Gewerkschaftsnahe PR-Kritik (II)

Kritik an PR als „Psychotechnik“ im Interesse der Industrie

Hans Wilhelm Nicklas (1931-2016), studierter Philosoph und Soziologe sowie an einer Dissertation über „Autorität“ arbeitend1, setzte sich 1956 in den „Gewerkschaftlichen Monatsheften“ kritisch mit „industrieller Psychotechnik“ und dem „manipulierten Menschen“ auseinander.2

Dabei charakterisierte er „human und public relations“ als „die jüngsten Zweige einer Wissenschaft, die sich schon vor 40 Jahren in Europa konstituiert hat, der Psychotechnik“. Wie es Hugo Münsterberg seinerzeit begründet habe, soll dabei „mit Hilfe der Psychologie ein bestimmtes, in der Zukunft liegendes Ziel erreicht werden“ (Nicklas 1956, S. 16).

Public relations (sic!) sind von psychotechnischer Reklame kaum zu trennen. Es hatte sich gezeigt, dass die über Gebühr strapazierte Direkt-Reklame nicht mehr funktionierte. Als neue Form bot sich eine Werbung an, die das, was sie erreichen will, nicht mehr ausspricht, sondern es dem zu gewinnenden Konsumenten durch gleichsam unterirdische Kanäle suggeriert. Die Ziele der public relations sind weiter gesteckt als die der psychotechnischen Reklame. Deshalb leugnen manche Public-relations-Spezialisten den Zusammenhang.

(Nicklas 1956, S. 18)

Als Beleg dafür führte er Ernst Vogel (1952, S. 15f.) an – vgl. auch in unserer Abhandlung weiter vorn –, dem er zugleich Widersprüchlichkeit vorwarf:

(…) Vogel: ‚Solche Pflege darf nicht falsch verstanden werden: Auf keinen Fall ist sie mit einer zweckgerichteten Meinungsmanipulation zu verwechseln. Ihr Inhalt liegt vielmehr in einem wahrheitsgemäßen Aufklären und Informieren der Öffentlichkeit.‘ Allerdings dementiert sich der Autor wenige Zeilen später selbst: ‚Gewiss darf man nicht einer zu theoretischen Betrachtung der Dinge verfallen: Ohne manipulierende Propaganda und machtpolitische Bestrebungen geht es auch in einer demokratischen Gesellschaftsform nicht ab.‘

(Nicklas 1956, S. 18)

Umgekehrt wurde Nicklas‘ PR-Kritik auch von späteren PR-Promovenden aufgegriffen, hier durch Steybe (1958):

(…) Nicklas (…) beispielsweise: ‚Wenn public relations von der Industrie angewandt werden, so aus folgenden Gründen: 1. Zur Steigerung des Absatzes (…), 2. Zur Vermeidung von Streiks und Lohnkämpfen. Durch human und public relations sollen die Arbeiter so in den Betrieb integriert werden, dass sie sich schließlich mit ihm identifizieren und dem gewerkschaftlichen Appell nur noch bedingt zugänglich sind (…). 3. Zur Stärkung des Unternehmertums (…) Bei der Beziehungspflege handelt es sich (…) um die kompakte Beeinflussung von nur einer Seite.

(Nicklas 1956, S. 18f. Zitiert aus: Steybe 1958, S. 43)

Nicklas‘ Funktionsbeschreibung von PR für die Wirtschaft, die von Steybe wiederum als vereinseitigend abgelehnt wurde, fiel damit noch drastisch-kritischer aus als bei Pahl oder auch Schelsky. Allerdings hielt sich auch Nicklas ein „Hintertürchen“ offen, worauf wir gleich zurückkommen.

Gewerkschaftlicher Gestaltungsanspruch in den Betrieben

Schon Gewerkschafter Pahl hatte es 1951 durchaus für möglich gehalten, dass die deutschen Arbeitnehmer-Organisationen ihren Frieden mit der Unternehmens-PR (einschließlich Human Relations) machen könnten:

Aufrichtige PR-Politik (unter der wir hier entsprechend unserer obigen Formulierungen auch die auf die Verbesserung der Beziehungen zwischen Arbeiterschaft und Management zielenden Bestrebungen im Rahmen der sozialen Betriebspolitik verstehen) könnte sich sehr wohl mit der Unterstützung der gewerkschaftlichen Forderung auf Mitbestimmung verbinden. (…) Die Verwirklichung des Mitbestimmungsrechtes ist mit einer Fülle von neuen schwierigen Aufgaben verbunden, die an Arbeitnehmerschaft und Management hohe Ansprüche stellen werden.

(Pahl 1951, S. 191)

Und er lieferte die programmatisch-ideologische Begründung gleich mit. Die Gewerkschaften wollen innerhalb der kapitalistischen Ordnung reformerisch tätig sein:

Die Gewerkschaften warten nicht mehr darauf, dass eines Tages zwangsläufig eine neue soziale Welt in Erscheinung treten wird, wie Karl Marx es erwiesen zu haben glaubte. Sie wollen heute und hier die abhängige Lohnarbeit in eine ‚assoziierte Arbeit‘ verwandeln, ‚die ihr Werk mit williger Hand, rüstigem Geist und fröhlichem Herzen verrichtet.‘

(Pahl 1951, S. 191, unter Zitierung von Karl Marx: Inauguraladresse der Internationalen Arbeiterassoziation. Neue Zeit, XI, 1)

Auch Nicklas (1956) – siehe oben – räumte bei aller Kritik ein: „Es wäre falsch, das Positive zu übersehen, das die Psychotechnik trotz allem für die Arbeiter haben kann. (S. 19 …) Es kann kein Zweifel darüber bestehen, dass auch in Deutschland die industrielle Psychotechnik immer stärkere Anwendung findet. Der Stand der Herstellungsmethoden verlangt danach. Human und public relations sind eine Antwort auf reale Bedürfnisse einer großindustriellen Produktionsweise. Ihre Funktion ist es, sie lebensfähig zu erhalten und die durch sie entstehenden Schäden zu übertünchen. (…)“ (Nicklas 1956, S. 20)

Können human und public relations die Entfremdung überwinden, können sie den erstarrten Beziehungen zwischen den Menschen wieder Leben geben? Sicher nicht. Die industrielle Psychotechnik setzt die entfremdete Welt voraus und treibt die Entfremdung zugleich weiter. Sie ist nicht besser und nicht schlechter als die Gesellschaft, in deren Dienst sie steht. Man kann sie nicht verdammen, ohne die Gesellschaft zu verdammen, und sie nicht bessern, ohne den Mut und die Kraft zu haben, die Gesellschaft zu bessern.

(Nicklas 1956, S. 20)

Politischer Gestaltungsanspruch in der Gesellschaft

Innerhalb der Arbeiterbewegung, ihren Gewerkschaften und politischen Parteien gab es durchaus unterschiedliche Auffassungen zum Verhältnis von Kapital und Arbeit sowie von Reform und Revolution, die sich auch wandelten.

Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) – zwar nach CSU/CSU zweitgrößte Fraktion im Bundestag, aber entgegen ihren Erwartungen nach den Wahlen von 1949, 1953 und 1957 stets nur Opposition – entwickelte sich „von einer sozialistischen Arbeiterpartei hin zu einer Volkspartei“ und strich den Marxismus 1959 auf dem Godesberger Parteitag aus ihrem Programm (Wikipedia 2020: https://de.wikipedia.org/wiki/Godesberger_Programm ).

Das Verhältnis zu PR war bei der SPD auch durch ihre Oppositionsrolle geprägt. Der SPD war die staatliche Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung mehrfach ein Dorn im Auge, weil sie diese als intransparent, zu üppig und als Wahlwerbung für die CDU unter Konrad Adenauer empfand. Steybe verwies in seiner Dissertation (1958, S. 25) auf die „erregte Debatte im Bundestag anlässlich der Beratung des Haushaltes des Bundespresse- und Informationsamtes am 26. Juni 1958“:

Die Sozialdemokraten richteten ihre Angriffe auf den Geheimfonds (…) im Presseamt. (…) Der zweite Angriffspunkt für die Sozialdemokraten war der Fonds (…) für ‚Öffentlichkeitsarbeit in Verteidigungsfragen‘ (…)“.

(Streit über den Geheimfonds des Presseamtes. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. Jg. 1958, Nr. 145, 27. Juni 1958. Zitiert nach Steybe 1958, S. 25)

Soziale Partner oder Gegner?

Auch das Verhältnis von „Sozialpartnerschaft“ und „Klassenkampf“ war in den 1940er-/50er-Jahren ein viel diskutiertes Thema. Selbst diejenigen, die keine „Klassen“ und/oder keinen „Klassenkampf“ im Marxschen Sinne mehr sahen, verwiesen auf soziale Ungleichheit und Spannungen in der Gegenwartsgesellschaft.

Diese waren durch die Währungsreform von 1948 noch vertieft worden:

Während die Unternehmen in dieser Zeit sehr schnell beträchtliche Vermögen ansammeln konnten, wurde die Kluft zwischen der Lohn- und der inflationären Preisentwicklung immer größer. Engpässe in der Energieversorgung verstärkten die Krise, so dass Kritik und Proteste weiter wuchsen und es im Winter 1948/49 zu großen Demonstrationen und Streiks kam. Direkt nach der Währungsreform nahm die nun sichtbar werdende Arbeitslosigkeit sprunghaft zu (…).

(Nöthe 1994, S. 104)

Auch wenn es ein Jahrzehnt später (1958) „kaum mehr“ ein „Klassenkampf im früheren Sinne“ (S. 48) sei, schrieb ein Promovend zum PR-Thema (Steybe 1958, S. 48), gebe es doch einen ‚Kampf“ innerhalb der Gesellschaft und zitierte dazu eine Wirtschafts- und Finanzzeitung:

Ideologien, ganz gleich welcher Art, sind bei der jungen und mittleren Generation nicht mehr gefragt … trotzdem gibt es auch heute noch einen ‚Klassenkampf‘ … Er richtet sich nicht gegen den Eigentümer der Produktionsmittel, sondern ganz allgemein gegen ‚die da oben‘. ‚Die da oben‘ … das sind aber auch die Bürokraten der oberen Stufen, die Funktionäre der Verbände, der Gewerkschaften, der Parteien.

([Der] Volkswirt 1956. Spannungsfeld … S. 11. Zitiert nach: Steybe 1958, S. 48)

Es bestehe in der westdeutschen Bundesrepublik eine allgemeine „Vertrauenskrise“, so Steybe (1958, S. 46ff.):

Große Teile der Arbeitnehmer stehen trotz aller Vorteile, die ihnen die wirtschaftliche Entwicklung der letzten Jahre geboten hat, sowohl der Wirtschaftsordnung als auch den Unternehmensleitungen und den freiwilligen sozialen Leistungen nicht nur kritisch, sondern oft sogar misstrauisch gegenüber.

(Steybe 1958, S. 46)

Reform-Erfolge und -Illusionen

Der weitere wirtschaftliche Aufschwung der 1960er-Jahre ließ Kritik und Misstrauen allerdings in den Hintergrund treten:

Die Arbeitslosenquote sank 1961 erstmals unter 1 % und blieb auch in den darauffolgenden Jahren sehr niedrig. Das Bruttosozialprodukt je Einwohner stieg im Zeitraum von 1950 bis 1970 um nahezu das Dreifache. Die durch reale Lohn- und Einkommenssteigerungen ermöglichte Erhöhung des Lebensstandards entschärfte die sozialen und politischen Konflikte und kam in einer starken Erhöhung der Konsumausgaben zum Ausdruck.

(Nöthe 1994, S. 110)

Jedoch blieben Hindernisse für die Verwirklichung einer von den gewerkschaftsnahen Autoren goutierten Form der PR innerhalb und außerhalb der Betriebe bestehen:

Hindernisse blieben auch nach dem Mitbestimmungsgesetz von 1952 und 1972 bestehen, so dass die Rede von interner Öffentlichkeit und Öffentlichkeitsarbeit bis heute eher programmatischen Charakter hat, als dass sie Realität sein kann. (…) Indessen erstarkten die Gewerkschaften zunehmend und es wurde deutlich, dass die Strategie der Interessen-Identitäten nicht eingelöst werden konnte. Die ‚Wir-sitzen-alle-in-einem-Boot‘-Ideologie musste scheitern, da sozioökonomische Interessenunterschiede nicht durch Kommunikation beseitigt werden können. Allerdings wurde dieses Scheitern vernebelt durch den wirtschaftlichen Aufschwung der 60er Jahre, der die Illusion der Gemeinsamkeit weiternährte.

(Haedrich/Barthenheier/Kleinert 1982, S. 10f.)

 

Autor(en): T.L.

Anmerkungen

1 Hans Wilhelm Nicklas war nach seinem Studium Pressereferent des Verbandes Deutscher Studentenschaften (1953/54), anschließend Redakteur der „Deutschen Studentenzeitung“. Nach dem Katalog der Deutschen Nationalbibliothek sind Hans Wilhelm Nicklas und (Prof. Dr.) Hans Nicklas, Professor im Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Universität Frankfurt am Main, ein und dieselbe Person.

2 Vom gewerkschaftlichen Interesse an der PR- und HR-Thematik zeugt, dass im gleichen Heft 1/1956 auch ein Beitrag von (Prof. D. Dr.) Helmut Thielicke erschien: „Human relations“ oder Nächstenliebe? S. 11-14. Was die allgemeine Zeitgeist-Stimmung betrifft, sei auch daran erinnert, dass 1957 in den USA und 1958 auf deutsch von Vance Packard erschien: The Hidden Persuadors (Die geheimen Verführer).