiven. Vor allem entwickelt er – durchaus in Fortsetzung von Ernst Vogel – eine makrosoziologische Sicht: Er gründet PR in den „Tiefenschichten der Problematik der industriellen Gesellschaft“, im „industriellen System“, seinem Sozialgefüge und seiner Lebensordnung (u. a. S. 27).3

Bezogen auf konkrete organisationelle Kommunikation bedeutet dies: Nicht jede unternehmerische, verbandliche etc. Presse- und Öffentlichkeitsarbeit ist „Public Relations“ in seinem Sinne. Sie kann ggf. auch Propaganda sein, wenn sie polemisch oder kämpferisch daherkommt und einen „Machtanspruch“ verfolgt (S. 82). Sie ist vielmehr nur dann „PR“, wenn ein bestimmtes, nämlich auf Integration zielendes Verständnis von der Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung, der Stellung eines Gliedes in dieser Ordnung, dem Charakter seiner Beziehungen zu anderen Gliedern und den Umgangsformen von Interessensunterschieden zugrunde liegt und im Kommunikationshandeln auch tatsächlich zum Ausdruck kommt.

Öffentliche Meinungs- und Beziehungspflege bzw. PR nehme also, „und das ist das Entscheidende, eine Sonderstellung insofern ein, als (…)“

(…) sie nicht das Entgegengesetzte der Ansichten und Interessen, sondern das Gemeinsame betont, den Gedanken einer sozialen Partnerschaft und eines kampflosen Interessensausgleichs vertritt, der auf einer gegenseitigen Verständnisbereitschaft aufbaut.

(Löckenhoff 1958, S. 33)4

Damit hatte Löckenhoff zugleich auch Schelsky mit dessen Unterscheidung der (neuen) PR und (alten) Interessen-Propaganda weiterentwickelt.

Steybe 1958

Hans Steybe (geb. 1924; siehe spezielle Unterseiten im PR-Museum) legte ebenfalls 1958 seine Dissertation über „Public Relations“ bzw. „Öffentlichkeitsarbeit in deutschen Unternehmen“ vor. Darin wird – ähnlich wie bei Löckenhoff 1958 – ein primär soziologisches Verständnis von Public Relations deutlich. PR sieht Steybe auch in engem Zusammenhang mit Human Relations (S. 4, 36ff. – hier gibt es Berührungspunkte zu Ludemann 1952) und als Teil menschlicher Beziehungspflege, insbesondere zwischen „Sozialpartnern“ (S. 10).

Ähnlich wie Löckenhoff – und auch Schelsky – verband Steybe mit PR eine bestimmte Qualität und sozialethische Ausrichtung unternehmerischer Kommunikation.

Richtig verstandene Public Relations sind der Ausdruck einer echten Verantwortung und Verpflichtung des Unternehmens gegenüber der Allgemeinheit. Sie sind darauf ausgerichtet, das Vertrauen der Öffentlichkeit zu gewinnen. Public-Relations-Arbeit erfordert: Einsicht in die Belange der Allgemeinheit und damit aktive Mitarbeit am Gemeinwohl; fortwährendes Bemühen, innerhalb des Unternehmens eine Atmosphäre gegenseitigen Vertrauens herzustellen; Wahrheit, Offenheit und Ehrlichkeit; sachgemäße Information nach innen und außen.

(Steybe 1958, S. 33f.)

Steybe sah allerdings mehr Anlass, das Konzept der PR als Pflege partnerschaftlicher Beziehungen vor seinem Missbrauch durch sozial unethische (Unternehmens-) Akteure und vor Ideologie-Verdacht von Seiten der Gewerkschaften und Sozialdemokratie zu schützen.

Aufgabe der Öffentlichkeitsarbeit des Unternehmens ist es nicht, gegen die Organisationen der Arbeitnehmer anzutreten und noch so begründete und berechtigte Forderungen politischer Parteien zu unterstützen.

(Steybe 1958, S. 105)5

 

 

 

Autor(en): T.L.

Anmerkungen

1 Vgl. Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Hanns_Ferdinand_Josef_Kropff (Abruf am 20.8.2020). Bei Neesse 1956 heißt es: „Wie wohl kein anderer hat er in seinem Berufsleben wie in seinem publizistischen Schaffen das Werden der deutschen Wirtschaftswerbung von ihren ersten selbständigen Gehversuchen zu Beginn des Jahrhunderts bis heute begleitet. In einer fast unübersehbar großen Zahl von Abhandlungen, Broschüren und Vorträgen sowie mehreren Büchern hat er wohl alle wichtigeren Fragen der Werbung durchdacht und behandelt.“ (S. 187)

2 Man fühlt sich beim Lesen unweigerlich an die aktuelle Diskussion um das Buzzword „Content Marketing“ erinnert.

3 Bezugspunkt für Löckenhoff ist die „industrielle Gesellschaft“, damit verfolgt er einen ähnliche Sichtweise, wie sie später u.a. auch von Franz Ronneberger bzw. von diesem gemeinsam mit Manfred Rühl eingenommen wurde. Gesellschaftspolitisch gesehen, ist dieser Ansatz vergleichsweise breit und neutral, denn die industrielle, moderne etc. Gesellschaft und Wirtschaftsordnung kann durchaus verschiedene Formen annehmen. Im Unterschied dazu verfolgt Gross (siehe weiter hinten) mit seiner Bezugnahme auf die „Marktwirtschaft“ einen deutlich engeren Ansatz. Allerdings nennt Löckenhoff als reale Beispiele für „seine“ PR in der Bundesrepublik (u. a. auch) Veröffentlichungen der „Waage“ und publizistische Aktionen von Wirtschaftsminister Ludwig Erhard.

4 Obwohl Löckenhoff selbst eine solche PR nicht frei von „ideologische(n) Momente(n)“ sieht, ist sein Ansatz deutlich weniger ideologisch als der von Gross (siehe weiter hinten), weil Löckenhoff Interessensunterschiede und ihre Kommunikation nicht in Abrede stellt. Löckenhoff weiter: „Die Art der von ihnen (den PR) vertretenen Ideen schließt (…), wenn wir hier von (…) Entartungen absehen, ihre integrative Funktion nicht aus. Dahinter stehende Sonderinteressen mögen sie abschwächen, widersprechen ihr jedoch nicht grundsätzlich.“ (Löckenhoff 1958, S. 33)

5 Das Bemühen der „Entideologisierung“ der PR bezieht sich sogar auf die soziologische bzw. sozialgeschichtliche Grundlage der PR-Auffassung von Steybe (und Löckenhoff), die industrielle Gesellschaft. Sie wird als gemeinsames Werk und Lebensgrundlage von Unternehmern und Arbeitern dargestellt. So heißt es in einem Zitat, dass im „Zeitalter der Revolutionen und Emanzipationen (…) die Eingliederung breiter Schichten in ein neues produktionstechnisches System nicht eine einseitige, sondern eine zweiseitige Leistung war, dass hier also Unternehmer und Arbeitnehmer, geschichtlich gesehen, bereits an einem Strang zogen (…)“ (Carl Jantke 1957, zitiert nach Steybe 1958, S. 5). „Das industrielle Unternehmen war zum Schicksal großer Teile der Bevölkerung (…) geworden“ (Steybe 1958, S. 10). Damit bekam „Freiheit“ einen neuen Sinn und neue soziale Leitbilder sowie Mentalitäten entstanden, wie „Anpassungsfähigkeit, Aufstiegswille, Selbstbewusstsein, Eigentums- und Besitztrieb“ (Jantke, zit. nach Steybe 1958, S. 11).